Fremde Fragmente von A bis Z (aus dem Lübecker Lyriktreff)
Als dieses Jahr seine Stimme verliert, sind unsere Silben frostbefallen (Maja Löwe) - Als mein Aug zu leuchten wagte und mein Herz die Hände hob (Frauke Krieger) - Auf dass die Schatten ihr Wesen verlieren (Jörg Nath) - Aufs Papier geblutet, formen die Worte die ersten Konturen einer neuen Suche (Jörg Nath) - Das ambivalente Lachen des Satzzeichens hallt durch den überfüllten Saal und alles wartet auf den Richterspruch (Jörg Nath) - Das kleine Wasser hier im Park teilt seine Farbe mit der warmen Erde, kleine umhergeschneite Blütenblätter verhimmeln es mit Sonnentönen (Parijato) - Der Tag kam früh, um seine Ruhe zu haben (Parijato) - Die Worte, die ich nie schrieb, sind die stummen Zeugen eines unvollendeten Mosaiks (Jörg Nath) - Doch der Eine... er schweigt, wird ihm die Feder gereicht (Jörg Nath) - Felsriesen beklüften den Himmel (Parijato) - Gib mir ein W, dann gebe ich dir ein O und sage: In der Stille (Susanne Kaffka) - Hier ist dein Schatten weiß und unser Sommer nur geliehen (Maja Löwe) - Ich bin der Traum, den du nie träumtest (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Im Nebel der Ferne ahnt euch der Blick (Susanne Sörensen-Lohm) - In dem Spiegel hinter den Gläsern das ungenaue Ich (Jörg Nath) - In meinem Kopfflipper jagen Gedankenkugeln über die Spielfläche meines Gehirns, finden keine Löcher (Jörg Nath) - Manchmal nur einmal, vielleicht dann (Elisabeth Oltzen) - Meine Ungeduld, die hängt noch dort, an dem Haken bei der Tür (Marie von Kuck, Gästezimmer) - Mond im Watt. Es dunkelt die Bläue (Susanne Sörensen-Lohm) - Semprarte para que luego vuelvas (Jorge Campero, Gästezimmer) - Und wenn in der Ferne nichts als Ferne wär; jetzt geh ich mit (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Untergegangen in den regelmäßigen Sitzungen meiner Zeitfresser (Jörg Nath) - Verliert sich die Weisheit in den Winkeln unzähliger Realitäten? (Jörg Nath) - Worte, nicht gesagt, nur gedacht und dann vergessen (Elisabeth Oltzen) - Zuhause sein ist wie auf Reisen gehen, in die innere Welt (Elisabeth Oltzen)
But what if a woman were to appear to me in the night
Holding a child in her arms
And what if she were to say:
Take care of my child
I would reply:
How can I?
She would repeat:
Take care of my child
I would reply:
I cannot.
She would insist:
Take care of my child.
Then – then,
because I do not know how to do anything
And because I cannot remember anything
And because it is night –
I would stretch out my hand
And save the children.
Because it is night,
Because I am alone in another´s night
Because this silence is much too great for me,
Because I have two hands in order to sacrifice the better of the two
And because I have no choice
*(Clarice Lispector)
...schreibt Lyrik, Prosa und ist als Reisefotograf unterwegs (www.jacquesdulon.com/whats-new)
Alle Texte und alle Fotos auf dieser Lyrik-Seite sind von Jacques Dulon; außer: *
(Foto: Selbstportrait - Jinja, Uganda)
Gestaltung der Dulon-Seite: Felicitas Krüs, Auswahl der Texte: Jackie Dong
Gedicht des Monats: 2024, Mai
Kollegin (Neuer Text)
Die Dame an der Bar im Hotel
Zwinkert mir zu (sie macht es für Geld)
Das ist es, was sie zum Zwinkern treibt
Ich suche den Stift, die Suche geht schnell
Und betrachte die Dame - ich mach es für Geld:
Das Gedicht, das ich über ihr Zwinkern schreib
Dieser Mann der sieben Seelen
Foto: Fischland (Dulon)
Dieser Mann der sieben Seelen
Dieser Mann, der tut so heimlich
als ob er wüsste, was ich weiß
Er ist ein Blender - und mir peinlich!
Was nur weiter für mich heißt:
Er kann mich mal…! mit seinem ganzen Hokuspokus-Scheiß
Er sagt, er trüge schwer an sieben Seelen
Die Erste scheint ihm stets - als Lichtgestalt
Doch erzeugt s i e die Schatten, - die ihn quälen
Sie ist die Jüngste. Sie wird nicht alt,
und wie der Tod - strahlt sie: - weiß und kalt
Die Zweite... ist nun eigentlich keine Seele.
Sie ist Gefühl – das… zwischen allen Stühlen
liegt – und auch der Klos, - der fest sitzt in der Kehle,
und schwer wie stumme Worte wiegt! - Will er sie runter spülen
dann kann s i e sogar - auch noch - diese stummen Worte fühlen
Dieser alte Schwerenöter! Ja - er zählte nie bis drei
drum trägt die Dritte - keinen Namen
Sie liegt auf Eis - neben Seele Vier und Zwei
und ist die Jungfrau – seiner reifen Damen,
(die ihn erwählten – und mit sich nahmen)
Nummer Vier - trägt immer nasse Kleider
Sie verweint den ganzen Tag ihr Leid
Sie kennt nur Schwätzer oder Schweiger
und näht ihr bunt besticktes Hochzeitskleid
für den, - der sie aus diesem Leid befreit
Manche Seelen liegen hinter Friedhofsmauern
Seele Fünf kennt diese viel zu frühen Frieden,
die alle Kriege überdauern
Sie wird wohl selbst schon - unter weißen Kreuzen liegen
und würd´ so gern´ noch... leben - um zu lieben
Was soll ich von der Sechsten hier berichten...?
Sie ist der Künstler, - denn sie bricht
alte Worte - um sie neu zu dichten
Doch schöne Verse - kennt sie nicht
Seele Sechs - ist selbst Gedicht
In diesem Mann - wurd´ auch geboren
die Siebte! - Sie war sein Gift, sein Guter Gast!
Mit Macht durchströmt sie – a l l e Tiefen seiner Poren
bis sie ihn schließlich ganz umfasst
Seele Sieben war wie Luft, - die auch du - geatmet hast.
Das sagte dieser Mann – in seinem tiefen Raum
ungerührt – so dass ich durch seine Worte weiter leide
wie durch den Alpdruck schwerer Zeiten - in einem schlimmen Traum...
Als ich erwachte - ließ ich ihn stehen, denn schließlich - leben wir ja beide
auf den getrennten Seiten – einer Spiegelscheibe.
Die Vergessenen (Neuer Audio-Text)
Foto: Elbsandsteingebirge (Dulon)
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille
Foto: Minden (Jacques Dulon)
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille
(eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)
Mein Himmelsschwarz in Sternenhallen
durchweht die Winterwelt aus Eiskristallen
Wo die Wetter - Wolken falten
Will Liebe leben – will dich halten
durch die Strenge dieser Nacht
Wer wartet hier? Wer hat entfacht?
Ein Licht, das leuchtet, das uns spendet
den warmen Schein der Hoffnung - der auch trügt
doch manchmal kleine Wunder – fügt, um zu zeigen:
dass ein stilles Licht - auch starke Leiden
lindern könnte, wenn es in uns – den Glauben fände…
So wie ein Mund, der freundlich spricht und sprechend lacht
wie Finger, die dir - durch deine Haare streichen
und wie die Bilder, die deinen Schlaf umsäumen
und weiter wandern - zu deinen Taglicht-Träumen,
bis hin - zu jenen finsteren Schatten, die nicht weichen
suchst d u den Schein - der S t i l l e n N a c h t
Er zertrümmert keine Felsen – bewegt kein Berggestein
Was groß ist, bleibt erhaben. Was winzig ist, bleibt klein
Er wässert keine Felder, erzeugt auch keinen Regen
Er kann sich nur ganz scheu - auf tiefe Wunden legen
Das Licht in dieser Nacht - ist ja das Wunder, das vergeht
sobald man wieder stark - auf den eigenen Beinen steht
Doch die, für die das Leben - keine bunten Blüten hat,
die den Kopf mit Sorgenschatten – halten in den Händen,
kann die Nacht wohl Lichter senden, die über dunkle Blätter tanzen
und sogar in welke Blumen - wieder zarte Kräfte pflanzen:
Was in uns stirbt – trägt manchmal schon – die e r s t e neue Saat
So wie der Blick den Blicken floh, - und ziellos immer weiter weht
der, der dich nicht meinte - und dem du - in dir auch Heimat gabst
weil er verloren schien, und sich - an keinen Menschen länger band
als er dich - ganz plötzlich - auf deiner Parkbank fand
Du sitzt auf ihr mit deinen Tüten – und weil du müde nun - zu träumen wagst...
hat dich dein fremder Engel - im S t i l l e n L i c h t der N a c h t - erspäht
Ein Wort als Trost zu sprechen - weil man liebt
für ein schweres Los, für das es Trost - vielleicht doch gar nicht gibt
ist nicht nur schwer – ist ganz unmöglich (ohne dieses Licht)
Doch mitunter glaubt man an ein Zeichen, das alle Einsamkeiten bricht
das alle Worte übersteigt... wenn es sich zeigt
und weil es strahlt – nur, wenn man schweigt
ganz ohne Wunsch, durch fremde Macht: - Ein erster Wille…?!
Zwischen Kirchturmglocken und dem Weihnachtsschenken
liegt unbemerkt auf Stadtpark-Bänken – schon fast vergessen: das Christusfest.
Und weil sich ein Mensch so müd´ geworden – auf jener Parkbank niederlässt
findet er - in sich allein - die H e i l i g e N a c h t der S t i l l e.
Farben von: Ferne
Foto: Les Ardennes (Dulon)
Farben von: Ferne (aus dem Zyklus: FARBEN)
(inspiriert durch das Gedicht von Andreas Oltzen: Jetzt geh´ ich mit)
Du bist mein Wanderbuch fürs Weiterreisen,
für das Innehalten auf den leisen Wegen
Du erstrahlst in den Farben von: Ferne
die sich auf meine Wege legen
Jetzt - geh´ ich gerne
Du bist mein Routenplan, wenn mich nichts mehr hält,
die Kometenschnuppe, die nur fällt – weil ich sehe
Du bist der Weg unter meinen Wanderschuhn
der immer weitergeht, solang ich weiter gehe
Jetzt - kann ich ruhn
Du warst die Wüstenblume, die nur einmal ihre Blüten zeigt
die keine Wurzeln in die Erde treibt – an keinem Ort
Du warst das Heimweh-Kraut, als ich an Fernweh litt,
Du kanntest meine Zeichen und gingst fort
Jetzt - geh´ ich mit
Unter Wölfen (neuer Text)
(inspiriert durch Andreas Oltzens Gedanken über das philosophische Staunen)
Zwischen Gerüchten und den alten Geboten
jagen die Wölfe (was man noch jagen darf)
und reißen den im Zweifeln erprobten
Lauscher - aus seinem sonntäglichen Schlaf
Mit seinem gläubigen Geist - der nur mit Worten benennt,
seinem Wissen durch Denken - das alles erfasst,
erreicht er Erkenntnis, die kein Geheimnis mehr kennt
und dadurch - jedes Wunder verpasst
Denn nur dort, wo die Antwort ganz plötzlich verstummt,
ja selbst – alle Fragen scheinbar beiläufig verschwinden,
lässt sich schlussendliche der Grund
für das ursächliche Staunen finden
Ankündigung: Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Ankündigung: vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Küchengespräche
Beim Kaffeekochen sagtest du mir: „Ich geh! -
Ich werde dich noch heute verlassen!
Ich will nicht länger an unserer Liebe leiden
und möchte wieder auf eigenen Beinen
stehen.“ Wir tranken unseren Kaffee
aus den vergoldeten Sammeltassen.
Mittags, in der Küche beim Zwiebelschneiden,
da musste ich ganz plötzlich weinen
Der Schrei - Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen
Foto: Wolken über dem Greifswalder Bodden, Lubmin (Dulon)
Der Schrei
(Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen)
Ich habe deinen Blick im Blick
Und plötzlich kommt dein Blick zurück
und baut die Brücken unserer Seelen
Ich habe deine Art im Sinn
weil sich die Blicke ähnlich sind
und schweigen können - wenn die Worte fehlen
Ich kann dein Lächeln plötzlich lesen
Es ist so schön geworden! – Ist es schon immer schön gewesen?
In meinem Blick – erscheint es neu
Du trägst auch Kummer - gut versteckt
ich hab´ ihn erst - in deinem Blick entdeckt.
Als er auf meinen traf – so zart und scheu.
Mit dem Geheimnis – das i c h bewahre
trennten sich die Augenpaare
und wurden - füreinander - wieder frei
Doch könnten wir mit Augen hören
ich hörte – ich könnt´ es auch beschwören
ganz sicher - einen leisen Schrei
Das ganze Theater
(Inspiriert durch das Gedicht „Der Eine“ von Jörg Nath)
...doch der Eine aber
der immer nur wartet,
der die Proben versäumt
und seine Texte vergisst
dem du all deine Namen gabst,
den du misstrauisch beäugst,
weil er in seinem Garten
die Blumen heimlich begießt.
Er bleibt wie er ist,
hinter all seinen Masken,
die sich täglich verändern.
Schau – wie er seine Hand plötzlich hebt...
Dieser Eine wird sprechen,
wenn der Vorhang fällt
und sich im halbdunklen Saal
die Premiere verlängert...
Schnitter und Schneider
Immer war mir jenes kleine Wäldchen lieb
das sich mit seinen scheckig scharfen Scherben
bis über den Horizont hinaus verschiebt
um alle Wetter bunt zu färben
Ich weiß, was des Waldes Blätter treiben
und gebe ihrem Leben Sinn und Halt
durch einen Ast mit vielen Zweigen
der zu einem Baum gehört - im Wald
Was meinem Blick verschlossen... Bleibt!
weil ich es will und kann und glaub´
Ich bin der Schneider für das frische Frühlingskleid
und als Schnitter feg´ ich das herbstlich welke Laub
Das Wüstentier (DER SOHN V)
Foto: BANK AM MEER - Lübeck, Dulon
Das Wüstentier (DER SOHN V)
Am Anfang wird ein Tier geboren
Mutterlos verstockt, verloren
aus einem Wort, das dich erreicht
und fortan - nicht mehr von dir weicht
Geboren wurd´ es um zu sehen
Nicht - um das Leben zu verstehen
So sah dein Aug´ den neuen Tag
der sich noch scheu vor dir verbarg
hinter alten Trieben, die verbrannt
sich brechend bohrten - durch den Verstand
Wer führte dich? Wer schlief bei dir?
Wer sah in dir das Wüstentier?
(siehe SOHN I)
Verregnet sind des Reiters Wolken
Der Himmel hüllt sich tief in Grau
Die Schimmel, die dich führen sollten
täuschten dich – wer weiß genau,
ob Väter wieder Söhne werden
und Söhne vor den Vätern sterben
Es wehten Feuer durch die Nacht
Die Kämpfe deiner eignen Schlacht
Zwischen “Gott ist tot” und “Gott verfluche”
begannst du - ohne Not mit deiner Suche
Wer war bei dir? Wem gabst du Schutz?
Wen hast du einfach ausgenutzt?
Du warst zu schwach, zu widerstehen
Du wolltest nicht zu Grunde gehen
Mit deinem Wort und allen Schwüren
musstest du dich selbst belügen
Wer dir verzeiht, fleht selbst um Gnade
Wer dich erkennt, wählt deine Frage
(siehe SOHN II)
Das Klopfen an den tausend Türen
zog dich nur tiefer in den Dreck
Du konntest ihn in Straßen spüren
und hast dich dann mit Schlamm bedeckt
So hast du deine zweite Haut
zum Schutz aus Straßenschmutz gebaut
In dir pocht noch Lebensglut
- kraftlos zwar und ohne Mut -
Doch bleibt dir wohl der alte Schein
der dich lehrt – nicht laut zu schrein
Wer immer deine Schritte lenkt
kennt Lüge, Liebe - als Geschenk
Was dir hilft – ist nur noch leise
Du bist so lang schon auf der Reise
die dich nicht näher zu dir bringt
weil jeder Schritt im Sand versinkt
Hat dich die Tiefe nur erschreckt
weil dich der Sand bald ganz bedeckt?
(siehe SOHN III)
Der Fährmann fuhr den Fluss hinauf
mit den Schatten auf dem Deck
Für dich klang es nach Lebenslauf
wie ein Schrei, der dich nicht weckt
und dennoch deine Träume stört
Wo lebt das Bild, das dir gehört?
Langsam zog dein Lebensstrom
durchs Uferland – noch dünn bewohnt
mit Früchten auch an fremden Quellen
Wer lebte an den Wasserstellen?
(die dir als Gast wie Heimat waren)
Warum musstest du noch weiterfahren?
Du lebtest schnell - doch ohne Ziel
du wusstest nichts und sagtest viel
Jetzt hat dein Leben dich gewendet
Du stehst am Anfang, wo es endet
weil du vergisst - dich zu verfluchen
und aufhörst - einen Sinn zu suchen
(siehe SOHN IV)
Unter weiten Sternenbildern
wolltest du die Liebe zähmen
und mit ihr durch Nächte wildern
nach dem Ruf in deinen Genen
aus Täuschung, Lust und Lebensgier
weiterleben – wie ein Wüstentier
In deinen Ohren – Krähenschrei
deine Augen zählen drei
schwarze Vögel auf dem Ast,
der sich bewegt durch diese Last
Ein wenig Schnee fällt wie ein Wehen
von dem Ast der schwarzen Krähen
Was Orpheus sah? Den Hermes nur? *
und neben ihm: die dritte Spur
führt wohl hinab aus diesem Leben
Ein Vogel fliegt dem Gott entgegen
Frierend bleib ich´ - leicht gebückt
mit nur zwei Krähen hier zurück
* vgl: „Orpheus, Eurydike, Hermes“ von Rilke
Scherben und Kreise (bis an den Rand)
Foto: Vendsyssel-Thy - Jacques Dulon
Scherben und Kreise (bis an den Rand)
(Eine Verbeugung vor Pablo Milanes und seinem Lied „Yolanda“)
Dies Lied kann nicht mehr sein - als ein kleines Gedicht
obwohl ich wünschte, es wäre - ein Schwur, der nicht bricht
auf die gebrochene Liebe, die keine Rücksicht mehr nimmt
die nichts mehr verspricht, wenn alles - von vorne beginnt
Ich trag´ diese Liebe - als mein kostbarstes Kleid.
Sie reicht an den Rand - meiner endlichen Zeit
Wärest du nicht bei mir, stürbe ich nicht aus Gram
Doch begänne mein Sterben, auf einer (recht) mühsamen Bahn,
dann wünschte ich mich - in deine Arme zurück
in denen ich fand: Mein ursprünglichstes Glück
Sie tragen ein Geheimnis, das ich in mir bewahre
Es reicht an den Rand - meiner letztlichen Tage
Wenn ich dich jetzt sehe, spür´ ich die Kraft, die verzeiht
die aus den Schichten der Angst, mich wieder befreit
Du entkleidest mich wortlos - ohne mich zu beschämen,
aus liebender Lust - mit trauernden Tränen.
Sie tragen keine Grenzen, nur Scherben und Kreise,
die ich für dich ziehe - bis an den Rand meiner Reise
Doch kommt jener Tag, der mich für immer besiegt
mit der Sonne am Morgen, die vor der Nacht in mir flieht
dann sing´ ich das Lied, das du mich einst lehrtest
als du mich das erste Mal - so zärtlich begehrtest,
als sprächest du leise - dein tiefstes Gebet,
für den Rand, an dem jeder - einmal nur steht
Künstler interpretieren Dulon
Nicholas McDonald interpretiert: Linda *
Reiner Schubert interpretiert: Im Schatten junger Frauenblüte (Der Maler) *
Mein Liebeslied für Dich *
Der schlimme Mann *
Banksy
Elisabeth Oltzen interpretiert: Dein Nicht-Nein **
Dieser seltsame Reiter (Der Sohn I) ** ***
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille **
Hertz-Bande interpretiert: Welches Wort +
Marie von Kuck interpretiert: Schatten auf Wände
Für mich war nur der Herbst bestimmt
* nicht (mehr) auf dieser Seite
** Elisabeth Oltzen - Lübecker Lyriktreff (luebeckerlyriktreff.de)
Banksy - Musik und Gitarre: Reiner Schubert
Foto: Leipzig (Dulon)
Banksy
(Mahner, Dichter und Humanist in einer dekadenten Zeit)
Der größte Poet malt seine Zeichen
- wenn er über das Menschliche schreibt -
direkt auf die Mauern unserer Zeit;
nicht fragend – Wen... kann ich erreichen ?
Wissend, - dass wir in diesen Trümmern erblinden,
im Abfall ersticken – ist auch er - vom Staub schon bedeckt
und malt seine Verse - direkt auf den Dreck,
wie... Gebete, - denn nur dort können wir finden
was wir – schon in uns gesucht – doch niemals gefunden.
An den Abrisskanten von unseren Städten
- mit ihren offenen Adern, ihren nicht heilenden Wunden -
gelingen ihm Bilder, hier sieht man ihn beten
diesen heimlichen Mahner, diesen... ganz großen - Poeten
Schatten auf Wände (interpretiert von Marie von Kuck)
Foto: Schatten auf Wände, Berlin (Dulon)
Schatten auf Wände
(Eine Verbeugung vor Alda Merini und ihrem Text: E poi fate l'amore)
Und dann... - dir die Liebe schenken
Die gemeinsame Liebe, nicht den einsamen Sex
bei dem sich die Körper - nur kunstvoll verrenken
verkleben - doch nie etwas zusammenwächst.
Ich sah dich verletzt - an der Häuserwand kleben
und ich - saß daneben
Die tastenden Küsse - zuerst nur mit Blicken
Augen in Augen getaucht, - die Geschichten erzählen
Vom Hoffen und Hadern und - Weiterschicken
durch dein dunkleres Reich - in dem Geheimnisse quälen
Deine Stimme gebrochen - von einem lautlosen Schrei
Meine, die schwieg – Verzeih!
Bis meine Hände dann lernten - von deinen Augen
so zärtlich zu küssen, als würden - dich Federn berühren
frei von der Gier, sich mit roher Gewalt – an dir festzusaugen
denn sie können nichts halten – nur streicheln, dich spüren....
Deine Schatten gesehen, - die wie alte Tapeten
in fröhlichen Fetzen - im Frühlingswind wehten?
Was den Händen geschenkt, - auch den Lippen gelehrt:
Deine Schultern zu küssen, - deine Arme und Brüste
ohne dass deine Seele sich mit den bleiernen Bildern beschwert
und ertrinkt in den Fluten - einer längst verlassenen Küste
Kannten denn Steine - das Gewicht deiner Schwere?
Kannte die Luft – deine innere Leere?
So erkunden die Seelen - auch die geheimsten Gezeiten
an steinlosen Stränden, - mit den weicheren Wellen
auf denen ihre Schatten über die Wasser reiten
und sich ihre Tiefen - für Sekunden erhellen.
Doch als die späteren Winde - dich von der Häuserwand rissen
Wusste ich plötzlich – Ich werd´ dich vermissen.
Das war unser Leben! - der Liebe Geschenk!
Was konnten wir retten? Was wurd´ uns verwehrt?
Und warum ich noch immer - manchmal - an dich denk…?
Deine Liebe hat mich - wieder lieben gelehrt.
Auf die Häuserwand fällt - mitunter - ein flüchtiger Schein
Ich erkenn´ meinen Schatten – Er sitzt dort allein
Aristoteles´ Schüler
Ich denke, ich habe mich - dümmlich verdacht
Wahrscheinlich bin ich - auch gar kein Genie
Bei dir ist´s manchmal - alles ganz einfach
Nur bei mir geht häufig - vieles auch nie
Ich weiß um mein Wissen - und um meinen I.Q.
und fiel´ mir das Denken - nicht ständig zu schwer...
Ich wüsste sogar - noch viel-weiteres mehr
Man lernt ja im Leben - mitunter dazu
Du erklärtest mir Geister, die Guten, die Bösen
und sagtest, du hättest - ihre Welten durchschaut...
Doch um einen festen Knoten - gordisch zu lösen
musst du nur wissen, wie man mit Schwertern draufhaut
Horen - die beiden Reiterinnen
Ich ritt mit ihr durch heitere Sommersonnenwinde
als mich noch keine Sorgen, Ängste quälten
Sie führte mich, dass ich die rechte Richtung finde
und versprach mir wohl - die schönsten Liebesschätze
Wir wussten viele - glanzbezogene Nebensätze
und trugen Minen, die etwas Wichtiges erzählten
Dann traf ich auf jene dunkle Reiterin
der Winterzeit, mit den langen, trostbefreiten Leiden
Auch sie wurde mir die treuste Weg-Begleiterin,
schweigsamer als ihre Schwester, was mich zuerst noch störte
auch weil sie scheinbar all meine Klagen achtlos überhörte
Doch der bess´re Freund - war diese Zweite von den beiden
kein Gesicht
Foto: kein Gesicht, Hainich (Dulon)
kein Gesicht
Du sagst, im Winter, der Schnee auf den einsamen Wegen…
doch dann erstarrt dein Mund zu einem tonlosen Zeichen.
Auch die Flocken zerplatzen, die sich auf deine warmen Lippen legen
um sie vage mit dem Salz - mutmaßlicher Tränen - zu bestreichen
Du liebtest zu viel und - jetzt liebst du halt nicht!
Was war, ist vergangen, oder... vielleicht ist es auch ganz anders gewesen
Nur aus dem Spiel deiner Minen - wird kein Gesicht
Sie sagen nur still – ich soll dich nicht lesen
Bist du dieser Schatten, den ich durch mein Leben trage,
der mich verdunkelt, verhöhnt und im Spiegel entstellt,
der bei mir bleibt, auch wenn ich das Glas dann zerschlage,
und es in mir zerbricht oder zu Scherben zerfällt?
Doch du antwortest nicht
und aus dem Spiel deiner Minen - entsteht kein Gesicht.
Vogelzüge im Norden
Foto: Holnis-Halbinsel, Dulon
Vogelzüge im Norden
(durch falsche und richtige Konjungtive)
Rönne der Regen reichlich auf Rügen
Räten die Raben rüber zu fliegen
Von Rerik nach Ribnitz sollten sie ziehen
Zeitig am Morgen und in zahllosen Zügen
Doch frögte ein Vogel: Was sie dort wohl solln
Er flöge ganz sicher übers Meer nach Bornholm
Schiene die Sonne auch einmal in Schweden
Schwöbten die Schwalben nicht immer im Regen
Würden sich wie schneegleiche Schwäne bewegen
Als zögen sie über die Gärten von Eden
Bis in südliche Zonen – um sich zu schonen
Oder auch nur: Um in Schonen zu wohnen
Verspielte Liebe
Foto: Straßenbild in Berlin
Melancholien
Südwärts - mit dem Norden in mir (eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)
(zwei Regen)
Spür´ wie zwei Regen
mich überziehen
zwei bittersüße
Melancholien
Delante del Sol (Arbeitsdemo)
Foto: Vendsyssel-Thy (Dulon)
Delante del Sol
Porque siempre hay una nube delante del sol?
Cual la vista oculta y dentro de mí
Bajando las sombras en mi caracol
Hasta la luz no existe - y no puedo vivir
Pero también hay una luna luciendo los cuerpos
En las noches obscuras por la eternidad
Entrando la luz por todo los muertos
Como yo sin ti - sin tu amabilidad
Darme tu cuerpo por mi alma obscura
Por mi vida secreta, donde canta un ciego
Darme tu alma por mi luz interna
Y yo voy a volver - con ojos sin miedo
Vor der Sonne, (inhaltliche Übersetzung)
Warum gibt es immer eine Wolke vor der Sonne?
welche die Aussicht verdunkelt und in mir
Schatten wirft bis in mein Schneckenhaus
bis es kein Licht mehr gibt und ich (dort) nicht leben kann
Aber es gibt ja noch den Mond, der die Körper erleuchtet
in den dunklen Nächten für die Ewigkeit
in die das Licht eintritt, für all die Toten,
wie ich einer bin - ohne dich, ohne deine Liebenswürdigkeit
Gib mir deinen Körper für meine verdunkelte Seele
für mein geheimes Leben, wo ein Blinder singt
Gib mir deine Seele für mein inneres Licht
und ich werde zurückkommen mit Augen ganz ohne Angst
Sonnet about a Poet
(inspired by Iryna Sorokovska)
Seemingly fingers dig lines on my face
not knowing about yesterday´s sorrow
and the upcoming grief for tomorrow
so – whatever they do: It isn´t my case
I saw this carved masquerade in broken windows
asking myself – is it me? - or someone nearby ?
The wrinkles gave answer or at least they try
to sketch the secrets of life - I won´t show
Intoxicated by the blood of a poet
I found some words perhaps close to the truth
and forced myself to pretend: I know it
but I couldn´t catch never the wisdom I´ve used
Only the last one remains untouchable save
`cause it has started already digging my face
Gesichter eines Dichters
der Versuch einer „sehr freien“ Nachdichtung von meinem Text „Sonnet about a Poet“
Anscheinend graben Finger Falten in mein Gesicht
die nichts von mir wissen - von meinen gestrigen Sorgen
und meiner zukünftigen Trauer - vielleicht schon von morgen
Was immer diese Linien bedeuten - sie kennen mich nicht
Ich sah dies Gesicht in den Gläsern zerbrochener Scheiben
und konnt´ nicht verstehen, wen ich dort sah
mich selbst ?- oder nur einen Menschen, der mir ähnlich war
und den anderen täuschte ? – Oder war ich keiner von beiden?
Das Blut eines Dichters berauschte das Denken
meiner wortreichen Seele aus fremden Gefühlen
die mir bis heute – die schönsten Verse schenken
Ich schrieb´ sie ohne zu wissen - zwischen den Stühlen
frei von Erfahrung, ohne Verstand, und weiß nur zu sagen,
dass unsichtbare Finger – Linien in meine Gesichter graben
Brandgeruch
(Inspiriert durch „A une passante“ von Charles Baudelaire)
Betäubt von der Straße, von ihrem Gebrüll
seh´ ich im Nebel zwei Beine flanieren
die an mir vorbei durch den Morgen spazieren
hin - zu den Reklamen für den zukünftigen Müll
Diese Beine wurden ganz sicher Statuen entrissen
der Venus vielleicht - oder der Pallas Athene
Nicht passend dazu - die kommende Szene:
Wie Bettler - ganz ungeniert - in den Rinnstein pissen
Ich blicke in das Gesicht dieser griechischen Frau
und weiß sogleich, warum ich sie kannte
Doch wer zu viel weiß, der wird nicht mehr schlau
und sieht in Gedanken, dass selbst Troja brannte
Drum schließ´ ich die Augen, um sie zu vergessen...
Ich hab´ doch im Grunde – auch ganz andre Interessen!
Lustige Leichen
(inspiriert durch Susi Kaffka)
Letzte Nacht hast du mir alle Scherze zerbrochen
in kryptische Teile! Doch ich habe sie wieder zusammengeklebt,
mit Frischluft beatmet (sie haben etwas stark nach Friedhof gerochen)
und sie anschließend erfolgreich wiederbelebt
Könnte ich mir jetzt noch einen neuen Humor besorgen...
Meinen alten hattest du zwischen die Todesanzeigen gelegt
um ihn im Container für Wertstoff-Leichen zu entsorgen
- weil ihn, wie du meintest, sowieso keiner versteht -
Ja, dann hätte ich es – wirklich faustdick hinter den Ohren
Wäre ein gar lustiger Schalk, der fröhlich seine Bierrunden zieht
Dann klänge ich nicht so vereinsamt, hilflos und verloren
als ob neben mir eine weitere Leiche auf dem Totenbett liegt...
Ich würde sogar - mit dir gemeinsam – nur kurz zum Schmunzeln
in den Keller gehen, ganz leise - und – natürlich im Dunkeln
silberne Sonnen
Foto: DAS PAAR, Porto (Dulon)
Nur ein Sammler
Foto: AN DEN HIMMEL GEHÄNGT, Berlin (Dulon)
Krieg und andere Grausamkeiten (Texte gegen die Barbarei)
Unpassende Fragen
Ist Verbrechen als Rache für Verbrechen kein Verbrechen?
Ist Leid durch Rache für Leid kein Leid?
Ist Folter als Rache für Folter keine Folter?
Ist Mord als Rache für Mord kein Mord?
Ist Rache als Rache für Rache keine Rache?
Ist Zerstörung als Rache für Zerstörung keine Zerstörung?
Ist Hunger durch Rache für Hunger kein Hunger?
Ist Krieg als Rache für Krieg kein Krieg?
Ist Terror als Rache für Terror kein Terror?
Wird Rache als Rache für Rache zum Recht?
Rückblicke, Einsichten und Dank
Eure Favoriten unter den Dulon-(Audio)-Texten, (Entstehungsjahr des Textes)
Gesamter Zeitraum 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
2. Mondschattenbilder (2014) *
3. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)
4. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
5. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
5. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
7. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *
7. Der Schrei (2023)
9. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *
10. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) *
11. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) *
11. Vollmond (Eine alte Liebe) (2012) *
13. Ja, so ist sie... (1981) *
13. Mein sprachloses NEIN (2023) *
15. Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) (2022) *
16. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) *
16. Kurze Zeiten der Liebe (1981) *
18. Pastorale (Die Heilige Nacht der Stille) (2023)
18. Tajuras Lied (2022) *
2021 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
2. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *
3. Linda (2005) (Musik: Nicholas McDonald) *
2022 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
2. Mondschattenbilder (2014) *
3. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
2023 1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)
2. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
3. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) *
2024 1. Der Schrei (2023)
2. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023)
3. Farben von: Ferne (2023)
Oktober 2021 1. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *
November 2021 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
Dezember 2021 1. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) *
Januar 2022 1. Die Poeten (2020) *
Februar 2022 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
März 2022 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
April 2022 1. Hey Jim (Sunset over Zanzibar) (2010) *
Mai 2022 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
Juni 2022 1. Tajuras Lied (2022) *
Juli 2022 1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
August 2022 1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
September 2022 1. Mondschattenbilder (2014) *
Oktober 2022 1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *
November 2022 1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *
Dezember 2022 1. Geheimnis vom Fliegen (2020) *
Januar 2023 1. Im Turm der Dichter (2022) *
Februar 2023 1. Im Turm der Dichter (2022) *
März 2023 1. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) * // Ja, so ist sie (1981) * // Mit der Zeit (2011) *
April 2023 1. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) (2023) *
Mai 2023 1. Kurze Zeiten der Liebe (1981) *
Juni 2023 1. Der Wikinger (2022) *
Juli 2023 1. Ganz in deiner Nähe (Eine Frau unterwegs) (2022) (Nachdichtg.v."A solo un paso de aqui", C. Puebla) *
August 2023 1. Sizilianische Wanderungen (2023)
September 2023 1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)
Oktober 2023 1. Verspielte Liebe (2004)
November 2023 1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
Dezember 2023 1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
Januar 2024 1. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023)
Februar 2024 1. Nur ein Sammler (1983)
März 2024 1. Ja, so ist sie (1981) *
April 2024 1. Dieser Mann der sieben Seelen (2024)
Mai 2024 1. Für mich war nur der Herbst bestimmt (2001)
* Audio-Texte nicht mehr auf dieser Seite, ~ ein Tschüß für alte Freunde.
Für mich war nur der Herbst bestimmt (Marie von Kuck interpretiert Dulon) Neuer Audio-Text
Foto: Rhön (Dulon)
Ankündigung: November im April - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Traumpfade
Sizilianische Wanderungen
Sizilianische Wanderungen
(nach Motiven aus dem Gedicht „L'après midi d’un Faune“ von Stéphane Mallarmé)
(Prolog)
Beim Wandern am Etna überkam mich der mittägliche Schlaf
als ich mich - erschöpft unter Rosen – in den Schatten legte
Ich träumte einen langen, erotischen Traum – so dass die Erde erbebte,
Risse bekam, sich auftat und mich in ihre Felsspalten warf
Ich fiel – oder war es ein Schweben durch paradiesische Zonen? -
Bis ich schließlich erwachte - auf einer Wiese im Wald
von Kiefern umgeben, schon knorrig und - urzeitlich alt
Dazwischen tanzten Najaden, die seit ewigen Zeiten an Seeufern wohnen
Sie sangen und spielten auf seltsamen Flöten
Melodien nie zuvor gehörter Lieder - vom waldbeherrschenden Pan
Tanzten dabei mit ihren nackten Gliedern - ganz ohne Scham, ohne zu erröten
als sie mich ausgestreckt im Gras liegen sahen
Doch schon beim nächsten Ton - waren sie ganz plötzlich verschwunden
Da - wo sie eben noch tanzten, hab´ ich nur - ihre Flöte gefunden…
I (Verwandlung des Wanderers, Erwachen als Pan)
...all diese Nymphen! Ich möchte sie in mir bewahren
Ihr Licht mit Stoff bekörpern, bis die Luft dann schwingend tanzt
Will ich hin zu ihnen - durch die dunstigen Zonen meiner Träume fahren
Ganz!
Haben sie mich nur im Schlaf verlacht?
Meine Zweifel durchdringen die inneren Schichten auf der anderen Seite der Nacht
und erblicken in den feinen Ästen, die mir als Zeichen bleiben
hölzerne Fasern, die sich immer feiner verzweigen
Für meinen Mut – damit ich es wage, auf Rosen zu wachen
Überall dort, wo in mir noch die Stimmen der Nymphen lachen -
Da explodieren meine überspannten Sinne zu einem fehlgeleiteten Scherz
und meine Sehnsucht, die schon meine erwachenden Augen schmerzt,
bilden so keusch - die Quelle meiner zukünftigen Taten und Sorgen
wo die klarsten Wasser noch warten - in den dunkelsten Tiefen verborgen
Ich will die warme Sommerluft abstreifen, die sich in meinem weichen Fell verfängt,
mich bewegungslos, apathisch hält, mich ermattet und mich zur Ohnmacht drängt
und immer wieder zu ersticken sucht.
– Dann denk´ich an die Strahlen einer neu erwachenden Morgenröte
die vom Plätschern des Baches begleitet – zu den Tönen meiner frisch geschnittenen Flöte
den Wald mit Akkorden bestreut
und mich mit Melodien erfreut…
II (Erste Erinnerungsbilder – Überkommende Wollust)
Doch nun hat sich der trockene Regen in meinem Instrument verfangen und alle Wolken gedreht
bis zum Horizont - ohne dass sich noch ein Blatt an den Zweigen bewegt
Nur unsichtbar und künstlich leise höre ich durch meinen Wald weiter die Töne einer Flöte ziehen
Zarte Gesänge längst vergessener Melodien:
Die von den Sumpfgräsern erzählen - an einsamen sizilianischen Küsten
als ob sie etwas von dem leicht übersättigten Dunstlicht wüssten,
das stillschweigend von funkelnden Blumen am Meer erzählt
- und wie ich das Schilfrohr für meine Flöte gewählt
- und ich für die glasige Ferne der Felder den Goldstaub fand
- und ihn mit dem Grün der Reben am Brunnen verband
- und wie ein ruhendes, weißes Tier als Welle auf dem Flusswasser lag
- und mir zur Geburt meiner Flöte seine Melodien übergab
- Waren es Schwäne? Sie glichen den nackten Najaden
- Tauchten und zeigten sich mir - verlockend beim Baden...
Stilles Verlangen fiebert wie wild und zeichnet die Stunde
ohne zu benennen, die klaffende -niemals ganz heilende- Wunde,
die ich verfluche
Allein mit den Wünschen, für die dringendste Suche
brennt in mir Blut, das ein Feuer entfacht
mit uraltem Schein – im keg´ligen Schacht
Steh´ ich aufrecht, um euch wortreich zu bitten
für einen nichtssagenden Kuss auf stöhnenden Lippen
die jedem Treulosen erklären, was Treue wohl ist
Auf meiner Brust bluten Beweise für einen zu tiefen Biss
Geheimnisvolles Zeichen von einem scharfen Zahn
doch noch geheimnisvoller - ist eure Macht - über meinen Wahn
Eure Zartheit unter den azurblauen Dächern des inneren Glücks
Zwischen den Schenkeln mit den flink springenden Zungen - und wieder zurück
Träume ich weiter, wiederhole das Spiel
der Schönheit zum Trost, der Lust - zum göttlichsten Ziel
Gefälscht sind die Schwüre der leichtgläubigen Lieder
Ich moduliere sie neu und singe sie wieder
Zwischen meinen Träumen der Ohnmacht, auf verbotenen Wegen
will sich mein Blick mit geschlossenen Lidern - auf eure Körper legen
Dort spür´ ich die Linien meines eitlen Verlangens
III (die Najade Syrinx)
Ich erspähe die Syrinx, doch groß ist mein Bangen
Denn jungfräuliche Najaden warten doch nur - um göttlich weiterzublühen
bereit für die Flucht! - Wird sie auch vor mir durch ihre Schilfgräser fliehen?
und wie auf alten Gemälden ihren Gürtel ablegen?
im Schatten des Waldes auf ihren ureigenen Wegen
Ich saugte die Trauben der verwegensten Träume
zurück bleiben nur Bilder im Schatten der Bäume
bei verblassenden Sternen...
- Ich betrachte das helle Sommerzelt
und verwarte die Zeit, bis mich die Nacht überfällt
Betrunken vor Glück, werd´ ich mich an ihrem Leuchten berauschen
Und den Melodien ihres Körpers in meiner Flöte lauschen
- Mein flehendes Auge sucht dich im Schilf, (wo du an mich denkst)
- und unter dem Wasser, in dem du dein Glühen ertränkst
- mit einem Schrei, wohl zwischen Wollust und Stöhnen
- Der mächtige Wald - erwidert ein Echo, um mich zu verhöhnen
- Ich steh schon mit Füßen in deinem gräsernen Reich,
- das mit den schwimmenden Haaren den Gräbern ertrunkener Najaden gleicht
- So hab ich verletzt - deinen Willen, wie meine Füße es zeigen
- Dein Schilfrohr gebrochen, achtlos zertreten! - Musstest du leiden?
- War meine Eile zu groß, um dich zu entblättern?
- Hat meine Hand dich gehalten - nur um dich zu zerschmettern?
- Mit roher Gewalt, von der die Rosen nun singen
- wenn ihre Dornen wie Dolche, dir bis in deine Herzbahnen dringen
Ich bete dich an und bitt´ um Verzeihung
An deinen Körper gefesselt – suchtest du die Befreiung
gemäß deinem Schwur, den du der Artemis gabst
Ich wollte dich halten - als du in meinen Armen lagst
So göttlich dein Wollen, so menschlich mein Plan:
Versagten wir beide - und leiden daran
Wütende Tränen treiben den Nebel über silbrige Seen
- Stehst du an den Ufern, dann lausche den Feen
- Sie singen noch immer das traurige Lied
- Von der gebrochenen Flöte, (das durch meine Baumkronen zieht)
- Vom Scheitern der Menschen auf dem göttlichen Pfad
- Wo sich göttliche Schönheit mit menschlicher paart
- entsteht eine Hölle, in der keiner regiert
- keiner gewinnt und in der jeder - alles verliert
- Die Nymphen am See gedenken der Frauen
- die seit uralten Zeiten den Göttern vertrauen
- Und ich denke an dich und verfluch´ das Gesetz
- das mit göttlicher Allmacht die Menschen verletzt
IV (Ernüchterung und neue Pläne – Etna, Hephaistos´ Tochter)
Schade um uns – doch ich werd´ mich verlieben
wieder und wieder werd´ ich zu dem, - der in mir geblieben
ist - und nun überall lebt: Im Wald, an den Küsten und auch in den Sümpfen
Dort warten auf mich noch fremdere Früchte als die der göttlichen Nymphen
denn mein Blut wählt die Bahnen nach seinem eigenen Willen
und muss sein Verlangen - durch mich - an der Schönheit stillen
Ist sie eine Göttin? - Wird sie mir verzeihen!
Dann bin ich ihr Apostel, dann kann mich niemand befreien
Gefährtin der Venus, an sizilianischen Küsten
Die Lava fließt stetig, so als ob wir es nicht wüssten
Die Etna besteht nur aus glühender Erde
Sie will, dass ich bin! – Ich will, dass ich werde!
(Epilog)
Schwer wiegen die Bilder der sich jagenden Gedanken
Ich liege ermattet - unter blühenden... Blumenranken
in der Mittagshitze - und will nicht mehr büßen
Vor mir das Meer, und unter meinen Füßen
Brodelt die Erde und schenkt mir... sizilianische Trauben,
für den Wein, der mir hilft - an Liebe zu glauben
Humor ist, wenn ein Gleichstand gelingt
Warum ich intellektuell bin
Hinter den Grübchen
auf meiner Stirn
liegen zwei Stübchen
in meinem Gehirn
Das eine ist kaum,
oder nur spärlich möbliert.
Das ist der Raum:
Da wird das Denken trainiert
Der andere - etwas weiter entfernte
dient den wichtigen Interessen.
Da wird das mühsam Erlernte
dann wieder vergessen
Start und Ziele (auf einem Bumerang)
(Eine Verbeugung vor Ringelnatz)
Wieder wollten zwei Ameisen,
richtig weit und lang verreisen
Sie bestiegen Fernweh-krank
einen kleinen Bumerang
um durch die Lüfte fort zu schweben
und nebenbei auch zu erleben
wie lang man wohl zum Zielort fliegt
der immer dort am Startpunkt liegt
Ankündigung: Wolkenreiter - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Baluto
Text-Inspiration durch Cecilia Puebla
Foto: Farbenwelten im Wasserglas (Dulon)
Les enfants oubliés
…denn dies ist ganz sicher – unser letzter Planet
der sich um sich selbst – und unsere Sonne dreht
Und wir sind die Kinder – verlassen im All
Sammler und Jäger - und wohl auch Erfinder
vor dem letzten… – dem ganz großen Knall
Et nous sommes les enfants – seuls et abandonnés
qui tournent avec la planète – autour de leur soleil,
qui ont peut-être un cœur - trop libre et pourtant lié
à l’espérance de l'amour - avec le courage de la peur
Mais à la fin nous ne serons que - des enfants oubliés
(inhaltliche Übersetzung des französischen Textes)
und wir sind die Kinder - allein und verlassen
die sich mit dem Planeten drehen - um ihre Sonne
die vielleicht (sogar) ein Herz haben - zu frei und darum gebunden sind
an die Hoffnung der Liebe - mit dem Mut der Angst
Aber am Ende werden wir nichts weiter sein - als die vergessenen Kinder
Tschüß und Danke für den Besuch...
bis zum nächsten Mal vielleicht auch in eurem Theater...?
Jahresringe 1978-2024
(alle bisher auf dieser Seite veröffentlichten Dulon-Texte)
(geschrieben / Titel eines Jahres in alphabetischer Folge / Status)
1978 Manchmal für immer *
1981 Ja, so ist sie *
Kurze Zeiten der Liebe *
1983 Nur ein Sammler
1985 Der Weg meiner Liebe *
Ein Mann gibt Auskunft *
1986 Einstein oder Seit geraumer Zeit *
silberne Sonnen
1987 falscher Anfang *
1988 Lohn des Löhners *
Der ungewöhnliche Lebenslauf des Werner M. +
1991 Fragment in Blau *
Hieße ein Kreis… *
1992 Erkennen *
Fremdes Mein *
Kein Brief *
1993 Zwischen Wänden *
1995 All dies geschieht *
... einem anderen Ziel entgegen *
1996 Gesicht vor Spiegel #
1997 Unerhörter Weggang *
1999 Der anarchistische Dichterfürst *
2001 Für mich war nur der Herbst bestimmt #
2002 Jacob von nebenan (oder Die UFOs zum Mars) *
November im April +
2003 Die sich auflösende Welt des Dr. K.*
2004 Herzgewalten *
Kollegin #
Verspielte Liebe
2005 Auf der Baustelle *
Das Albino-Reh*
Eine Freundin *
Linda *
M-Trick *
2006 In meinen Straßen (Gegend namens Glück) *
Mehr haben wir nicht (Rue de Madeleine 90) *
weitsichtig *
2008 Farben (eine Oktalogie in Fragmenten) *
Souls to carry *
2009 Im Schatten junger Frauenblüte *
2010 Hey Jim (Sunset over Zanzibar) *
2011 Mit der Zeit *
Wolkenreiter +
2012 Mord am Morgen *
Vollmond oder Eine alte Liebe *
2014 Mondschattenbilder *
Next to Arica (I can see your face from here) *
2015 Baluto (Ein Liebeslied in einer nicht-existierenden Sprache)
Helgas Herzen *
2016 Farewell in Blue (Next to Pilat) *
Leaving the Table *
Melancholien
Vogelzüge im Norden
2017 Ballade vom Wein in Aveiro *
Der Elch II *
Gedicht ohne Ziel *
2018 Delante del Sol
Die Nacht vor dem Frühling (DER WANDERER II) *
Jetzt *
Snow in the Mountains *
2019 Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) *
Der Fremde (Wie er war als er ging) *
Ein Zimmer und zugleich eine Wüste *
Welches Wort *
2020 Dichten erlernen *
Die Poeten *
Geheimnis vom Fliegen *
Holunder *
Kann man das Dichten üben? *
Was wird bleiben (von meiner Dichtung) *
2021 Brücken (Zwischen den Seelen) *
Die Klobrille *
Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) *
Fluchthelfer *
Halt ein *
Kronos (Die Zeit der Ruinen) *
Mein Liebeslied für dich *
Schmutz an den Schuhen regennasser Straßen (DER SOHN II) *
Tsunami *
2022 24.02.22 *
Asche wie Schnee *
Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) *
Bekenntnisse *
Brücken ohne Ufer *
Countdown (ins Beschränkte) *
Das Wüstentier (DER SOHN V)
Dein Nicht-Nein *
Der Inn (Fluss-Gedichte:) *
Der schlimme Mann *
Der Sohn (Brücken ohne Ufer) (DER SOHN III) *
Der Wikinger *
Ganz in deiner Nähe (Ein Frau unterwegs) (Eine Nachdichtung von "A solo un paso de aqui" von Cecilia Puebla) *
Götterdämmerung *
Im Turm der Dichter *
Laotses Befragung *
Letzte Nacht vor meiner Kneipe (Ein psychopathologischer Alptraum über den Sommer 21) *
Mathematische Wunder oder Die Zeitgleichung *
Messer *
Mögliche Kapitulationen *
Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) *
Sinn als Zweck (oder: Ein kleine Exkursion) *
Tajuras Lied *
Unfertiges oder Eine Verbeugung vor Ringelnatz *
Warum Wunden nicht heilen *
Was zu tun ist *
Wir (als Verneinung) *
Wir (in der Vergangenheitsform) *
Wo dein Sternbild mir leuchtet (DER SOHN IV) *
Zum Wohle des Kindes *
Zwei Panzer (vor Kiew) *
2023 Als sie... (Zeitratten) *
An das Leben *
Aristoteles´ Schüler
Bauchgefühle unterm Honigmond (Die Zeit der Schmetterlinge) *
Bei mäßiger Zielsicht *
Bekenntnisse eines Dichters *
Brandgeruch
Der Krieg verharrt in der Todeszone *
Der Schrei
Die drei Gesichter (Wachsen, Blühen und Verwelken oder: Ein Lebenslauf) *
Die Zerbrechlichkeit der Zeit *
Ein Jahr *
Es ist ja kein Mord (von Häutungen und Verschalungen) *
Farben von: Ferne (aus dem Zyklus: FARBEN)
farblos und blind *
Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) *
Gesichter eines Dichters
Gott in Göttingen *
Horen - Die beiden Reiterinnen
John, Hello I´m in there (Pflastertreter-Ballade) *
Kleiderwechsel als Modenschau (Ein deutscher Lebenslauf) *
Krähengesang *
Küchengespräche
Les enfants oubliés
Lob der Müßiggangs (Hände im Schoß) *
Lustige Leichen
Mein sprachloses Nein *
Metamorphosen vom NEIN *
Mit dem Neuen Jahr (Eine Silvester-Selbst-Ansprache) *
Ortega oder Palabras urgentes para Nicaragua *
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille
Schatten auf Wände
Scherben und Kreise (bis an den Rand)
Sizilianische Wanderungen
Skylla und Charybdis (Gedanken über einen Abgesang auf die Demokratie) *
So oder so *
Sonnet about a Poet
Stille Geschenke *
Stimmen der Frauen vor Troja *
Südwärts - mit dem Norden in mir
Trump (or How to finsh Democracy) *
unpassende Fragen
Versuche über Carlos Gardel *
Vorfreude *
Warum ich intellektuell bin
(zwei Regen)
2024 Banksy
Das ganze Theater
Die Vergessenen #
Dieser Mann der sieben Seelen
Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) +
Kassandra, reloaded *
kein Gesicht
like Elvis (for being eternal) *
Odyssee (The Returning of H.P.) *
Schnitter und Schneider
Start und Ziele (auf einem Bumerang)
Tu y Yo (Individualismo y Soledad)
Unter Wölfen #
Verdächtige Zeiten (Blumen der Bösen) *
vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) +
(Status: + in Planung und angekündigt, # neu, ~ ein Tschüß für alte Freunde, * nicht mehr auf dieser Seite)
Werkstatt-Report (Neues von Dulon)
-immer die 10 aktuellsten Texte, direkt aus seiner lyrischen Werkstatt-
= März 2024 =
...
4. Banksy
5. Kassandra, reloaded *
6. Dieser Mann der sieben Seelen
= April 2024 =
1. Schnitter und Schneider
2. Die Vergessenen
3. Tu y Yo (Individualismo y Soledad) *
4. Unter Wölfen
5. Dicht am Stamm und Aug´ in Aug´ *
= Mai 2024 =
1. kein Liebeslied *
2. kein Liebeslied (im Mond-lichten Schein) *
(Status: * nicht (mehr) auf dieser Seite, + angekündigt)
Der HIDDEN TRACK im WEB-Versteck
An dieser Stelle erscheint im Jahr 2024 jeden Monat für ca.30 Tage eine neue Prosa-Erzählung von Dulon.
2024 Januar - ...einem anderen Ziel entgegen (1995) (aus: unterwegs)
2024 Februar - Gott in Göttingen (?) (2023) (aus: unterwegs)
2024 März - Die sich auflösende Welt des Dr. K. (2003) (aus: unterwegs)
2024 April - Lohn des Löhners (1988) (aus: unterwegs)
2024 Mai - Gesicht vor Spiegel (aus: unterwegs)
Gesicht vor Spiegel
In der Diskothek der Stadt schauten sich stolze Mädchen ihr Spiegelbild an. Sie erstarrten vor dem metallischen Glanz spiegelnder Oberflächen, um den Augenblick zu genießen, der ihnen die Gewissheit gab, dass sie in Schönheit lebten.
Manche Mädchen bekamen in dieser Nacht ein Lächeln, andere einen Kuss geschenkt; einige bekamen andere Geschenke... „Du trinkst viel heute“, sagte Marion. „Musst du in einer Nacht alles nachholen, was du die letzten Monate versäumt hast?“ „Versäumt? - da gibt es nichts nachzuholen“, brummte ich. >Du bist schön<, wäre die Antwort gewesen; und da sie auch der Spiegel verschwieg, blieb sie ungesagt. „Du bist betrunken und willst nur mit mir ins Bett“, hörte ich Marions Stimme. Sie drehte sich noch einmal zu mir um und lachte, „aber danke für das Kompliment“. Sie hatte ja nichts gesehen, konnte nicht verstehen.
Am vorherigen Abend hatten wir Santa Ana, ein ungefähr einhundert Seelen zählendes Pueblo in den westlichen Ausläufern des Amazonas, verlassen. Unser Büro lag etwa fünf Minuten vom Zentrum des Dorfes entfernt. Der knöcheltiefe Schlamm auf den Wegen zwischen meiner Hütte und dem Büro ließ eine Unruhe in mir aufkommen, die ich mit der Vorfreude auf den Stadtbesuch zu verdrängen trachtete.
Marion wartete schon im Büro. Es war fünf Uhr nachmittags, die letzte Stunde Tageslicht, die uns noch blieb, den Wagen für die nächtliche Fahrt durch den Urwald herzurichten. „Was willst du mit dem Wasser? Meinst du nicht, dass wir da draußen mehr als uns lieb ist bekommen werden?“ Marion reagierte nicht auf meine Provokation. Meine Anspielung auf die Regenzeit, in der selbst der kleinste Wasserlauf zu einem nur schwer zu passierenden Hindernis werden konnte, diente somit auch mehr der eigenen Psyche. Immer wenn es kritische Situationen zu überwinden galt, griff ich zum Hilfsmittel der Ironie. Sie ließ sich mühelos bis zum Sarkasmus steigern. Marions Stärke benötigte keine psychologischen Tricks.
Nachdem die Reisevorbereitungen soweit abgeschlossen waren und ich mich in meinen Gedanken schon in einer Stadtkneipe beim Bier sah - die schönste Stadtschönheit kam gerade mit ihrer Freundin durch die Kneipentür - da wurde ich durch Marions Stimme aus meinen Männerfantasien geweckt: „Wenn du Angst hast fahre ich alleine“. Eins zu Null für die Frau. Sie kannte mich gut und darum hielten wir uns auf Distanz und kamen gut miteinander aus.
Ich hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen, weil Marion sich zielstrebig auf den Fahrerplatz zu bewegte. Auch sie wollte mir etwas beweisen, und das beruhigte meinen Männerstolz. War ich noch Maßstab ihrer Ambitionen, konnte ich auf ähnliche Beweise in Ruhe verzichten. Marion startet den Wagen und fuhr los. Ich war sofort eingeschlummert. Dies hatte weniger mit Arroganz zu tun, als mit der Tatsache, dass ich die Zeit bis zum Fahrerwechsel so sinnvoll wie möglich gestalten wollte – in dem ich schlief.
Für die vor uns liegenden dreihundert Kilometer veranschlagten wir im günstigsten Fall eine Reisezeit von zwölf Stunden. Nach drei bis vier Stunden rechnete ich mit dem ersten Fahrerwechsel. Dann würden wir auch die Seitenarme des Rio Madre de Dios erreicht haben. Ich hoffte natürlich noch bis in den Traum, dass die Anlegestellen der Fähren für uns passierbar sein würden.
Wenn der Regen zu einer Selbstverständlichkeit wird, bekommt die Stille einen anderen Ausdruck. Sie erhält ein Grundrauschen, das durch die zerplatzenden Wassertropfen auf den Milliarden von Blättern die Begegnung mit dem Regenwald anzeigt. Es ist eine Stille, die jedes weitere Geräusch verschluckt, jede Unterhaltung beendet. Ähnliche Beobachtungen hatte ich am Meer gemacht, wenn bei schwerer See die Brandungswellen tagelang eine Symphonie von Mahler variierten ohne Musik werden zu wollen. Der Toyota schlingerte sich im ersten Gang von Wellental zu Wellental. Ein dumpfes Klopfen unterbrach mitunter die Regensymphonie, von der ich nicht mehr genau wusste, ob es sie auch tatsächlich gab.
Ein kräftiger Schlag direkt vor meinem Gesicht riss mich aus meinen Träumen. Erschrocken hob ich meinen Kopf von der Seitenscheibe, die mir als Stütze bei meinen Schlafversuchen gedient hatte. Ich drehte mich zur Marion. „Nichts passiert“, beruhigte sie mich ohne ihren Kopf zu wenden. Im matten, grünen Licht der Armaturenbeleuchtung konnte ich ihr Gesicht erkennen. Mit der Konzentration einer Tennisspielerin vor dem gegnerischen Aufschlag steuerte Marion den Toyota durch eine Furt. Ich erkannte trotz der uns umgebenden Dunkelheit, dass der Wagen von der starken Strömung einige Meter vom Weg fortgerissen wurde. Dabei muss ein tiefhängender Ast derart hart gegen mein Seitenfenster geschlagen haben, dass ich mich im Nachhinein wunderte, es noch unzerbrochen vor mir zu sehen. Ungläubig tastete ich es mit meinen Händen ab, um meinen Augen eine Bestätigung zu geben. Hatte ich doch beim Erwachen den knallenden Ton einer brechenden Oberfläche vernommen. Beruhigt stellte ich fest, dass ich mich getäuscht hatte. Als ich mein Gesicht erneut gegen die Scheibe drückte, um eine geeignete Schlafposition zu finden, erkannte ich die Gefahr, der ich bei dem Schlag des Astes ausgesetzt gewesen sein musste. Ich hatte also Glück gehabt, dass ich mit demselben Gesicht weiterleben durfte. Marions demonstrative Gleichgültigkeit mir gegenüber ärgerte mich. „Willst du mich umbringen?“, giftete ich sie Minuten nach dem Vorfall von der Seite an. Marion schwieg. Sie schaute nicht einmal in meine Richtung. Der Toyota hatte wieder halbwegs festen Boden unter den Rädern, und ich hatte mich soweit beruhigt, dass ich meinen Schlaf fortzusetzen gedachte.
Es gibt eine Zone vor dem Schlaf, die sich aus den unmittelbaren Ereignissen bedient, in der das Bewusstsein bei der Verarbeitung der Erlebnisse beinahe hinterhältig vom Schlaf erfasst wird. Zerbrochene Fensterscheiben stießen in mein Gesicht, mein Mund war gefüllt mit gläsernen Weihnachtskugeln, die bei dem ersten Schrei zu zerbrechen drohten. Konnte ich noch schmecken? War meine Zunge schon bedeckt vom eigenen Blut oder war es nur der metallische Geschmack der Christkugeln, auf den ich meine Sinne konzentrierte?
Der fallende Baum: ich sah den Ast, der meinen Schädel zu spalten drohte. Indonesische Polizisten mit Schlagstöcken mutierten zu den knüppelnden Jubelpersern, deren Bilder ich nur aus Zeitungen kannte. Die Schläge, die ich körperlich spürte, spalteten meinen Kopf, zerteilten meine Schultern, meinen Körper. Und schnell wie Überschallflugzeuge erschienen plötzlich tausende von gläsernen Tannennadeln, die sich in einer geordneten Formation vom Baum lösten und auf meine Augen zielten. Ich versuchte meinen Kopf zu drehen. Vergeblich; er war bewegungsunfähig, eingeklemmt zwischen den Schlagstöcken! Im letzten Augenblick riss mich eine Hand zu Boden. Ich hatte die Augen geöffnet. Marion sah mich an. Ihre Hand lag auf meinen Haaren. Sie hielt meinen Kopf, lachte, „etwas zu stark gebremst?“ Erst ganz langsam verstand ich die Situation. Du hast unruhig geschlafen und als ich anhielt, bist du mit deinem Kopf nach vorne geschossen. Ich konnte dich gerade noch mit meinem Arm abfangen, sonst hättest du jetzt eine Beule auf deiner Denkerstirn.
Die Morgendämmerung hatte begonnen. Der Himmel war wolkenfrei und leuchtend rot. „Kein Regen“, stammelte ich noch ganz benommen. Marion hörte mich nicht. Sie war ausgestiegen und machte gymnastische Übungen in der kühlen Waldluft. Das veränderte Klima belebte auch mich. „Wie hoch sind wir schon?“, rief ich durch die geöffnete Seitentür. „Ungefähr auf zweitausend, es sind noch 50 Kilometer“ ... Jetzt erst wurde mir bewusst, dass Marion sich nicht mit dem Fahren hatte ablösen lassen. „Den letzten Rest der Strecke schaffe ich auch noch“, entgegnete sie mir auf meinen fragenden Blick, als sie sich erneut hinter das Steuerrad setzte. „Außerdem lieferst du nicht gerade den Beweis für männliche Dynamik und Einsatzfreude“. War das nun ihre späte Rache für meinen nächtlichen Aggressionsausbruch?
Gegen neun Uhr erreichten wir die Stadt. Unsere Ankunft wurde durch einen Militärposten verzögert, der sich etwa eine Stunde erfolgreich weigerte, unsere Papiere entgegenzunehmen. Nachdem er schließlich von der Tagesschicht abgelöst wurde, die eine andere Dienstauffassung vertrat, konnten auch wir unsere Fahrt fortsetzen.
Das Hotel, für das wir uns entschieden, hatte zwar jede Menge freie Zimmer, aber alle mussten noch hergerichtet werden. Ich bestand darauf, dass dies sofort zu geschehen habe. Ich benötigte dringend ein Bett, nicht um zu schlafen, wie ich Marion versicherte, sondern um meine verdrehten Glieder auszustrecken. Ich schlief dann doch noch zwei Stunden und schleppte mich nicht gerade erholt unter die kalte Dusche.
Marion wartet schon beim Argentinier. Sie saß auf der Veranda und winkte mir übermütig von weitem zu. Ihre graue Urwalduniform hatte sie durch ein leuchtend blaues Kleid ersetzt. Ich versuchte höflich zu sein und stammelte mir ein Kompliment zusammen. Mein zweiter Gedanke war allerdings ein geschäftlicher, denn ich sah den Toyota vor der Veranda geparkt. „Warst du heute Morgen schon auf der Finca?“ Ich schaute sie ungläubig an. „Nur kurz“, antwortete sie spitz, „und dir gefällt wirklich mein blaues Kleid?“ „Was? Ja! sagte ich dir doch schon.“ „Eine Frau hört so etwas gerne öfter“. Ich hatte eine Erwiderung mit einem Papagei auf der Zunge, schluckte sie aber herunter, da sie einer Kriegserklärung gleichkam. Und heute Mittag sehnte ich mich nach Ruhe und Frieden.
Zum Kellner gewandt wiederholte ich Marions Bestellung und bekräftigte meinen Wunsch nach einem kalten Bier. Dabei bemerkte ich, dass meine Stimme weitaus mürrischer klang, als die meiner Kollegin. Die Nacht auf dem Beifahrersitz des Toyotas hatte halt ihre Spuren hinterlassen.
Die bestellten Steaks ließen nicht lange auf sich warten. Sie hatten die erwarteten üppigen, argentinischen Ausmaße. „Für den Preis bekommst Du hier allerdings auch schon eine einheimische Viehherde“, scherzte Marion. „Nach drei Monaten Urwald ist mir der Preis scheißegal“, grinste jetzt auch ich. Die angenehme Wirkung des Alkohols in der Mittagssonne unterstützte meinen Fatalismus. Der erste sonnige Tag seit Menschengedenken auf einer Höhe von knapp 3000 Metern, so kam er mir vor; so sollte es bleiben: Es kam anders.
Gabel für Gabel erreichte steakbeladen meinen Mund. Langsam waren meine Bewegungen; schnell das rückwärtige Zupfen einer Mädchenhand. Irritiert schaute ich mich um und entdeckte ein bettelndes Mädchen, das meinen Ärmel nicht mehr loslassen wollte. Ihren Kopf hatte sie nach hinten geworfen, in ihren Augen suchten die Pupillen orientierungslos mein Gesicht. Das vielleicht vierzehnjährige Mädchen war offensichtlich fast blind. Es ließ sich von einem kleinen Jungen führen, der mir ebenfalls seine kleine Hand unter die Nase hielt. Ihr plötzliches Erscheinen überraschte mich und ich griff gereizt nach dem trockenen Brot auf meinem noch halb gefüllten Teller. Mein Steak sicherte ich instinktiv, indem ich die Messerspitze in das Fleischstück drückte.
Die Brotübergabe misslang: Ohne mich erneut den Kindern zuzuwenden, legte ich dem Mädchen das pappige Weißbrot in ihre alte von Schmutz und Schwielen überzogene Kinderhand. Das nun folgende geschah so schnell, das selbst Marion, die direkt neben mir saß, unbeteiligt blieb. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie der Junge am Ärmel des Mädchenkleides kurz aber heftig zerrte. Daraufhin spreizte das Mädchen ihre Finger und mein Brotklumpen fiel auf die Erde. Mit einer plötzlichen Drehung riss sich nun das Mädchen vom Jungen los und lief direkt auf unseren Toyota zu. Auch der Junge schien von ihrer Reaktion überrascht, denn er blieb unschlüssig, beinahe verloren, an unserem Tisch stehen und schaute dem Mädchen nach.
Das Mädchen ergriff mit beiden Händen den rechten Seitenspiegel unseres Wagens und drehte ihn seitwärts nach oben. Dann drückte es sein Gesicht mit äußerster Gewalt auf die Spiegeloberfläche, verdrehte ruckartig den Kopf, so dass die vermutlich willenlosen Pupillen doch noch eine Bestätigung geben konnten. Suchte das Mädchen eine Antwort? Blieb der Spiegel dem Mädchen eine Antwort schuldig? Du bist hässlich, und du bist schön, und du bist hässlich, und du bist arm, und dein Gesicht ist gespalten, und du träumst manchmal schwer, und die Mädchen tanzen vor dem Spiegel, und ein Gesicht ist zersprungen, und...
„...der Ast, erinnerst du dich?“ rief mir Marion erstaunt zu. Ich stand am Toyota, schaute in den Seitenspiegel, in dem mein Gesicht in Scherben zerfiel.
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(ENDE des PROSA-PROJEKTES)
(Status: ? in der Sichtungsphase, * in Planung, ** in Vorbereitung, *** angekündigt)
PS. Wenn du etwas nicht verstanden hast, was man nicht verstehen kann... dann hast du alles verstanden (Dulon)
last update 18.05.2024