Fremde Fragmente von A bis Z (aus dem Lübecker Lyriktreff)

Als dieses Jahr seine Stimme verliert, sind unsere Silben frostbefallen (Maja Löwe) - Als mein Aug zu leuchten wagte und mein Herz die Hände hob (Frauke Krieger) - Auf dass die Schatten ihr Wesen verlieren (Jörg Nath) - Aufs Papier geblutet, formen die Worte die ersten Konturen einer neuen Suche (Jörg Nath) - Das ambivalente Lachen des Satzzeichens hallt durch den überfüllten Saal und alles wartet auf den Richterspruch (Jörg Nath) Das kleine Wasser hier im Park teilt seine Farbe mit der warmen Erde, kleine umhergeschneite Blütenblätter verhimmeln es mit Sonnentönen (Parijato) - Der Tag kam früh, um seine Ruhe zu haben (Parijato) - Die Worte, die ich nie schrieb, sind die stummen Zeugen eines unvollendeten Mosaiks (Jörg Nath) - Doch der Eine... er schweigt, wird ihm die Feder gereicht (Jörg Nath) - Felsriesen beklüften den Himmel (Parijato) - Gib mir ein W, dann gebe ich dir ein O und sage: In der Stille (Susanne Kaffka) - Hier ist dein Schatten weiß und unser Sommer nur geliehen (Maja Löwe) - Ich bin der Traum, den du nie träumtest (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Im Nebel der Ferne ahnt euch der Blick (Susanne Sörensen-Lohm) - In dem Spiegel hinter den Gläsern das ungenaue Ich (Jörg Nath) - In meinem Kopfflipper jagen Gedankenkugeln über die Spielfläche meines Gehirns, finden keine Löcher (Jörg Nath) - Manchmal nur einmal, vielleicht dann (Elisabeth Oltzen) - Meine Ungeduld, die hängt noch dort, an dem Haken bei der Tür (Marie von Kuck, Gästezimmer) - Mond im Watt. Es dunkelt die Bläue (Susanne Sörensen-Lohm) - Semprarte para que luego vuelvas (Jorge Campero, Gästezimmer) - Und wenn in der Ferne nichts als Ferne wär; jetzt geh ich mit (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Untergegangen in den regelmäßigen Sitzungen meiner Zeitfresser (Jörg Nath) - Verliert sich die Weisheit in den Winkeln unzähliger Realitäten? (Jörg Nath) - Worte, nicht gesagt, nur gedacht und dann vergessen (Elisabeth Oltzen) - Zuhause sein ist wie auf Reisen gehen, in die innere Welt (Elisabeth Oltzen)                 

But what if a woman were to appear to me in the night

Holding a child in her arms

And what if she were to say:

Take care of my child

I would reply:

How can I?

She would repeat:

Take care of my child

I would reply:

I cannot.

She would insist:

Take care of my child.

 

Then – then,

because I do not know how to do anything

And because I cannot remember anything

And because it is night –

I would stretch out my hand

And save the children.

 

Because it is night,

Because I am alone in another´s night

Because this silence is much too great for me,

Because I have two hands in order to sacrifice the better of the two

And because I have no choice

 

                                       *(Clarice Lispector)

 

 

Jacques Dulon...

...schreibt Lyrik, Prosa und ist als Reisefotograf unterwegs (www.jacquesdulon.com/whats-new)

Alle Texte und alle Fotos auf dieser Lyrik-Seite sind von Jacques Dulon; außer: *

 

                                                                         (Foto: Selbstportrait - Jinja, Uganda) 

Gestaltung der Dulon-Seite: Felicitas Krüs, Auswahl der Texte: Jackie Dong 

Gedicht des Monats: 2024, Mai

                     

Kollegin (Neuer Text)

 

Die Dame an der Bar im Hotel

Zwinkert mir zu (sie macht es für Geld)

Das ist es, was sie zum Zwinkern treibt

 

Ich suche den Stift, die Suche geht schnell

Und betrachte die Dame - ich mach es für Geld:

Das Gedicht, das ich über ihr Zwinkern schreib

WAITING FOR A FRIEND - Berlin, Dulon
WAITING FOR A FRIEND - Berlin, Dulon

Dieser Mann der sieben Seelen

Foto: Fischland (Dulon)

 

Dieser Mann der sieben Seelen 

 

Dieser Mann, der tut so heimlich

als ob er wüsste, was ich weiß

Er ist ein Blender - und mir peinlich!

Was nur weiter für mich heißt:

Er kann mich mal…! mit seinem ganzen Hokuspokus-Scheiß

 

Er sagt, er trüge schwer an sieben Seelen

Die Erste scheint ihm stets - als Lichtgestalt

Doch erzeugt s i e die Schatten, - die ihn quälen

Sie ist die Jüngste. Sie wird nicht alt,

und wie der Tod - strahlt sie: - weiß und kalt

 

Die Zweite... ist nun eigentlich keine Seele.

Sie ist Gefühl – das… zwischen allen Stühlen

liegt – und auch der Klos, - der fest sitzt in der Kehle,

und schwer wie stumme Worte wiegt! - Will er sie runter spülen

dann kann s i e sogar - auch noch - diese stummen Worte fühlen

 

Dieser alte Schwerenöter! Ja - er zählte nie bis drei

drum trägt die Dritte - keinen Namen

Sie liegt auf Eis - neben Seele Vier und Zwei

und ist die Jungfrau – seiner reifen Damen,

(die ihn erwählten – und mit sich nahmen)

 

Nummer Vier - trägt immer nasse Kleider

Sie verweint den ganzen Tag ihr Leid

Sie kennt nur Schwätzer oder Schweiger

und näht ihr bunt besticktes Hochzeitskleid

für den, - der sie aus diesem Leid befreit

 

Manche Seelen liegen hinter Friedhofsmauern

Seele Fünf kennt diese viel zu frühen Frieden,

die alle Kriege überdauern

Sie wird wohl selbst schon - unter weißen Kreuzen liegen

und würd´ so gern´ noch... leben - um zu lieben

 

Was soll ich von der Sechsten hier berichten...?

Sie ist der Künstler, - denn sie bricht

alte Worte - um sie neu zu dichten

Doch schöne Verse - kennt sie nicht

Seele Sechs - ist selbst Gedicht

 

In diesem Mann - wurd´ auch geboren

die Siebte! - Sie war sein Gift, sein Guter Gast!

Mit Macht durchströmt sie – a l l e Tiefen seiner Poren

bis sie ihn schließlich ganz umfasst

Seele Sieben war wie Luft, - die auch du - geatmet hast.

 

Das sagte dieser Mann – in seinem tiefen Raum

ungerührt – so dass ich durch seine Worte weiter leide

wie durch den Alpdruck schwerer Zeiten - in einem schlimmen Traum...

Als ich erwachte - ließ ich ihn stehen, denn schließlich - leben wir ja beide

auf den getrennten Seiten – einer Spiegelscheibe.

Die Vergessenen (Neuer Audio-Text)

Foto: Elbsandsteingebirge (Dulon)

Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille 

Foto: Minden (Jacques Dulon)

Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille

(eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)

 

  Mein Himmelsschwarz in Sternenhallen

durchweht die Winterwelt aus Eiskristallen

Wo die Wetter - Wolken falten

Will Liebe leben – will dich halten

durch die Strenge dieser Nacht

  Wer wartet hier? Wer hat entfacht?

Ein Licht, das leuchtet, das uns spendet

den warmen Schein der Hoffnung - der auch trügt

doch manchmal kleine Wunder – fügt, um zu zeigen:

dass ein stilles Licht - auch starke Leiden

lindern könnte, wenn es in uns – den Glauben fände…

 

So wie ein Mund, der freundlich spricht und sprechend lacht

wie Finger, die dir - durch deine Haare streichen

und wie die Bilder, die deinen Schlaf umsäumen

und weiter wandern - zu deinen Taglicht-Träumen,

bis hin - zu jenen finsteren Schatten, die nicht weichen

suchst d u den Schein - der  S t i l l e n  N a c h t

 

  Er zertrümmert keine Felsen – bewegt kein Berggestein

Was groß ist, bleibt erhaben. Was winzig ist, bleibt klein

Er wässert keine Felder, erzeugt auch keinen Regen

Er kann sich nur ganz scheu - auf tiefe Wunden legen

Das Licht in dieser Nacht - ist ja das Wunder, das vergeht

  sobald man wieder stark - auf den eigenen Beinen steht

Doch die, für die das Leben - keine bunten Blüten hat,

die den Kopf mit Sorgenschatten – halten in den Händen,

kann die Nacht wohl Lichter senden, die über dunkle Blätter tanzen

und sogar in welke Blumen - wieder zarte Kräfte pflanzen:

Was in uns stirbt – trägt manchmal schon – die  e r s t e  neue Saat

 

So wie der Blick den Blicken floh, - und ziellos immer weiter weht

der, der dich nicht meinte - und dem du - in dir auch Heimat gabst

weil er verloren schien, und sich - an keinen Menschen länger band

als er dich - ganz plötzlich - auf deiner Parkbank fand

Du sitzt auf ihr mit deinen Tüten – und weil du müde nun - zu träumen wagst...

hat dich dein fremder Engel - im  S t i l l e n  L i c h t  der  N a c h t - erspäht

 

  Ein Wort als Trost zu sprechen - weil man liebt

für ein schweres Los, für das es Trost - vielleicht doch gar nicht gibt

ist nicht nur schwer – ist ganz unmöglich (ohne dieses Licht)

Doch mitunter glaubt man an ein Zeichen, das alle Einsamkeiten bricht

das alle Worte übersteigt... wenn es sich zeigt

  und weil es strahlt – nur, wenn man schweigt

ganz ohne Wunsch, durch fremde Macht: - Ein erster Wille…?!

Zwischen Kirchturmglocken und dem Weihnachtsschenken

liegt unbemerkt auf Stadtpark-Bänken – schon fast vergessen: das Christusfest.

Und weil sich ein Mensch so müd´ geworden – auf jener Parkbank niederlässt

findet er - in sich allein - die  H e i l i g e  N a c h t  der  S t i l l e.

Farben von: Ferne 

Foto: Les Ardennes (Dulon)

Farben von: Ferne (aus dem Zyklus: FARBEN)

(inspiriert durch das Gedicht von Andreas Oltzen: Jetzt geh´ ich mit)

 

Du bist mein Wanderbuch fürs Weiterreisen,

für das Innehalten auf den leisen Wegen

Du erstrahlst in den Farben von: Ferne

die sich auf meine Wege legen

Jetzt - geh´ ich gerne

 

Du bist mein Routenplan, wenn mich nichts mehr hält,

die Kometenschnuppe, die nur fällt – weil ich sehe

Du bist der Weg unter meinen Wanderschuhn

der immer weitergeht, solang ich weiter gehe

Jetzt - kann ich ruhn

 

Du warst die Wüstenblume, die nur einmal ihre Blüten zeigt

die keine Wurzeln in die Erde treibt – an keinem Ort

Du warst das Heimweh-Kraut, als ich an Fernweh litt,

Du kanntest meine Zeichen und gingst fort

Jetzt - geh´ ich mit

Unter Wölfen (neuer Text)

(inspiriert durch Andreas Oltzens Gedanken über das philosophische Staunen)

 

Zwischen Gerüchten und den alten Geboten

jagen die Wölfe (was man noch jagen darf)

und reißen den im Zweifeln erprobten

Lauscher - aus seinem sonntäglichen Schlaf

 

Mit seinem gläubigen Geist - der nur mit Worten benennt,

seinem Wissen durch Denken - das alles erfasst,

erreicht er Erkenntnis, die kein Geheimnis mehr kennt

und dadurch - jedes Wunder verpasst

 

Denn nur dort, wo die Antwort ganz plötzlich verstummt,

ja selbst – alle Fragen scheinbar beiläufig verschwinden,

lässt sich schlussendliche der Grund

für das ursächliche Staunen finden                  

Individualismo y Soledad 2 - Oberes Eichsfeld (Dulon)
Individualismo y Soledad 2 - Oberes Eichsfeld (Dulon)

Ankündigung: Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

 

Ankündigung: vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

 

 

Küchengespräche

 

Beim Kaffeekochen sagtest du mir: „Ich geh! -

Ich werde dich noch heute verlassen!

Ich will nicht länger an unserer Liebe leiden

und möchte wieder auf eigenen Beinen

 

stehen.“ Wir tranken unseren Kaffee

aus den vergoldeten Sammeltassen.

Mittags, in der Küche beim Zwiebelschneiden,

da musste ich ganz plötzlich weinen                 

NUR EIN BLICK - Berlin, Dulon
NUR EIN BLICK - Berlin, Dulon

Der Schrei - Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen

Foto: Wolken über dem Greifswalder Bodden, Lubmin (Dulon)

Der Schrei 

(Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen)

 

  Ich habe deinen Blick im Blick

Und plötzlich kommt dein Blick zurück

und baut die Brücken unserer Seelen

  Ich habe deine Art im Sinn

weil sich die Blicke ähnlich sind

und schweigen können - wenn die Worte fehlen

 

  Ich kann dein Lächeln plötzlich lesen

Es ist so schön geworden! – Ist es schon immer schön gewesen?

In meinem Blick – erscheint es neu

  Du trägst auch Kummer - gut versteckt

ich hab´ ihn erst - in deinem Blick entdeckt.

Als er auf meinen traf – so zart und scheu.

 

  Mit dem Geheimnis – das  i c h  bewahre

trennten sich die Augenpaare

und wurden - füreinander - wieder frei

  Doch könnten wir mit Augen hören

ich hörte – ich könnt´ es auch beschwören

ganz sicher - einen leisen Schrei                                                   

Das ganze Theater

(Inspiriert durch das Gedicht „Der Eine“ von Jörg Nath)

 

...doch der Eine aber

der immer nur wartet,

der die Proben versäumt

und seine Texte vergisst

 

dem du all deine Namen gabst,

den du misstrauisch beäugst,

weil er in seinem Garten

die Blumen heimlich begießt.

 

Er bleibt wie er ist,

hinter all seinen Masken,

die sich täglich verändern.

Schau – wie er seine Hand plötzlich hebt...

 

Dieser Eine wird sprechen,

wenn der Vorhang fällt

und sich im halbdunklen Saal

die Premiere verlängert...

Schnitter und Schneider

 

Immer war mir jenes kleine Wäldchen lieb

das sich mit seinen scheckig scharfen Scherben

bis über den Horizont hinaus verschiebt

um alle Wetter bunt zu färben

 

Ich weiß, was des Waldes Blätter treiben

und gebe ihrem Leben Sinn und Halt

durch einen Ast mit vielen Zweigen

der zu einem Baum gehört - im Wald

 

Was meinem Blick verschlossen... Bleibt!

weil ich es will und kann und glaub´

Ich bin der Schneider für das frische Frühlingskleid

und als Schnitter feg´ ich das herbstlich welke Laub 

SPIEGELWELTEN, Berlin www.jacquesdulon.com/berlin
SPIEGELWELTEN, Berlin www.jacquesdulon.com/berlin

Das Wüstentier (DER SOHN V)

Foto: BANK AM MEER - Lübeck, Dulon

Das Wüstentier (DER SOHN V)

 

   Am Anfang wird ein Tier geboren

Mutterlos verstockt, verloren

aus einem Wort, das dich erreicht

und fortan - nicht mehr von dir weicht

Geboren wurd´ es um zu sehen

Nicht - um das Leben zu verstehen

   So sah dein Aug´ den neuen Tag

der sich noch scheu vor dir verbarg

hinter alten Trieben, die verbrannt

sich brechend bohrten - durch den Verstand

Wer führte dich? Wer schlief bei dir?

Wer sah in dir das Wüstentier?

 

(siehe SOHN I)

Verregnet sind des Reiters Wolken

Der Himmel hüllt sich tief in Grau

Die Schimmel, die dich führen sollten

täuschten dich – wer weiß genau,

ob Väter wieder Söhne werden

und Söhne vor den Vätern sterben

 

   Es wehten Feuer durch die Nacht

Die Kämpfe deiner eignen Schlacht

Zwischen “Gott ist tot” und “Gott verfluche”

begannst du - ohne Not mit deiner Suche

Wer war bei dir? Wem gabst du Schutz?

Wen hast du einfach ausgenutzt?

   Du warst zu schwach, zu widerstehen

Du wolltest nicht zu Grunde gehen

Mit deinem Wort und allen Schwüren

musstest du dich selbst belügen

Wer dir verzeiht, fleht selbst um Gnade

Wer dich erkennt, wählt deine Frage

 

(siehe SOHN II)

Das Klopfen an den tausend Türen

zog dich nur tiefer in den Dreck

Du konntest ihn in Straßen spüren

und hast dich dann mit Schlamm bedeckt

So hast du deine zweite Haut

zum Schutz aus Straßenschmutz gebaut

 

   In dir pocht noch Lebensglut

- kraftlos zwar und ohne Mut -

Doch bleibt dir wohl der alte Schein

der dich lehrt – nicht laut zu schrein

Wer immer deine Schritte lenkt

kennt Lüge, Liebe - als Geschenk

   Was dir hilft – ist nur noch leise

Du bist so lang schon auf der Reise

die dich nicht näher zu dir bringt

weil jeder Schritt im Sand versinkt

Hat dich die Tiefe nur erschreckt

weil dich der Sand bald ganz bedeckt?

 

(siehe SOHN III)

Der Fährmann fuhr den Fluss hinauf

mit den Schatten auf dem Deck

Für dich klang es nach Lebenslauf

wie ein Schrei, der dich nicht weckt

und dennoch deine Träume stört

Wo lebt das Bild, das dir gehört?

 

   Langsam zog dein Lebensstrom

durchs Uferland – noch dünn bewohnt

mit Früchten auch an fremden Quellen

Wer lebte an den Wasserstellen?

(die dir als Gast wie Heimat waren)

Warum musstest du noch weiterfahren?

   Du lebtest schnell - doch ohne Ziel

du wusstest nichts und sagtest viel

Jetzt hat dein Leben dich gewendet

Du stehst am Anfang, wo es endet

weil du vergisst - dich zu verfluchen

und aufhörst - einen Sinn zu suchen

 

(siehe SOHN IV)

Unter weiten Sternenbildern

wolltest du die Liebe zähmen

und mit ihr durch Nächte wildern

nach dem Ruf in deinen Genen

aus Täuschung, Lust und Lebensgier

weiterleben – wie ein Wüstentier

 

   In deinen Ohren – Krähenschrei

deine Augen zählen drei

schwarze Vögel auf dem Ast,

der sich bewegt durch diese Last

Ein wenig Schnee fällt wie ein Wehen

von dem Ast der schwarzen Krähen

   Was Orpheus sah? Den Hermes nur? *

und neben ihm: die dritte Spur

führt wohl hinab aus diesem Leben

Ein Vogel fliegt dem Gott entgegen

Frierend bleib ich´ - leicht gebückt

mit nur zwei Krähen hier zurück

 

* vgl: „Orpheus, Eurydike, Hermes“ von Rilke

Scherben und Kreise (bis an den Rand)

Foto: Vendsyssel-Thy - Jacques Dulon

 

Scherben und Kreise (bis an den Rand)

(Eine Verbeugung vor Pablo Milanes und seinem Lied „Yolanda“)

 

Dies Lied kann nicht mehr sein - als ein kleines Gedicht

obwohl ich wünschte, es wäre - ein Schwur, der nicht bricht

auf die gebrochene Liebe, die keine Rücksicht mehr nimmt

die nichts mehr verspricht, wenn alles - von vorne beginnt

Ich trag´ diese Liebe - als mein kostbarstes Kleid.

Sie reicht an den Rand - meiner endlichen Zeit

 

Wärest du nicht bei mir, stürbe ich nicht aus Gram

Doch begänne mein Sterben, auf einer (recht) mühsamen Bahn,

dann wünschte ich mich - in deine Arme zurück

in denen ich fand: Mein ursprünglichstes Glück

Sie tragen ein Geheimnis, das ich in mir bewahre

Es reicht an den Rand - meiner letztlichen Tage

 

Wenn ich dich jetzt sehe, spür´ ich die Kraft, die verzeiht

die aus den Schichten der Angst, mich wieder befreit

Du entkleidest mich wortlos - ohne mich zu beschämen,

aus liebender Lust - mit trauernden Tränen.

Sie tragen keine Grenzen, nur Scherben und Kreise,

die ich für dich ziehe - bis an den Rand meiner Reise

 

Doch kommt jener Tag, der mich für immer besiegt

mit der Sonne am Morgen, die vor der Nacht in mir flieht

dann sing´ ich das Lied, das du mich einst lehrtest

als du mich das erste Mal - so zärtlich begehrtest,

als sprächest du leise - dein tiefstes Gebet,

für den Rand, an dem jeder - einmal nur steht 

EIN PAAR STEINE, DER STRAND UND NEUE WETTER - auf Læsø (Dulon)
EIN PAAR STEINE, DER STRAND UND NEUE WETTER - auf Læsø (Dulon)

Künstler interpretieren Dulon

 

Nicholas McDonald interpretiert: Linda *

Reiner Schubert   interpretiert: Im Schatten junger Frauenblüte (Der Maler) *

                                 Mein Liebeslied für Dich *

                                 Der schlimme Mann *

                                 Banksy 

Elisabeth Oltzen  interpretiert: Dein Nicht-Nein **

                                 Dieser seltsame Reiter (Der Sohn I) ** ***

                                 Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille **

                                 Kein Gesicht ** 

                                 Welches Wort ***

Hertz-Bande       interpretiert: Welches Wort +

Marie von Kuck    interpretiert: Schatten auf Wände

                                 Für mich war nur der Herbst bestimmt

* nicht (mehr) auf dieser Seite

** Elisabeth Oltzen - Lübecker Lyriktreff (luebeckerlyriktreff.de)

*** Musikbeispiele | Flötentöne (elisabeth-oltzen.de)

Welches Wort (youtube.com) 

Banksy - Musik und Gitarre: Reiner Schubert 

Foto: Leipzig (Dulon)

 

Banksy

(Mahner, Dichter und Humanist in einer dekadenten Zeit)

 

Der größte Poet malt seine Zeichen

- wenn er über das Menschliche schreibt -

direkt auf die Mauern unserer Zeit;

nicht fragend – Wen... kann ich erreichen ?

 

Wissend, - dass wir in diesen Trümmern erblinden,

im Abfall ersticken – ist auch er - vom Staub schon bedeckt

und malt seine Verse - direkt auf den Dreck,

wie... Gebete, - denn nur dort können wir finden

 

was wir – schon in uns gesucht – doch niemals gefunden.

An den Abrisskanten von unseren Städten

- mit ihren offenen Adern, ihren nicht heilenden Wunden -

 

gelingen ihm Bilder, hier sieht man ihn beten

diesen heimlichen Mahner, diesen... ganz großen - Poeten

Schatten auf Wände (interpretiert von Marie von Kuck)

Foto: Schatten auf Wände, Berlin (Dulon)

 

Schatten auf Wände 

(Eine Verbeugung vor Alda Merini und ihrem Text: E poi fate l'amore)

 

Und dann... - dir die Liebe schenken

Die gemeinsame Liebe, nicht den einsamen Sex

bei dem sich die Körper - nur kunstvoll verrenken

verkleben - doch nie etwas zusammenwächst.

Ich sah dich verletzt - an der Häuserwand kleben

und ich - saß daneben

 

Die tastenden Küsse - zuerst nur mit Blicken

Augen in Augen getaucht, - die Geschichten erzählen

Vom Hoffen und Hadern und - Weiterschicken

durch dein dunkleres Reich - in dem Geheimnisse quälen

Deine Stimme gebrochen - von einem lautlosen Schrei

Meine, die schwieg – Verzeih!

 

Bis meine Hände dann lernten - von deinen Augen

so zärtlich zu küssen, als würden - dich Federn berühren

frei von der Gier, sich mit roher Gewalt – an dir festzusaugen

denn sie können nichts halten – nur streicheln, dich spüren....

Deine Schatten gesehen, - die wie alte Tapeten

in fröhlichen Fetzen - im Frühlingswind wehten?

 

Was den Händen geschenkt, - auch den Lippen gelehrt:

Deine Schultern zu küssen, - deine Arme und Brüste

ohne dass deine Seele sich mit den bleiernen Bildern beschwert

und ertrinkt in den Fluten - einer längst verlassenen Küste

Kannten denn Steine - das Gewicht deiner Schwere?

Kannte die Luft – deine innere Leere?

 

So erkunden die Seelen - auch die geheimsten Gezeiten

an steinlosen Stränden, - mit den weicheren Wellen

auf denen ihre Schatten über die Wasser reiten

und sich ihre Tiefen - für Sekunden erhellen.

Doch als die späteren Winde - dich von der Häuserwand rissen

Wusste ich plötzlich – Ich werd´ dich vermissen.

 

Das war unser Leben! - der Liebe Geschenk!

Was konnten wir retten? Was wurd´ uns verwehrt?

Und warum ich noch immer - manchmal - an dich denk…?

Deine Liebe hat mich - wieder lieben gelehrt.

Auf die Häuserwand fällt - mitunter - ein flüchtiger Schein

Ich erkenn´ meinen Schatten – Er sitzt dort allein

Aus- und Einblicke - Dulon in Hamburg
Aus- und Einblicke - Dulon in Hamburg

Aristoteles´ Schüler 

 

Ich denke, ich habe mich - dümmlich verdacht

Wahrscheinlich bin ich - auch gar kein Genie

Bei dir ist´s manchmal - alles ganz einfach

Nur bei mir geht häufig - vieles auch nie

 

Ich weiß um mein Wissen - und um meinen I.Q.

und fiel´ mir das Denken - nicht ständig zu schwer...

Ich wüsste sogar - noch viel-weiteres mehr

Man lernt ja im Leben - mitunter dazu

 

Du erklärtest mir Geister, die Guten, die Bösen

und sagtest, du hättest - ihre Welten durchschaut...

Doch um einen festen Knoten - gordisch zu lösen

musst du nur wissen, wie man mit Schwertern draufhaut

Horen - die beiden Reiterinnen 

 

Ich ritt mit ihr durch heitere Sommersonnenwinde

als mich noch keine Sorgen, Ängste quälten

Sie führte mich, dass ich die rechte Richtung finde

und versprach mir wohl - die schönsten Liebesschätze

Wir wussten viele - glanzbezogene Nebensätze

und trugen Minen, die etwas Wichtiges erzählten

 

Dann traf ich auf jene dunkle Reiterin

der Winterzeit, mit den langen, trostbefreiten Leiden

Auch sie wurde mir die treuste Weg-Begleiterin,

schweigsamer als ihre Schwester, was mich zuerst noch störte

auch weil sie scheinbar all meine Klagen achtlos überhörte

Doch der bess´re Freund - war diese Zweite von den beiden    

kein Gesicht

Foto: kein Gesicht, Hainich (Dulon)

 

 

kein Gesicht

 

Du sagst, im Winter, der Schnee auf den einsamen Wegen…

doch dann erstarrt dein Mund zu einem tonlosen Zeichen.

Auch die Flocken zerplatzen, die sich auf deine warmen Lippen legen

um sie vage mit dem Salz - mutmaßlicher Tränen - zu bestreichen

 

Du liebtest zu viel und - jetzt liebst du halt nicht!

Was war, ist vergangen, oder... vielleicht ist es auch ganz anders gewesen

Nur aus dem Spiel deiner Minen - wird kein Gesicht

Sie sagen nur still – ich soll dich nicht lesen

 

Bist du dieser Schatten, den ich durch mein Leben trage,

der mich verdunkelt, verhöhnt und im Spiegel entstellt,

der bei mir bleibt, auch wenn ich das Glas dann zerschlage,

und es in mir zerbricht oder zu Scherben zerfällt?

 

Doch du antwortest nicht

und aus dem Spiel deiner Minen - entsteht kein Gesicht.                                        

Vogelzüge im Norden 

Foto: Holnis-Halbinsel, Dulon

 

 

Vogelzüge im Norden 

(durch falsche und richtige Konjungtive)

 

Rönne der Regen reichlich auf Rügen

Räten die Raben rüber zu fliegen

Von Rerik nach Ribnitz sollten sie ziehen

Zeitig am Morgen und in zahllosen Zügen

Doch frögte ein Vogel: Was sie dort wohl solln

Er flöge ganz sicher übers Meer nach Bornholm

 

Schiene die Sonne auch einmal in Schweden

Schwöbten die Schwalben nicht immer im Regen

Würden sich wie schneegleiche Schwäne bewegen

Als zögen sie über die Gärten von Eden

Bis in südliche Zonen – um sich zu schonen

Oder auch nur: Um in Schonen zu wohnen

Warten - Frederikshavn (Vendsyssel-Thy) I Jacques Dulon www.jacquesdulon.com/photo-of-the-month
Warten - Frederikshavn (Vendsyssel-Thy) I Jacques Dulon www.jacquesdulon.com/photo-of-the-month

Verspielte Liebe

Foto: Straßenbild in Berlin 

In der Rhön - Dulon
In der Rhön - Dulon

Melancholien

 

Südwärts - mit dem Norden in mir (eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)

(zwei Regen)

 

Spür´ wie zwei Regen

mich überziehen

zwei bittersüße

Melancholien 

 

 

 

Melancholien

Foto: Leipzig (Dulon)

Delante del Sol (Arbeitsdemo) 

Foto: Vendsyssel-Thy (Dulon)

 

Delante del Sol 

 

Porque siempre hay una nube delante del sol?

Cual la vista oculta y dentro de mí

Bajando las sombras en mi caracol

Hasta la luz no existe - y no puedo vivir

 

Pero también hay una luna luciendo los cuerpos

En las noches obscuras por la eternidad

Entrando la luz por todo los muertos

Como yo sin ti - sin tu amabilidad

 

Darme tu cuerpo por mi alma obscura

Por mi vida secreta, donde canta un ciego

Darme tu alma por mi luz interna

Y yo voy a volver - con ojos sin miedo

 

 

Vor der Sonne, (inhaltliche Übersetzung)

 

Warum gibt es immer eine Wolke vor der Sonne?

welche die Aussicht verdunkelt und in mir

Schatten wirft bis in mein Schneckenhaus

bis es kein Licht mehr gibt und ich (dort) nicht leben kann

 

Aber es gibt ja noch den Mond, der die Körper erleuchtet

in den dunklen Nächten für die Ewigkeit

in die das Licht eintritt, für all die Toten,

wie ich einer bin - ohne dich, ohne deine Liebenswürdigkeit

 

Gib mir deinen Körper für meine verdunkelte Seele

für mein geheimes Leben, wo ein Blinder singt

Gib mir deine Seele für mein inneres Licht

und ich werde zurückkommen mit Augen ganz ohne Angst

Sonnet about a Poet

(inspired by Iryna Sorokovska)

 

Seemingly fingers dig lines on my face

not knowing about yesterday´s sorrow

and the upcoming grief for tomorrow

so – whatever they do: It isn´t my case

 

I saw this carved masquerade in broken windows

asking myself – is it me? - or someone nearby ?

The wrinkles gave answer or at least they try

to sketch the secrets of life - I won´t show

 

Intoxicated by the blood of a poet

I found some words perhaps close to the truth

and forced myself to pretend: I know it

 

but I couldn´t catch never the wisdom I´ve used

Only the last one remains untouchable save

`cause it has started already digging my face   

 

 

Gesichter eines Dichters

der Versuch einer „sehr freien“ Nachdichtung von meinem Text „Sonnet about a Poet“

 

Anscheinend graben Finger Falten in mein Gesicht

die nichts von mir wissen - von meinen gestrigen Sorgen

und meiner zukünftigen Trauer - vielleicht schon von morgen

Was immer diese Linien bedeuten - sie kennen mich nicht

 

Ich sah dies Gesicht in den Gläsern zerbrochener Scheiben

und konnt´ nicht verstehen, wen ich dort sah

mich selbst ?- oder nur einen Menschen, der mir ähnlich war

und den anderen täuschte ? – Oder war ich keiner von beiden?

 

Das Blut eines Dichters berauschte das Denken

meiner wortreichen Seele aus fremden Gefühlen

die mir bis heute – die schönsten Verse schenken

 

Ich schrieb´ sie ohne zu wissen - zwischen den Stühlen

frei von Erfahrung, ohne Verstand, und weiß nur zu sagen,

dass unsichtbare Finger – Linien in meine Gesichter graben 

 

 

Brandgeruch

(Inspiriert durch „A une passante“ von Charles Baudelaire)

 

Betäubt von der Straße, von ihrem Gebrüll

seh´ ich im Nebel zwei Beine flanieren

die an mir vorbei durch den Morgen spazieren

hin - zu den Reklamen für den zukünftigen Müll

 

Diese Beine wurden ganz sicher Statuen entrissen

der Venus vielleicht - oder der Pallas Athene

Nicht passend dazu - die kommende Szene:

Wie Bettler - ganz ungeniert - in den Rinnstein pissen

 

Ich blicke in das Gesicht dieser griechischen Frau

und weiß sogleich, warum ich sie kannte

Doch wer zu viel weiß, der wird nicht mehr schlau

 

und sieht in Gedanken, dass selbst Troja brannte

Drum schließ´ ich die Augen, um sie zu vergessen...

Ich hab´ doch im Grunde – auch ganz andre Interessen! 

 

 

Lustige Leichen

(inspiriert durch Susi Kaffka)

 

Letzte Nacht hast du mir alle Scherze zerbrochen

in kryptische Teile! Doch ich habe sie wieder zusammengeklebt,

mit Frischluft beatmet (sie haben etwas stark nach Friedhof gerochen)

und sie anschließend erfolgreich wiederbelebt

 

Könnte ich mir jetzt noch einen neuen Humor besorgen...

Meinen alten hattest du zwischen die Todesanzeigen gelegt

um ihn im Container für Wertstoff-Leichen zu entsorgen

- weil ihn, wie du meintest, sowieso keiner versteht -

 

Ja, dann hätte ich es – wirklich faustdick hinter den Ohren

Wäre ein gar lustiger Schalk, der fröhlich seine Bierrunden zieht

Dann klänge ich nicht so vereinsamt, hilflos und verloren

 

als ob neben mir eine weitere Leiche auf dem Totenbett liegt...

Ich würde sogar - mit dir gemeinsam – nur kurz zum Schmunzeln

in den Keller gehen, ganz leise - und – natürlich im Dunkeln 

ohne Worte (Hunsrück) - Dulon
ohne Worte (Hunsrück) - Dulon

silberne Sonnen

Foto: DAS PAAR, Porto (Dulon)

 

 

Nur ein Sammler

Foto: AN DEN HIMMEL GEHÄNGT, Berlin (Dulon)

VOR DEM SPRUNG, Women in Art, Lübeck - J. Dulon
VOR DEM SPRUNG, Women in Art, Lübeck - J. Dulon

Krieg und andere Grausamkeiten (Texte gegen die Barbarei)

Unpassende Fragen

 

Ist Verbrechen als Rache für Verbrechen kein Verbrechen?

Ist Leid durch Rache für Leid kein Leid?

Ist Folter als Rache für Folter keine Folter?

Ist Mord als Rache für Mord kein Mord?

Ist Rache als Rache für Rache keine Rache?

 

Ist Zerstörung als Rache für Zerstörung keine Zerstörung?

Ist Hunger durch Rache für Hunger kein Hunger?

Ist Krieg als Rache für Krieg kein Krieg?

Ist Terror als Rache für Terror kein Terror?

Wird Rache als Rache für Rache zum Recht?  

SPIEGELWELTEN 2, Berlin - www.jacquesdulon.com/berlin
SPIEGELWELTEN 2, Berlin - www.jacquesdulon.com/berlin

Rückblicke, Einsichten und Dank

Eure Favoriten unter den Dulon-(Audio)-Texten, (Entstehungsjahr des Textes)

 

Gesamter Zeitraum  1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

                   2. Mondschattenbilder (2014) *

                   3Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)

                   4. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

                   5Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

                   5. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)

                   7Ballade vom Wein in Aveiro (2017) * 

                   7. Der Schrei (2023)

                   9. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *

                   10. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) *

                   11. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) *

                   11. Vollmond (Eine alte Liebe) (2012) * 

                   13. Ja, so ist sie... (1981) *    

                   13. Mein sprachloses NEIN (2023) * 

                   15. Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) (2022) *

                   16. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) * 

                   16. Kurze Zeiten der Liebe (1981) *  

                   18. Pastorale (Die Heilige Nacht der Stille) (2023)

                   18. Tajuras Lied (2022) * 

                                                    

2021                 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

                     2. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *

                     3. Linda (2005) (Musik: Nicholas McDonald) *

 

2022                 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

                     2. Mondschattenbilder (2014) *

                     3. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

 

2023                 1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)

                     2. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)

                     3. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) * 

 

2024                 1. Der Schrei (2023)

                     2. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023) 

                     3. Farben von: Ferne (2023)                                                        

 

Oktober 2021            1. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) * 

November 2021           1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

Dezember 2021           1. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) * 

Januar 2022             1. Die Poeten (2020) *

Februar 2022            1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

März 2022               1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

April 2022              1. Hey Jim (Sunset over Zanzibar) (2010) *

Mai 2022                1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

Juni 2022               1. Tajuras Lied (2022) *

Juli 2022               1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

August 2022             1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

September 2022          1Mondschattenbilder (2014) *

Oktober 2022            1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *

November 2022           1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *

Dezember 2022           1. Geheimnis vom Fliegen (2020) *  

Januar 2023             1. Im Turm der Dichter (2022) *  

Februar 2023            1. Im Turm der Dichter (2022) *  

März 2023               1. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) * // Ja, so ist sie (1981) * // Mit der Zeit (2011) *

April 2023              1. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) (2023) * 

Mai 2023                1. Kurze Zeiten der Liebe (1981) * 

Juni 2023               1. Der Wikinger (2022) * 

Juli 2023               1. Ganz in deiner Nähe (Eine Frau unterwegs) (2022) (Nachdichtg.v."A solo un paso de aqui", C. Puebla) * 

August 2023             1. Sizilianische Wanderungen (2023)

September 2023          1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)

Oktober 2023            1. Verspielte Liebe (2004)

November 2023           1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023) 

Dezember 2023           1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)

Januar 2024             1. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023) 

Februar 2024            1. Nur ein Sammler (1983)

März 2024               1. Ja, so ist sie (1981) *  

April 2024              1. Dieser Mann der sieben Seelen (2024)

Mai 2024                1. Für mich war nur der Herbst bestimmt (2001)

 

* Audio-Texte nicht mehr auf dieser Seite, ~ ein Tschüß für alte Freunde.

Für mich war nur der Herbst bestimmt (Marie von Kuck interpretiert Dulon) Neuer Audio-Text

Foto: Rhön (Dulon)

 

Ankündigung: November im April - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

MARKTTAG, drei junge Mädchen auf dem Weg mit ihren Waren in Ada Foah (Ghana, West-Afrika) v. J.D.
MARKTTAG, drei junge Mädchen auf dem Weg mit ihren Waren in Ada Foah (Ghana, West-Afrika) v. J.D.

Traumpfade

Sizilianische Wanderungen

 

Sizilianische Wanderungen

(nach Motiven aus dem Gedicht „L'après midi d’un Faune“ von Stéphane Mallarmé)

 

(Prolog)

Beim Wandern am Etna überkam mich der mittägliche Schlaf

als ich mich - erschöpft unter Rosen – in den Schatten legte

Ich träumte einen langen, erotischen Traum – so dass die Erde erbebte,

Risse bekam, sich auftat und mich in ihre Felsspalten warf

 

Ich fiel – oder war es ein Schweben durch paradiesische Zonen? -

Bis ich schließlich erwachte - auf einer Wiese im Wald

von Kiefern umgeben, schon knorrig und - urzeitlich alt

Dazwischen tanzten Najaden, die seit ewigen Zeiten an Seeufern wohnen

 

Sie sangen und spielten auf seltsamen Flöten

Melodien nie zuvor gehörter Lieder - vom waldbeherrschenden Pan

Tanzten dabei mit ihren nackten Gliedern - ganz ohne Scham, ohne zu erröten

 

als sie mich ausgestreckt im Gras liegen sahen

Doch schon beim nächsten Ton - waren sie ganz plötzlich verschwunden

Da - wo sie eben noch tanzten, hab´ ich nur - ihre Flöte gefunden…

 

I (Verwandlung des Wanderers, Erwachen als Pan)

...all diese Nymphen! Ich möchte sie in mir bewahren

Ihr Licht mit Stoff bekörpern, bis die Luft dann schwingend tanzt

Will ich hin zu ihnen - durch die dunstigen Zonen meiner Träume fahren

Ganz!

 

Haben sie mich nur im Schlaf verlacht?

Meine Zweifel durchdringen die inneren Schichten auf der anderen Seite der Nacht

und erblicken in den feinen Ästen, die mir als Zeichen bleiben

hölzerne Fasern, die sich immer feiner verzweigen

Für meinen Mut – damit ich es wage, auf Rosen zu wachen

 

Überall dort, wo in mir noch die Stimmen der Nymphen lachen -

Da explodieren meine überspannten Sinne zu einem fehlgeleiteten Scherz

und meine Sehnsucht, die schon meine erwachenden Augen schmerzt,

bilden so keusch - die Quelle meiner zukünftigen Taten und Sorgen

wo die klarsten Wasser noch warten - in den dunkelsten Tiefen verborgen

 

Ich will die warme Sommerluft abstreifen, die sich in meinem weichen Fell verfängt,

mich bewegungslos, apathisch hält, mich ermattet und mich zur Ohnmacht drängt

und immer wieder zu ersticken sucht.

                        – Dann denk´ich an die Strahlen einer neu erwachenden Morgenröte

die vom Plätschern des Baches begleitet – zu den Tönen meiner frisch geschnittenen Flöte

den Wald mit Akkorden bestreut

und mich mit Melodien erfreut…

 

II (Erste Erinnerungsbilder – Überkommende Wollust)

Doch nun hat sich der trockene Regen in meinem Instrument verfangen und alle Wolken gedreht

bis zum Horizont - ohne dass sich noch ein Blatt an den Zweigen bewegt

Nur unsichtbar und künstlich leise höre ich durch meinen Wald weiter die Töne einer Flöte ziehen

Zarte Gesänge längst vergessener Melodien:

Die von den Sumpfgräsern erzählen - an einsamen sizilianischen Küsten

als ob sie etwas von dem leicht übersättigten Dunstlicht wüssten,

das stillschweigend von funkelnden Blumen am Meer erzählt

- und wie ich das Schilfrohr für meine Flöte gewählt

- und ich für die glasige Ferne der Felder den Goldstaub fand

- und ihn mit dem Grün der Reben am Brunnen verband

- und wie ein ruhendes, weißes Tier als Welle auf dem Flusswasser lag

- und mir zur Geburt meiner Flöte seine Melodien übergab

- Waren es Schwäne? Sie glichen den nackten Najaden

- Tauchten und zeigten sich mir - verlockend beim Baden...

Stilles Verlangen fiebert wie wild und zeichnet die Stunde

ohne zu benennen, die klaffende -niemals ganz heilende- Wunde,

die ich verfluche

 

Allein mit den Wünschen, für die dringendste Suche

brennt in mir Blut, das ein Feuer entfacht

mit uraltem Schein – im keg´ligen Schacht

Steh´ ich aufrecht, um euch wortreich zu bitten

für einen nichtssagenden Kuss auf stöhnenden Lippen

die jedem Treulosen erklären, was Treue wohl ist

Auf meiner Brust bluten Beweise für einen zu tiefen Biss

Geheimnisvolles Zeichen von einem scharfen Zahn

doch noch geheimnisvoller - ist eure Macht - über meinen Wahn

Eure Zartheit unter den azurblauen Dächern des inneren Glücks

Zwischen den Schenkeln mit den flink springenden Zungen - und wieder zurück

Träume ich weiter, wiederhole das Spiel

der Schönheit zum Trost, der Lust - zum göttlichsten Ziel

Gefälscht sind die Schwüre der leichtgläubigen Lieder

Ich moduliere sie neu und singe sie wieder

Zwischen meinen Träumen der Ohnmacht, auf verbotenen Wegen

will sich mein Blick mit geschlossenen Lidern - auf eure Körper legen

Dort spür´ ich die Linien meines eitlen Verlangens

 

III (die Najade Syrinx)

Ich erspähe die Syrinx, doch groß ist mein Bangen

Denn jungfräuliche Najaden warten doch nur - um göttlich weiterzublühen

bereit für die Flucht! - Wird sie auch vor mir durch ihre Schilfgräser fliehen?

und wie auf alten Gemälden ihren Gürtel ablegen?

im Schatten des Waldes auf ihren ureigenen Wegen

Ich saugte die Trauben der verwegensten Träume

zurück bleiben nur Bilder im Schatten der Bäume

bei verblassenden Sternen...

               - Ich betrachte das helle Sommerzelt

und verwarte die Zeit, bis mich die Nacht überfällt

 

Betrunken vor Glück, werd´ ich mich an ihrem Leuchten berauschen

Und den Melodien ihres Körpers in meiner Flöte lauschen

- Mein flehendes Auge sucht dich im Schilf, (wo du an mich denkst)

- und unter dem Wasser, in dem du dein Glühen ertränkst

- mit einem Schrei, wohl zwischen Wollust und Stöhnen

- Der mächtige Wald - erwidert ein Echo, um mich zu verhöhnen

- Ich steh schon mit Füßen in deinem gräsernen Reich,

- das mit den schwimmenden Haaren den Gräbern ertrunkener Najaden gleicht

- So hab ich verletzt - deinen Willen, wie meine Füße es zeigen

- Dein Schilfrohr gebrochen, achtlos zertreten! - Musstest du leiden?

- War meine Eile zu groß, um dich zu entblättern?

- Hat meine Hand dich gehalten - nur um dich zu zerschmettern?

- Mit roher Gewalt, von der die Rosen nun singen

- wenn ihre Dornen wie Dolche, dir bis in deine Herzbahnen dringen

 

Ich bete dich an und bitt´ um Verzeihung

An deinen Körper gefesselt – suchtest du die Befreiung

gemäß deinem Schwur, den du der Artemis gabst

Ich wollte dich halten - als du in meinen Armen lagst

So göttlich dein Wollen, so menschlich mein Plan:

Versagten wir beide - und leiden daran

 

Wütende Tränen treiben den Nebel über silbrige Seen

- Stehst du an den Ufern, dann lausche den Feen

- Sie singen noch immer das traurige Lied

- Von der gebrochenen Flöte, (das durch meine Baumkronen zieht)

- Vom Scheitern der Menschen auf dem göttlichen Pfad

- Wo sich göttliche Schönheit mit menschlicher paart

- entsteht eine Hölle, in der keiner regiert

- keiner gewinnt und in der jeder - alles verliert

- Die Nymphen am See gedenken der Frauen

- die seit uralten Zeiten den Göttern vertrauen

- Und ich denke an dich und verfluch´ das Gesetz

- das mit göttlicher Allmacht die Menschen verletzt

 

IV (Ernüchterung und neue Pläne – Etna, Hephaistos´ Tochter)

Schade um uns – doch ich werd´ mich verlieben

wieder und wieder werd´ ich zu dem, - der in mir geblieben

ist - und nun überall lebt: Im Wald, an den Küsten und auch in den Sümpfen

Dort warten auf mich noch fremdere Früchte als die der göttlichen Nymphen

denn mein Blut wählt die Bahnen nach seinem eigenen Willen

und muss sein Verlangen - durch mich - an der Schönheit stillen

Ist sie eine Göttin? - Wird sie mir verzeihen!

Dann bin ich ihr Apostel, dann kann mich niemand befreien

Gefährtin der Venus, an sizilianischen Küsten

Die Lava fließt stetig, so als ob wir es nicht wüssten

Die Etna besteht nur aus glühender Erde

Sie will, dass ich bin! – Ich will, dass ich werde!

 

(Epilog)

Schwer wiegen die Bilder der sich jagenden Gedanken

Ich liege ermattet - unter blühenden... Blumenranken

in der Mittagshitze - und will nicht mehr büßen

Vor mir das Meer, und unter meinen Füßen
Brodelt die Erde und schenkt mir... sizilianische Trauben,

für den Wein, der mir hilft - an Liebe zu glauben  

NETZE EINHOLEN, Ada-Foah, Ghana (West-Africa) - Jacques Dulon
NETZE EINHOLEN, Ada-Foah, Ghana (West-Africa) - Jacques Dulon

Humor ist, wenn ein Gleichstand gelingt

 

Warum ich intellektuell bin 

 

Hinter den Grübchen

auf meiner Stirn

liegen zwei Stübchen

in meinem Gehirn

 

Das eine ist kaum,

oder nur spärlich möbliert.

Das ist der Raum:

Da wird das Denken trainiert

 

Der andere - etwas weiter entfernte

dient den wichtigen Interessen.

Da wird das mühsam Erlernte 

dann wieder vergessen          

Start und Ziele (auf einem Bumerang) 

(Eine Verbeugung vor Ringelnatz)

 

Wieder wollten zwei Ameisen,

richtig weit und lang verreisen

Sie bestiegen Fernweh-krank

einen kleinen Bumerang

um durch die Lüfte fort zu schweben

und nebenbei auch zu erleben

wie lang man wohl zum Zielort fliegt

der immer dort am Startpunkt liegt             

Leerstellen (Mensch-Technik-Glaube-Freizeit-Natur-Haus) - Dresden, Jacques Dulon
Leerstellen (Mensch-Technik-Glaube-Freizeit-Natur-Haus) - Dresden, Jacques Dulon

Ankündigung: Wolkenreiter - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

Baluto 

Text-Inspiration durch Cecilia Puebla

Foto: Farbenwelten im Wasserglas (Dulon)

FENSTER IM FENSTER, Lübeck (Jacques Dulon)
FENSTER IM FENSTER, Lübeck (Jacques Dulon)

Les enfants oubliés 

 

…denn dies ist ganz sicher – unser letzter Planet

der sich um sich selbst – und unsere Sonne dreht

Und wir sind die Kinder – verlassen im All

Sammler und Jäger - und wohl auch Erfinder

vor dem letzten… – dem ganz großen Knall

 

Et nous sommes les enfants – seuls et abandonnés

qui tournent avec la planète – autour de leur soleil,

qui ont peut-être un cœur - trop libre et pourtant lié

à l’espérance de l'amour - avec le courage de la peur

Mais à la fin nous ne serons que - des enfants oubliés

 

 

(inhaltliche Übersetzung des französischen Textes) 

und wir sind die Kinder - allein und verlassen

die sich mit dem Planeten drehen - um ihre Sonne

die vielleicht (sogar) ein Herz haben - zu frei und darum gebunden sind

an die Hoffnung der Liebe - mit dem Mut der Angst

Aber am Ende werden wir nichts weiter sein - als die vergessenen Kinder

Individualismo y Soledad (eine Verbeugung vor der Kunst von Guido Contini) - Dulon auf Mors
Individualismo y Soledad (eine Verbeugung vor der Kunst von Guido Contini) - Dulon auf Mors

Tschüß und Danke für den Besuch... 

bis zum nächsten Mal vielleicht auch in eurem Theater...?

Dulon liest Dulon, Klütz (*Foto: Andrea Knust)
Dulon liest Dulon, Klütz (*Foto: Andrea Knust)

 

Jahresringe 1978-2024

(alle bisher auf dieser Seite veröffentlichten Dulon-Texte)

 

(geschrieben / Titel eines Jahres in alphabetischer Folge / Status) 

1978   Manchmal für immer *

 

1981    Ja, so ist sie *

           Kurze Zeiten der Liebe * 

 

1983   Nur ein Sammler  

 

1985   Der Weg meiner Liebe *

         Ein Mann gibt Auskunft *

 

1986   Einstein oder Seit geraumer Zeit *   

           silberne Sonnen   

 

1987   falscher Anfang *

 

1988   Lohn des Löhners  *

           Der ungewöhnliche Lebenslauf des Werner M.  +  

      

1991    Fragment in Blau *

           Hieße ein Kreis… *

 

1992   Erkennen *

           Fremdes Mein *

           Kein Brief *

 

1993   Zwischen Wänden *

 

1995   All dies geschieht *

           ... einem anderen Ziel entgegen *

 

1996   Gesicht vor Spiegel #     

 

1997   Unerhörter Weggang *

 

1999   Der anarchistische Dichterfürst *

 

2001  Für mich war nur der Herbst bestimmt  #   

 

2002 Jacob von nebenan (oder Die UFOs zum Mars) *

          November im April  + 

 

2003  Die sich auflösende Welt des Dr. K.*

 

2004 Herzgewalten *

           Kollegin    #  

           Verspielte Liebe 

 

2005 Auf der Baustelle *

          Das Albino-Reh*

          Eine Freundin *

          Linda *

          M-Trick *

 

2006 In meinen Straßen (Gegend namens Glück) *

          Mehr haben wir nicht (Rue de Madeleine 90) *

          weitsichtig *  

 

2008 Farben (eine Oktalogie in Fragmenten) *

           Souls to carry *

  

2009 Im Schatten junger Frauenblüte *

 

2010 Hey Jim (Sunset over Zanzibar) *

 

2011  Mit der Zeit *

          Wolkenreiter + 

 

2012 Mord am Morgen *

         Vollmond oder Eine alte Liebe *

 

2014 Mondschattenbilder *

          Next to Arica (I can see your face from here) *

 

2015  Baluto (Ein Liebeslied in einer nicht-existierenden Sprache) 

          Helgas Herzen *   

 

2016  Farewell in Blue (Next to Pilat) *

          Leaving the Table *

          Melancholien  

          Vogelzüge im Norden 

 

2017  Ballade vom Wein in Aveiro *

          Der Elch II *

          Gedicht ohne Ziel *

 

2018 Delante del Sol    

         Die Nacht vor dem Frühling (DER WANDERER II) *

         Jetzt *

         Snow in the Mountains *

 

2019 Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) *

         Der Fremde (Wie er war als er ging) *

         Ein Zimmer und zugleich eine Wüste *

         Welches Wort *

 

2020 Dichten erlernen *

          Die Poeten *

          Geheimnis vom Fliegen * 

          Holunder *

          Kann man das Dichten üben? *

          Was wird bleiben (von meiner Dichtung) *

  

2021  Brücken (Zwischen den Seelen) *

          Die Klobrille * 

          Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) *    

          Fluchthelfer *

          Halt ein *

          Kronos (Die Zeit der Ruinen) *

          Mein Liebeslied für dich *

          Schmutz an den Schuhen regennasser Straßen (DER SOHN II) *    

          Tsunami *

  

2022 24.02.22 *

         Asche wie Schnee *

          Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) *

          Bekenntnisse *

          Brücken ohne Ufer *

          Countdown (ins Beschränkte) *

          Das Wüstentier (DER SOHN V)     

          Dein Nicht-Nein * 

          Der Inn (Fluss-Gedichte:) *

          Der schlimme Mann *

         Der Sohn (Brücken ohne Ufer) (DER SOHN III) *     

          Der Wikinger *     

          Ganz in deiner Nähe (Ein Frau unterwegs) (Eine Nachdichtung von "A solo un paso de aqui" von Cecilia Puebla) *

          Götterdämmerung *

          Im Turm der Dichter *

          Laotses Befragung *

          Letzte Nacht vor meiner Kneipe (Ein psychopathologischer Alptraum über den Sommer 21) *

          Mathematische Wunder oder Die Zeitgleichung *

          Messer *

          Mögliche Kapitulationen *

          Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) *

          Sinn als Zweck (oder: Ein kleine Exkursion) *

          Tajuras Lied *

          Unfertiges oder Eine Verbeugung vor Ringelnatz *

          Warum Wunden nicht heilen *

          Was zu tun ist *

          Wir (als Verneinung) *

          Wir (in der Vergangenheitsform) *

          Wo dein Sternbild mir leuchtet (DER SOHN IV) *    

          Zum Wohle des Kindes *

          Zwei Panzer (vor Kiew) *

 

2023 Als sie... (Zeitratten) *

          An das Leben *

          Aristoteles´ Schüler     

          Bauchgefühle unterm Honigmond (Die Zeit der Schmetterlinge) *

          Bei mäßiger Zielsicht *

          Bekenntnisse eines Dichters *  

          Brandgeruch 

          Der Krieg verharrt in der Todeszone *

          Der Schrei 

          Die drei Gesichter (Wachsen, Blühen und Verwelken oder: Ein Lebenslauf) *

          Die Zerbrechlichkeit der Zeit * 

          Ein Jahr *

          Es ist ja kein Mord (von Häutungen und Verschalungen) *  

          Farben von: Ferne  (aus dem Zyklus: FARBEN)    

          farblos und blind *

          Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) * 

          Gesichter eines Dichters 

          Gott in Göttingen *   

          Horen - Die beiden Reiterinnen   

          John, Hello I´m in there (Pflastertreter-Ballade) *

          Kleiderwechsel als Modenschau (Ein deutscher Lebenslauf) *              

          Krähengesang * 

          Küchengespräche  

          Les enfants oubliés 

          Lob der Müßiggangs (Hände im Schoß) *

          Lustige Leichen  

          Mein sprachloses Nein *

          Metamorphosen vom NEIN * 

          Mit dem Neuen Jahr (Eine Silvester-Selbst-Ansprache) *  

          Ortega oder Palabras urgentes para Nicaragua *

          Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille     

          Schatten auf Wände

          Scherben und Kreise (bis an den Rand)         

          Sizilianische Wanderungen  

          Skylla und Charybdis (Gedanken über einen Abgesang auf die Demokratie) *          

          So oder so *

          Sonnet about a Poet 

          Stille Geschenke  *   

          Stimmen der Frauen vor Troja *

          Südwärts - mit dem Norden in mir             

          Trump (or How to finsh Democracy) *

          unpassende Fragen        

          Versuche über Carlos Gardel *

          Vorfreude *

          Warum ich intellektuell bin   

          (zwei Regen) 

 

2024  Banksy  

           Das ganze Theater  

           Die Vergessenen   #  

           Dieser Mann der sieben Seelen  

           Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) + 

         Kassandra, reloaded *  

           kein Gesicht 

           like Elvis (for being eternal) *   

           Odyssee (The Returning of H.P.) * 

           Schnitter und Schneider 

           Start und Ziele (auf einem Bumerang) 

           Tu y Yo (Individualismo y Soledad)

           Unter Wölfen  #           

           Verdächtige Zeiten (Blumen der Bösen) *  

           vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) +  

 

          (Status: + in Planung und angekündigt,  # neu, ~ ein Tschüß für alte Freunde, * nicht mehr auf dieser Seite)

WEGE, Spreewald - *Foto: Marie von Kuck
WEGE, Spreewald - *Foto: Marie von Kuck

 

Werkstatt-Report (Neues von Dulon)

-immer die 10 aktuellsten Texte, direkt aus seiner lyrischen Werkstatt-

  

 

= März 2024 =

...

4.  Banksy    

5.  Kassandra, reloaded *

6.  Dieser Mann der sieben Seelen 

 

= April 2024 =

1.  Schnitter und Schneider

2.  Die Vergessenen 

3.  Tu y Yo (Individualismo y Soledad) *

4.  Unter Wölfen 

5.  Dicht am Stamm und Aug´ in Aug´ * 

 

= Mai 2024 =

1.  kein Liebeslied *

2.  kein Liebeslied (im Mond-lichten Schein) *

 

(Status: * nicht (mehr) auf dieser Seite, + angekündigt)

www.jacquesdulon.com/book-projects
www.jacquesdulon.com/book-projects

Der HIDDEN TRACK im WEB-Versteck 

An dieser Stelle erscheint im Jahr 2024 jeden Monat für ca.30 Tage eine neue Prosa-Erzählung von Dulon. 

 

2024 Januar - ...einem anderen Ziel entgegen (1995) (aus: unterwegs)  

2024 Februar - Gott in Göttingen (?) (2023) (aus: unterwegs)

2024 März - Die sich auflösende Welt des Dr. K. (2003) (aus: unterwegs)

2024 April - Lohn des Löhners (1988) (aus: unterwegs) 

2024 Mai - Gesicht vor Spiegel (aus: unterwegs)

 

Gesicht vor Spiegel 

In der Diskothek der Stadt schauten sich stolze Mädchen ihr Spiegelbild an. Sie erstarrten vor dem metallischen Glanz spiegelnder Oberflächen, um den Augenblick zu genießen, der ihnen die Gewissheit gab, dass sie in Schönheit lebten.

Manche Mädchen bekamen in dieser Nacht ein Lächeln, andere einen Kuss geschenkt; einige bekamen andere Geschenke... „Du trinkst viel heute“, sagte Marion. „Musst du in einer Nacht alles nachholen, was du die letzten Monate versäumt hast?“ „Versäumt? - da gibt es nichts nachzuholen“, brummte ich. >Du bist schön<, wäre die Antwort gewesen; und da sie auch der Spiegel verschwieg, blieb sie ungesagt. „Du bist betrunken und willst nur mit mir ins Bett“, hörte ich Marions Stimme. Sie drehte sich noch einmal zu mir um und lachte, „aber danke für das Kompliment“. Sie hatte ja nichts gesehen, konnte nicht verstehen.

Am vorherigen Abend hatten wir Santa Ana, ein ungefähr einhundert Seelen zählendes Pueblo in den westlichen Ausläufern des Amazonas, verlassen. Unser Büro lag etwa fünf Minuten vom Zentrum des Dorfes entfernt. Der knöcheltiefe Schlamm auf den Wegen zwischen meiner Hütte und dem Büro ließ eine Unruhe in mir aufkommen, die ich mit der Vorfreude auf den Stadtbesuch zu verdrängen trachtete.

Marion wartete schon im Büro. Es war fünf Uhr nachmittags, die letzte Stunde Tageslicht, die uns noch blieb, den Wagen für die nächtliche Fahrt durch den Urwald herzurichten. „Was willst du mit dem Wasser? Meinst du nicht, dass wir da draußen mehr als uns lieb ist bekommen werden?“ Marion reagierte nicht auf meine Provokation. Meine Anspielung auf die Regenzeit, in der selbst der kleinste Wasserlauf zu einem nur schwer zu passierenden Hindernis werden konnte, diente somit auch mehr der eigenen Psyche. Immer wenn es kritische Situationen zu überwinden galt, griff ich zum Hilfsmittel der Ironie. Sie ließ sich mühelos bis zum Sarkasmus steigern. Marions Stärke benötigte keine psychologischen Tricks.

Nachdem die Reisevorbereitungen soweit abgeschlossen waren und ich mich in meinen Gedanken schon in einer Stadtkneipe beim Bier sah - die schönste Stadtschönheit kam gerade mit ihrer Freundin durch die Kneipentür - da wurde ich durch Marions Stimme aus meinen Männerfantasien geweckt: „Wenn du Angst hast fahre ich alleine“. Eins zu Null für die Frau. Sie kannte mich gut und darum hielten wir uns auf Distanz und kamen gut miteinander aus.

Ich hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen, weil Marion sich zielstrebig auf den Fahrerplatz zu bewegte. Auch sie wollte mir etwas beweisen, und das beruhigte meinen Männerstolz. War ich noch Maßstab ihrer Ambitionen, konnte ich auf ähnliche Beweise in Ruhe verzichten. Marion startet den Wagen und fuhr los. Ich war sofort eingeschlummert. Dies hatte weniger mit Arroganz zu tun, als mit der Tatsache, dass ich die Zeit bis zum Fahrerwechsel so sinnvoll wie möglich gestalten wollte – in dem ich schlief.

Für die vor uns liegenden dreihundert Kilometer veranschlagten wir im günstigsten Fall eine Reisezeit von zwölf Stunden. Nach drei bis vier Stunden rechnete ich mit dem ersten Fahrerwechsel. Dann würden wir auch die Seitenarme des Rio Madre de Dios erreicht haben. Ich hoffte natürlich noch bis in den Traum, dass die Anlegestellen der Fähren für uns passierbar sein würden.

Wenn der Regen zu einer Selbstverständlichkeit wird, bekommt die Stille einen anderen Ausdruck. Sie erhält ein Grundrauschen, das durch die zerplatzenden Wassertropfen auf den Milliarden von Blättern die Begegnung mit dem Regenwald anzeigt. Es ist eine Stille, die jedes weitere Geräusch verschluckt, jede Unterhaltung beendet. Ähnliche Beobachtungen hatte ich am Meer gemacht, wenn bei schwerer See die Brandungswellen tagelang eine Symphonie von Mahler variierten ohne Musik werden zu wollen. Der Toyota schlingerte sich im ersten Gang von Wellental zu Wellental. Ein dumpfes Klopfen unterbrach mitunter die Regensymphonie, von der ich nicht mehr genau wusste, ob es sie auch tatsächlich gab.

Ein kräftiger Schlag direkt vor meinem Gesicht riss mich aus meinen Träumen. Erschrocken hob ich meinen Kopf von der Seitenscheibe, die mir als Stütze bei meinen Schlafversuchen gedient hatte. Ich drehte mich zur Marion. „Nichts passiert“, beruhigte sie mich ohne ihren Kopf zu wenden. Im matten, grünen Licht der Armaturenbeleuchtung konnte ich ihr Gesicht erkennen. Mit der Konzentration einer Tennisspielerin vor dem gegnerischen Aufschlag steuerte Marion den Toyota durch eine Furt. Ich erkannte trotz der uns umgebenden Dunkelheit, dass der Wagen von der starken Strömung einige Meter vom Weg fortgerissen wurde. Dabei muss ein tiefhängender Ast derart hart gegen mein Seitenfenster geschlagen haben, dass ich mich im Nachhinein wunderte, es noch unzerbrochen vor mir zu sehen. Ungläubig tastete ich es mit meinen Händen ab, um meinen Augen eine Bestätigung zu geben. Hatte ich doch beim Erwachen den knallenden Ton einer brechenden Oberfläche vernommen. Beruhigt stellte ich fest, dass ich mich getäuscht hatte. Als ich mein Gesicht erneut gegen die Scheibe drückte, um eine geeignete Schlafposition zu finden, erkannte ich die Gefahr, der ich bei dem Schlag des Astes ausgesetzt gewesen sein musste. Ich hatte also Glück gehabt, dass ich mit demselben Gesicht weiterleben durfte. Marions demonstrative Gleichgültigkeit mir gegenüber ärgerte mich. „Willst du mich umbringen?“, giftete ich sie Minuten nach dem Vorfall von der Seite an. Marion schwieg. Sie schaute nicht einmal in meine Richtung. Der Toyota hatte wieder halbwegs festen Boden unter den Rädern, und ich hatte mich soweit beruhigt, dass ich meinen Schlaf fortzusetzen gedachte.

Es gibt eine Zone vor dem Schlaf, die sich aus den unmittelbaren Ereignissen bedient, in der das Bewusstsein bei der Verarbeitung der Erlebnisse beinahe hinterhältig vom Schlaf erfasst wird. Zerbrochene Fensterscheiben stießen in mein Gesicht, mein Mund war gefüllt mit gläsernen Weihnachtskugeln, die bei dem ersten Schrei zu zerbrechen drohten. Konnte ich noch schmecken? War meine Zunge schon bedeckt vom eigenen Blut oder war es nur der metallische Geschmack der Christkugeln, auf den ich meine Sinne konzentrierte?

Der fallende Baum: ich sah den Ast, der meinen Schädel zu spalten drohte. Indonesische Polizisten mit Schlagstöcken mutierten zu den knüppelnden Jubelpersern, deren Bilder ich nur aus Zeitungen kannte. Die Schläge, die ich körperlich spürte, spalteten meinen Kopf, zerteilten meine Schultern, meinen Körper. Und schnell wie Überschallflugzeuge erschienen plötzlich tausende von gläsernen Tannennadeln, die sich in einer geordneten Formation vom Baum lösten und auf meine Augen zielten. Ich versuchte meinen Kopf zu drehen. Vergeblich; er war bewegungsunfähig, eingeklemmt zwischen den Schlagstöcken! Im letzten Augenblick riss mich eine Hand zu Boden. Ich hatte die Augen geöffnet. Marion sah mich an. Ihre Hand lag auf meinen Haaren. Sie hielt meinen Kopf, lachte, „etwas zu stark gebremst?“ Erst ganz langsam verstand ich die Situation. Du hast unruhig geschlafen und als ich anhielt, bist du mit deinem Kopf nach vorne geschossen. Ich konnte dich gerade noch mit meinem Arm abfangen, sonst hättest du jetzt eine Beule auf deiner Denkerstirn.

Die Morgendämmerung hatte begonnen. Der Himmel war wolkenfrei und leuchtend rot. „Kein Regen“, stammelte ich noch ganz benommen. Marion hörte mich nicht. Sie war ausgestiegen und machte gymnastische Übungen in der kühlen Waldluft. Das veränderte Klima belebte auch mich. „Wie hoch sind wir schon?“, rief ich durch die geöffnete Seitentür. „Ungefähr auf zweitausend, es sind noch 50 Kilometer“ ... Jetzt erst wurde mir bewusst, dass Marion sich nicht mit dem Fahren hatte ablösen lassen. „Den letzten Rest der Strecke schaffe ich auch noch“, entgegnete sie mir auf meinen fragenden Blick, als sie sich erneut hinter das Steuerrad setzte. „Außerdem lieferst du nicht gerade den Beweis für männliche Dynamik und Einsatzfreude“. War das nun ihre späte Rache für meinen nächtlichen Aggressionsausbruch?

Gegen neun Uhr erreichten wir die Stadt. Unsere Ankunft wurde durch einen Militärposten verzögert, der sich etwa eine Stunde erfolgreich weigerte, unsere Papiere entgegenzunehmen. Nachdem er schließlich von der Tagesschicht abgelöst wurde, die eine andere Dienstauffassung vertrat, konnten auch wir unsere Fahrt fortsetzen.

Das Hotel, für das wir uns entschieden, hatte zwar jede Menge freie Zimmer, aber alle mussten noch hergerichtet werden. Ich bestand darauf, dass dies sofort zu geschehen habe. Ich benötigte dringend ein Bett, nicht um zu schlafen, wie ich Marion versicherte, sondern um meine verdrehten Glieder auszustrecken. Ich schlief dann doch noch zwei Stunden und schleppte mich nicht gerade erholt unter die kalte Dusche.

Marion wartet schon beim Argentinier. Sie saß auf der Veranda und winkte mir übermütig von weitem zu. Ihre graue Urwalduniform hatte sie durch ein leuchtend blaues Kleid ersetzt. Ich versuchte höflich zu sein und stammelte mir ein Kompliment zusammen. Mein zweiter Gedanke war allerdings ein geschäftlicher, denn ich sah den Toyota vor der Veranda geparkt. „Warst du heute Morgen schon auf der Finca?“ Ich schaute sie ungläubig an. „Nur kurz“, antwortete sie spitz, „und dir gefällt wirklich mein blaues Kleid?“ „Was? Ja! sagte ich dir doch schon.“ „Eine Frau hört so etwas gerne öfter“. Ich hatte eine Erwiderung mit einem Papagei auf der Zunge, schluckte sie aber herunter, da sie einer Kriegserklärung gleichkam. Und heute Mittag sehnte ich mich nach Ruhe und Frieden.

Zum Kellner gewandt wiederholte ich Marions Bestellung und bekräftigte meinen Wunsch nach einem kalten Bier. Dabei bemerkte ich, dass meine Stimme weitaus mürrischer klang, als die meiner Kollegin. Die Nacht auf dem Beifahrersitz des Toyotas hatte halt ihre Spuren hinterlassen.

Die bestellten Steaks ließen nicht lange auf sich warten. Sie hatten die erwarteten üppigen, argentinischen Ausmaße. „Für den Preis bekommst Du hier allerdings auch schon eine einheimische Viehherde“, scherzte Marion. „Nach drei Monaten Urwald ist mir der Preis scheißegal“, grinste jetzt auch ich. Die angenehme Wirkung des Alkohols in der Mittagssonne unterstützte meinen Fatalismus. Der erste sonnige Tag seit Menschengedenken auf einer Höhe von knapp 3000 Metern, so kam er mir vor; so sollte es bleiben: Es kam anders.

Gabel für Gabel erreichte steakbeladen meinen Mund. Langsam waren meine Bewegungen; schnell das rückwärtige Zupfen einer Mädchenhand. Irritiert schaute ich mich um und entdeckte ein bettelndes Mädchen, das meinen Ärmel nicht mehr loslassen wollte. Ihren Kopf hatte sie nach hinten geworfen, in ihren Augen suchten die Pupillen orientierungslos mein Gesicht. Das vielleicht vierzehnjährige Mädchen war offensichtlich fast blind. Es ließ sich von einem kleinen Jungen führen, der mir ebenfalls seine kleine Hand unter die Nase hielt. Ihr plötzliches Erscheinen überraschte mich und ich griff gereizt nach dem trockenen Brot auf meinem noch halb gefüllten Teller. Mein Steak sicherte ich instinktiv, indem ich die Messerspitze in das Fleischstück drückte.

Die Brotübergabe misslang: Ohne mich erneut den Kindern zuzuwenden, legte ich dem Mädchen das pappige Weißbrot in ihre alte von Schmutz und Schwielen überzogene Kinderhand. Das nun folgende geschah so schnell, das selbst Marion, die direkt neben mir saß, unbeteiligt blieb. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie der Junge am Ärmel des Mädchenkleides kurz aber heftig zerrte. Daraufhin spreizte das Mädchen ihre Finger und mein Brotklumpen fiel auf die Erde. Mit einer plötzlichen Drehung riss sich nun das Mädchen vom Jungen los und lief direkt auf unseren Toyota zu. Auch der Junge schien von ihrer Reaktion überrascht, denn er blieb unschlüssig, beinahe verloren, an unserem Tisch stehen und schaute dem Mädchen nach.

Das Mädchen ergriff mit beiden Händen den rechten Seitenspiegel unseres Wagens und drehte ihn seitwärts nach oben. Dann drückte es sein Gesicht mit äußerster Gewalt auf die Spiegeloberfläche, verdrehte ruckartig den Kopf, so dass die vermutlich willenlosen Pupillen doch noch eine Bestätigung geben konnten. Suchte das Mädchen eine Antwort? Blieb der Spiegel dem Mädchen eine Antwort schuldig? Du bist hässlich, und du bist schön, und du bist hässlich, und du bist arm, und dein Gesicht ist gespalten, und du träumst manchmal schwer, und die Mädchen tanzen vor dem Spiegel, und ein Gesicht ist zersprungen, und...

„...der Ast, erinnerst du dich?“ rief mir Marion erstaunt zu. Ich stand am Toyota, schaute in den Seitenspiegel, in dem mein Gesicht in Scherben zerfiel.

 

2024 Juni - Der ungewöhnliche Lebenslauf des Werner M. *** (aus: unterwegs)

2024 Juli - Ein gelungener Zaubertrick ** (aus: unterwegs)

2024 August - Studentenzeit * (aus: Orte und Dichtung)

2024 September - Georg las die Zeitung * (aus: Fragmente in Blau)

2024 Oktober - Die Verwechslung * (aus: Fragmente in Blau)

2024 November - Luft zum Atmen * (aus: unterwegs)

2024 Dezember - Der Traum von Señor Martines ? (aus: unterwegs)

(ENDE des PROSA-PROJEKTES)

 

(Status: ? in der Sichtungsphase, * in Planung, ** in Vorbereitung, *** angekündigt)

 

Blick nach vorn, Berlin - *Foto: Cecila Puebla
Blick nach vorn, Berlin - *Foto: Cecila Puebla

 

PS. Wenn du etwas nicht verstanden hast, was man nicht verstehen kann... dann hast du alles verstanden (Dulon)

last update 18.05.2024