„In Augenkontakt mit den Dingen sein, für die ich Wörter zu sammeln versuche.“
Christoph Wilhelm Aigner
"Die Krähe
fürchtet die Krähe nicht
aber der Mensch
ist des Menschen
bangste Begegnung."
Hilde Domin
Dickflüssiger Montag (22.06.2024)
Auf dem Weg ihrer Bestimmung
verliert die Saat der Bäume
ihren luftigen Weg, folgt
dem Gemütszustand des Tages.
Wolken, flach und langgezogen,
schleichen unmotiviert über
einen selbstvergessenen Himmel.
Einzelne gedämpfte Vogelstimmen
halten das Spiel am Laufen.
Von der benachbarten Straße
klingen die Autos gequält, als
pfeifen sie aus dem letzten Rohr.
Aus meinem Frontallappen
tropft zäher Buchstabenhonig,
klebt meine Motivation
an den Grundriss des Balkons
und in den Straßen liegt das Leben
scheinbar ausgelaugt, wie
nach einer durchzechten Nacht.
Im Stillen zählt der Montag
seine Sekunden – wartet
auf die Ablösung.
Dehnbarkeit des Nichts (15.06.2024)
Der Blick durch die Balkontüren steht still
addiert die Befindlichkeit der Bäume.
Unter der Aufdringlichkeit des Regens
lassen sie ihre Schultern hängen.
Die Gravitation des Sofas hat zugenommen,
zieht meine Sicht in die Schwere der Polster
und meine Jahresringe auseinander.
Hinter der regengetrübten Iris
schwirren Worte wie Fliegen um das Aas.
Ihr fortwährendes monotones Surren
verhindert den Fokus aufkeimender Bilder.
Der Mangel an Bedeutung legt sich
wie ein Schleier über die Fragmente der Welt.
Aus den Bücherregalen tönt das Schweigen.
Die Teilnahmslosigkeit ihrer Bewohner spricht Bände.
In der Unordnung meiner Möglichkeiten
nicht die kleinste Spur eines Lesezeichens
und die Leere des Blattes beansprucht
für sich die Gegenwart.
Leere Seiten (08.06.2024)
Im Hintergrund der Bühne
hängen die Rollen der Akteure
aufgereiht wie vergessene Anzüge
einer geschlossenen Wäscherei.
Die Zeigefinger der Intendanten
schreiben ihre Erwartungen in den Raum,
wie Absperrband ziehen sie sich
um die knarrenden Dielen.
In einer Ecke, der Eine
sucht nach seinem Text,
doch die Teer befleckten Hände
ziehen nichts als leere Seiten
aus den ausgebeulten Taschen.
Eine Sekunde hat 60 Minuten
und auf den Telepromptern
blinkt tempus fugit.
Im Gewühl der Jahrzehnte
(04.06.2024)
Das süße Pendel der Weiblichkeit
schwingt sich durch die Klarheit
einer lichtdurchfluteten Idylle.
Vertraute Worte schmiegen sich
in verspielt zärtlichen Berührungen
an die Erinnerungen der Konturen.
Worte in ihrer unbeschwerten Jugend
frei von dem Gewicht eines Lebens.
Mit stummer Last greift die Sehnsucht
nach der flüchtigen Intimität,
doch das Pendel treibt die Zeit
und so rinnen ihr die Worte durch
die Schwere der geöffneten Finger.
In der Stille des Zimmers
(30.05.2024)
In der Stille des Zimmers
entstehen Welten
abseits alles Irdischen,
kämpfen unbewusst
um den Erhalt
der kindlichen Seele.
Sie lacht, versteht noch nicht,
wie das Laub fällt
und den schmalen Pfad bedeckt.
Jahrzehnte später entstehen
in der Stille des Zimmers
Welten abseits alles Irdischen …
Dort, wo die Mannschaft
das Spiel am Laufen hält,
legt der Unparteiische
die Regeln auf die Goldwaage.
Ich warte auf die Einwechslung,
denn die Anzeigetafel steht noch
auf unentschieden.
Und in der Ferne stand ein Leben (29.05.2024)
In den vielen Sommernächten lauschte
die alte Eiche der unausgesprochenen Zukunft,
erträumte in stummen Versen die Unversehrtheit,
umarmte mit weit ausladenden Ästen das Refugium.
… und in der Ferne stand ein Leben,
während die Unschuld ein Lachen weinte.
Deine Augen suchten unter der Haut
nach der Formel für bedingungslose Intimität.
Deine Fingerspitzen verfehlten das Tor der Zellen,
stießen auf nackte Worte, lösten nicht die Gleichung.
… und in der Ferne stand ein Leben,
während die Unschuld ein Lachen weinte.
Das Lied blickt zurück auf ein Leben,
dem Anfang eines Kampfes um Ursprung,
pulsiert um die ungefüllten Stellen des Rätsels
brennt sich süß und heiß durch die dürren Fasern.
… und in der Ferne steht ein Leben,
während die Unschuld ein Lachen weint.
Und jetzt ist alles (29.05.2024)
Die Räume deines Herzens sind gefüllt
mit dem Rausch verlorener Berührungen
mach es frei – denn jetzt ist einfach alles.
Und jeder Zentimeter deiner Haut zeigt,
die Entscheidungen pulsierender Momente
berühre sie – denn jetzt ist einfach alles.
Die Furchen in den Feldern der Erinnerung,
sie sind tief und der Grund weich vom Blut
fülle sie – denn jetzt ist und bleibt einfach alles.
Fragen zur Rotation (29.05.2024)
Sind das Silber und Gold
nur noch billige Legierungen
einer inflationären Verständigung?
Betrachtet man ihren aktuellen Kurs,
bleibt der Gewinn allmählich aus.
Wenn weniger mehr ist,
warum nicht in diese Aktie investieren?
Und wenn das Ganze mehr ist
als die Summe seiner Teile,
warum bleiben so viel Areale ungefüllt?
Die Fragen verblassen
in der unaufhörlichen Dominanz
der Rotation.
Spurensuche (26.05.2024)
Inspiriert durch Jacques Dulon
Da liegen die ausgedörrten Felder
beraubt der Erinnerung
an überschwängliche Ernten.
Unaufhörlich zieht die Feder
durch die trockene Erde,
lockert den Grund auf der Suche
nach überlebendem Saatgut,
einem Zeichen der Fruchtbarkeit.
Doch die Erde bewahrt das Blut
und die Feder verliert ihren Schliff
an den achtlos zurückgelassenen
Gesteinsbrocken.
Assimiliert (25.05.2024)
Mit leichten Füßen tänzelnd
über die Blätter flüssiger Klänge
erheben sich flüchtige Nebel
gefüllt mit den vagen Konturen
süß vertrauter Berührungen.
Im Verborgenen (25.05.2024)
Die Symbole
jahrzehntelanger Entscheidungen
verschleiern die Natur,
doch die Vitalität der Worte
bewegt das Geheimnis
unter der Haut.
Laufen lasen (25.05.2024)
Das gläserne Goldgelb
füllt den Äther mit dem Duft
eines leichtfüßigen Tages.
Kontinuierlich lockert sich
das Blei der Erkenntnis,
weicht dem feinen Geäst
farbiger Momentaufnahmen.
Die Sprache der Lippen
(23.05.2024)
In der Wahrheit der Lippen
offenbart sich
die Unsicherheit der Worte,
erfüllt sich
der Klang der Zellen.
Wie Seifenblasen
zerplatzen die leichten Tage
an den Stacheln der Banalitäten,
den Zäunen darwinistischer Enge,
da der Wind nicht nachlässt.
Ich erinnere den Kranich,
wie er mit weiten Schwingen
die Bedeutung
aus der Gegenwart sammelt
und in stillen Kreisen
über die satten Felder streicht.
Ohne Raum (22.05.2024)
Aus den abgegriffenen Stellen
inflationärer Anatomie
entweicht der Ursprung,
tropft das Offensichtliche.
Der Abstand zwischen den Zeilen
verhindert das Atmen
und die Wurzeln veröden.
Was kommt danach? (22.05.2024)
Wo sind sie hin, die leichten Worte?
Die filigranen, flüchtigen Gewebe,
die gezielt die Gefühle punktieren,
neue Inspirationen gebären.
Müde sind sie alle, da die Hässlichkeit
zäh wie Teer an ihrer Bestimmung haftet.
Im Abwägen des Menschlichen
sind die Waagschalen gefüllt
durch Klang und Kakofonie.
Die Wahrheit in der Begegnung (18.05.2024)
Was verraten dir deine Facetten,
wenn du dich näherst,
dein vierblättriger Rücken
deine Präsenz in die Stille hebt
und den Fluss der Zeit bestimmt?
Deine Neugier adelt mich.
Legt sie doch wieder mehr Gewicht
in die Waagschale der Bedeutsamkeit.
Der Sturm (18.05.2024)
Willst du dem Sturm
wirklich sein Wesen entreißen?
Hast du denn letztendlich
nicht schon in sein Auge geblickt?
Ist die Jagd nach seiner Wahrheit
nicht nur ein Deckmantel –
für die Ruhe danach?
Die Worte, die ich nie schrieb (18.05.2024)
Die Worte, die ich nie schrieb,
sind die stummen Zeugen
eines unvollendeten Mosaiks.
Wie Scherben liegen sie
in Jahrtausend alter Erde,
wartend auf die Entdeckung
der Sprache.
Kein Liebesgedicht (18.05.2024)