Jörg Nath


 „In Augenkontakt mit den Dingen sein, für die ich Wörter zu sammeln versuche.“

                                                                                                        Christoph Wilhelm Aigner

 

"Die Krähe

fürchtet die Krähe nicht

aber der Mensch

ist des Menschen

bangste Begegnung."

                                               Hilde Domin

 

 

                                                                       „Wer mein Schweigen nicht annimmt, dem habe ich nichts zu sagen.“

                                                                                                                                                                      Wolfgang Bächler

 

„Wir sehen fast glücklich aus in der Sonne, während wir verbluten aus

 Wunden, von denen wir nicht wissen.“

Tomas Tranströmer

 

 

                                                    „Ich trete in dem Moment ans Licht in dem ich mich selbst als Frage definiere“.

                                                                                                                                                                            Haris Vlavianos

 

Auf meinem Gesicht (18.10.2024)

Ein Liebesgedicht an die Sehnsucht

 

Die Haut des Flusses erliegt den Anspielungen der Sonne,

vibriert unter ihren Verführungskünsten. Eng umschlungen

tanzen sich beide in die Bedeutsamkeit, füllen die Zellen

 

der Gegenwart mit dankbaren Bildern. Auf meinem Gesicht

liegt ihr goldener Zuspruch, buchstabiert Zärtlichkeit wie eine

erste unsichere Berührung, drückt mich vorsichtig in die

 

Zuneigung der Stadt und befreit den Atem der Erinnerung.

Schulter an Schulter liegen die verträumten Segler in der

sanften Stimmung. Ihre hölzernen Wangen glühen unter

 

der Intimität des Moments, fluten die Herzkammerspeicher –

mit lebensbejahender Sehnsucht.

 

 

 

 

 

Der offene Blick (12.10.2024) eine Verneigung vor Elisabeth Oltzen

 

Emporgehoben

aus dem Überfluss

erläutern offene Blicke

den Unterschied zwischen

HABEN und SEIN.

 

 

 

 

 

 

Herzleinwände (12.10.2024) eine Verneigung vor Elisabeth Oltzen

 

Der nächtliche Weg durch

die farbenverträumte Stadt

füllt meine Herzleinwände

mit Bildern der Bedeutsamkeit.

 

 

 

 

 

Vom Schlendern (10.10.2024)

 

Heute sind die Schritte lichtdurchflutet,

erheben Anspruch auf die Gegenwart.

Die Iris blickt Azur getränkt und die Haut

atmet herbstlich süße Endlichkeit.

 

Farben weichen überall den Stunden,

unausweichlich klingt ihr müder Fall.

Und während sie sich zur Ruhe legen,

bleibt dankbar nur ihr schwerer Duft.

 

Heute erinnern sich die Kammern

der Wahrheit hinter all den Formen

in Demut neigt sich still das Haupt

dankbar für jeden ihrer Atemzüge.

Atemübungen (22.09.2024)

 

Die Aorta der Stadt ist gefüllt mit emsiger Konformität und dem

unablässigen, monotonen Surren ungefilterter Gedanken. Doch

abseits des Stroms führen die alten Gassen und Giebel einen

 

Dialog mit dem Schweigen, bemühen sich um Wahrheit. Der Staub

der Gegenwart liegt dicht auf den Lungenflügeln meiner Empfindungen.

Zielgerichtet lenken sie die Schritte aus der steinernen Umarmung,

 

führen zu den Ankerplätzen frei zugänglicher Inspirationen. Dort stehen,

wie unbesetzte Stühle in einem leeren Zimmer die arbeitslosen Hafenkräne

in ihrer Vergangenheit – Spiegelbilder eines unfreiwilligen Weges.

 

Die Schönheit ihrer in sich ruhenden Individualität liest sich wie eine

Anleitung für Atemübungen. Dazu die alten Segler unbeachtet wie eine

Anthologie hölzerner Märchen. Die Dichte ihrer Geschichten erdet

 

die unsteten Neuronen. Hört man genau zu, kann man die tiefen

Atemzüge ihrer Jahre vernehmen, spüren, wie sie die Lungen füllen –

mit der Klarheit frisch gelüfteter Bilder.

 

 

 

 

 

Das neue Licht (16.09.2024)

 

Die früh morgendlichen Fußspuren der Sonne hinterlassen

eine Zärtlichkeit auf der Haut des Uferweges, verändern

den Rhythmus der Schritte. Ihre Geschichten aus Licht und

 

Schatten erhöhen die Sekundenzahl der Stunden, erzählen

das Märchen der Bedeutungslosigkeit. Noch bewahren

sich die Bäume ihre Erinnerungen an den Sommer, ziehen

 

letzte Inspirationen aus der gefälligen Septemberwärme

für den kommenden Abschied und das aufkeimende Dunkel.

Wieder einmal liegt eine neue Ruhe im Licht. Sie wird begleitet

 

von einem nachdenklichen Unterton, der mit seiner Zurückhaltung

der Stadt mehr Zeit einräumt, zu erwachen und zu lauschen –

den unwiderlegbaren Argumenten des Lebens.

 

 

 

 

 

Die Haut der Steine (16.09.2024)

 

In der Auferstehung liegt etwas Reines, etwas Ehrliches. Doch

der Kampf um die neue Stimme ist auch Nährboden für Schatten

und ihren schmalen Grat in die Kälte. Sie wachsen, wenn Wunden

 

die Haut der Steine annehmen, die Sprache zum Strudel ihres Selbst

wird und das Bewusstsein sich ins Zentrum des Universums verschiebt.

So weitet sich der Raum zwischen den Wörtern, öffnet das Bodenlose

 

und die Wärme stürzt in den tonlosen Raum – bevor sie zur Rückkehr ruft.

 

 

 

 

 

Das Urteil (13.09.2024)

 

Mit weit aufgerissenen Augen verstummt das

ambivalente Satzzeichen, als der Richterspruch

den vernebelten Saal mit seiner Klarheit durchbricht.

 

Die Spuren in den einst blühenden Wiesen, die

das Verfahren hinterlässt, sind nicht zu übersehen.

Tiefe und breite Furchen, die den fruchtbaren Boden

 

verdichten. Selbst der Eine schien sich zu verlieren,

als aus dem Nichts ein Nebenkläger die Bühne betrat.

Doch das Urteil ist gesprochen und es heißt Zukunft.

 

Wird sich das Blut erholen von der Übersäuerung

der Vorwürfe? Wird es Erneuerung geben für die

letzten Bruchstücke des Mosaiks, die den ständigen

 

Steinwürfen standhielten? Die Teer befleckten Hände

sind gesäubert, doch die Kammern sind gefüllt mit

dem bitteren Nachgeschmack zu schneller Worte.

 

 

 

 

 

Falsch verstandene Symbiose (12.09.2024)

 

Wieder einmal führt mich der Kanal an der kurzen Leine,

bleibt seiner Linie treu – stringent, immer geradeaus

und während die Zivilisation durch Abwesenheit glänzt,

haften sich letzte Banalitäten an meine Großhirnrinde.

 

Der erste Kontakt mit einer verwitterten Existenz rückt

die Gegenwart in ein neues Licht, zeigt akrobatische

Wetterboten, die unbeschwert ihre Spiegelbilder jagen.

Ihr hypnotisches Spiel verlangsamt das übersäuerte Blut.

 

Die schuppige Gleichgültigkeit saugt sich Köstlichkeiten

aus dem Abbild des Himmels, während ein halsloser Segler

mir die Thermik beweist. In bodennaher Leichtigkeit sondiert

er das kulinarische Angebot. Beim Lösen der Betrachtungen

 

bleibt alles Überflüssige hängen an dem unscheinbaren

Refugium und der erneute Weg, er scheint bergab zu führen.

Immer wieder öffnet sich die Vergangenheit, zeigt ein Land

vor unserer Zeit, als die Bedeutsamkeit noch keine Rivalen hatte.

 

Ihr Besuch lässt die Assimilation voranschreiten. Mit stoischer

Ruhe praktizieren Langhörner die meditative Gegenwart, das

Mahlen der Kiefer als Gegenstand ihrer Existenz und über mir

zentriert eine Königsweihe den überbevölkerten Blick, die Sonne

 

im Gefieder schreibt sie die Sehnsucht in das Blau und

gebetsmühlenartig flüstert das rhetorisch begabte Schilf –

wer braucht hier wen?

 

 

 

 

 

Wo bleibt der Blick zurück? (09.09.2024)

 

Spät sind wir dran, laufen fast schon völlig selbstverständlich

dem eigenen Loblied hinterher. Schnell waren wir nur im

Errichten der Eitelkeiten. Immer größer haben wir sie gebaut,

 

uns die Sicht versperrt. Haben sie mit mehr Glanz überzogen

und so das eigene Sehen verbrannt. An den Grenzen unserer

selbst konstruierten Welten hängen die Worte der anderen

 

im Stacheldraht, bluten ihre Bedeutung in den gerodeten

Waldboden. Trotz der fortschreitenden Unfähigkeit unserer

Ohren zerstückeln wir weiter die Möglichkeiten der Sprache,

 

zerstören ihre Schönheit, die sanften Hügel ihrer heilenden

Idylle. Ohne zurückzuschauen flogen wir die Leiter hoch,

setzten uns die Krone auf, während am Boden

 

die Herzen kauerten. Könnten die Tiere lachen – wir würden

die Schreie der Überlebenden nicht hören.

 

 

 

 

 

Das zwischenmenschliche Drahtseil (07.09.2024)

 

Der langsame Verfall der Stille hat begonnen, denn

ihre Antworten sind schonungslos, stellen die Existenz

infrage. Belanglosigkeit füllt die Stundengläser aus Angst

 

vor ihrer Stimme und der Wahrheit leiser Sekunden. Ihre

Abwesenheit spannt unaufhörlich das zwischenmenschliche

Drahtseil, stellt seine Festigkeit auf die Probe. Und so bluten

 

wir weiter aus der Vergangenheit, die im Nebel kauert, uns

an das Flächenland kettet, während das Spiegelglas

immer mehr an Glanz verliert. Doch wer frei von Schmerz ist,

 

der schreibe ein unsterbliches Gedicht, berichte der Welt

von der Zusammenführung der Teile. Der Rest wird verraten durch

die Höhe seines Lachens und der Lautstärke seiner Sätze. Denn

 

nichts als Wissen bedeutet nichts zu wissen, solange die Erlösung
wieder und wieder über den Horizont stolpert und die Tür –

in die nächste Dimension verschlossen bleibt.

 

 

 

 

 

Die Kuppel (01.09.2024)

oder die Hand in der Ferne

 

Die Welt verschwimmt unter der Kuppel der Sterilität.

Bereits nach wenigen Stunden verlässt das letzte Individuum

die Gefilde des Greifbaren, fällt in die Gleichförmigkeit.

 

In der Dämmerung des Bewusstseins schlägt die Tür unaufhörlich.

Stimmen ziehen durch die Wahrnehmung, deren Echtheit

die letzten Fragmente der Sinne auf die Probe stellen.

 

Durch die Flure hallen die digitalisierten Rufe hilfloser Nummern

und das roboterhafte Atmen einer Silhouette wird zum Mantra

des Wunsches nach Auferstehung – füllt die Sekunden.

 

Die geöffneten Hände prallen ab an dem leblosen Körper

eines vernebelten Versprechens, verlieren ihren Halt. Der bittere

Nachgeschmack ergießt sich in die tiefsten Winkel der Existenz.

 

Und als der Abschied das Gepäck schultert, öffnen sich die Flügel

und der erste Schritt hinaus aus der Kuppel beendet das Mantra.

Dickflüssiger Montag (15.08.2024)

 

Meine Blicke hängen sich an die träge Saat der Bäume.

Auf dem Weg ihrer Bestimmung verlieren sie den

luftigen Weg, folgen dem Gemütszustand des Tages.

 

Wolken, flach und langgezogen, schleichen unmotiviert

über einen selbstvergessenen Himmel, ihr Schauspiel

verlangsamt die Arbeit der Synapsen. Einzelne gedämpfte

 

Vogelstimmen halten das Spiel am Laufen und von der

benachbarten Straße klingen die Autos gequält, als pfeifen

sie aus dem letzten Rohr. Aus meinem Frontallappen tropft

 

zäher Buchstabenhonig, klebt meine Motivation an den

Grundriss des Balkons und in den Straßen liegt das Leben

scheinbar ausgelaugt, wie nach einer durchzechten Nacht.

 

Im Stillen zählt der Montag seine Sekunden – wartet

auf die lang ersehnte Ablösung.

 

 

 

 

 

Uneigennütziger Sommer (14.08.2024)

 

Den Gedanken freien Lauf lassend liegt der Abend

weit ausgestreckt in einer widerstandslosen Stadt.

Der Sommer hat zum Stelldichein geladen, nutzt die

 

Gunst der Stunde, um die Gefühle winterfest zu machen.

Selbstverliebt streift er durch die Parks, in denen sich bereits

die verstreuten Intimitätsoasen seiner Sprache ergeben.

 

Wer sie annimmt, kann sehen wie er neben den aus Lippen

geformten Träumen liegt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt

und dem Klang der Berührung lauscht. Verschmitzt lächelnd

 

träufelt der Hofnarr des Lebens seinen Herzschlag auf ihre Lider

in der Hoffnung, sein Zauber möge seine Abwesenheit überdauern

und nicht enden – als saisonales flüchtiges Flackern.

 

Und wieder einmal flüstert der Sommer ganz uneigennützig

seine verloren gegangene Botschaft in die Ohren der Zukunft.

 

 

 

 

 

Kopflastige Überdosis (07.08.2024)

 

In dem Hinterfragen des eigenen Denkens

liegt die Unversehrtheit seelischer Weite

und der Schlüssel für die Tür zum Wahn.

Wie kann ich dann dem Licht vertrauen,

der Leuchtfeuer, die ich selbst entzünde?

 

So füllt mein starres Nichtsein unaufhörlich

den Raum zwischen Existenz und Horizont.

Und die Klinge meines Sehens, sie wird müde,

vermag der Hydra kaum mehr zu trotzen,

die den Weg versperrt in das tiefe Blau.

 

Wie ich ihn vermisse, den stummen Dialog

in langen Nächten mit vertrauten Sternen.

Ihre Antworten, sie blieben niemals fern

genau die, die ich niemals hören wollte.

 

 

 

 

 

Unter der Stille (05.08.2024)

 

Im Erschaffen der Verse liegt eine Stille,

sie füllt meine Sehnsucht mit ihrer lautlosen Sprache.

Doch ist sie verhallt, folgt der Hunger nach mehr

und die Frage nach einer Existenz unterhalb ihrer Weite.

 

Mit weit ausgestreckten Armen liege ich rücklings

auf dem kleinen Refugium, treibe in der Güte des Wassers.

Die Blicke verlieren den Halt im Azur, folgen der Sehnsucht des Ikarus

und ich falle in die Antwort, falle in die Tiefe einer neuen Sprache.

Mein Beitrag (22.07.2024)

 

In meinem Hirn tummeln sich die Reize

wie Touristen in überfüllten Einkaufsstraßen,

blockieren meine Sicht, mein Gespür

wie die Schnäppchenjäger die Wühltische

in der letzten Phase eines Schlussverkaufs

und auf der Leinwand explodieren die Bilder

in einem Blitzlichtgewitter, bevor die Farben

ihren Sinn und ihre Schönheit entfalten.

Die Neurotransmitter machen Überstunden,

stauen sich an der Mautstation der Synapsen,

die verständnislos die weiße Flagge hissen und

für die Erweiterung der Bahnen demonstrieren.

Bleibt zu hoffen, dass die emsigen kleinen Bienen

ohne Gewerkschaft niemals den Streik für sich

entdecken – wer sollte sie beschwichtigen?

Das Gehör erzittert, windet sich unter dem

unaufhörlichen Ansturm flacher Wirklichkeiten.

Gleich einem Sandsturm schneidet sich ihr Ton

durch die Haut meiner Empfindungen, hängt sich

wie ein Parasit an die zwischenmenschlichen Fasern.

 

Nun lassen sie sich einmal kurz verführen, ja

in die Arme schließen von der folgenden

Vorstellung: Das Leben – ist ein Sommerkleid.

Wie angenehm leicht, geradezu lächelnd trägt

sich nunmehr der Alltag. Das beschwingt luftige

Wesen verhindert das Überhitzen der Gemüter,

hebt ihre Gedanken über die Mauern einer

grobmaschigen, monochromen Welt. Seine weiche,

fein gewebte Umarmung stimuliert die Zellen,

macht sie empfänglich für Nähe und Berührung

und die fröhlich schwebenden Farben und Muster

veröden den Zugang zur Gier, öffnen den Blick

für die Bedeutung und den Wert der Schönheit.

 

Das Leben ein Sommerkleid – mein Beitrag

zum Weltfrieden, dazu die Luft verwoben

mit einem Hauch von knisternder Intimität

und im Glas das sexy Gewand

eines sinnlichen Rosés.

 

 

 

 

 

Der Eine – Aufziehende Kreise (11.07.2024)

 

In den wenigen windstillen Momenten,

da die Akteure in ihren stillen Kammern

ihre viel kritisierten Rollen optimieren,

dringt der verlorene Ruf der Gegenwart

an mein bühnenerprobtes Gehör,

dann schimmert schwach der Pfad

zum Ufer ihrer wartenden Erkenntnis  

durch das wuchernde Gedankendickicht.

Vorsichtig folge ich meinen alten Spuren

nicht zu schnell, sie nicht zu verschrecken,

bis ihre Anwesenheit meine Füße benetzt.

Ein letzter prüfender Blick in die Wipfel,

dann betrachte ich die Quelle der Achtsamkeit,

schaue hellwach auf die gelebten Jahre,

dem Spiegelbild bewegter Erinnerungen,

hoffend, dass sich ein Name offenbart.

Doch bevor er die Oberfläche durchdringt,

er zur Wahrheit wird, frischt der Wind auf,

belebt die Gestade und es fällt ein Stein.

Seine aufziehenden Kreise verzerren

das Gesicht, verwischen den Pfad und

das Ende eines weitverzweigten Weges.

Im Hintergrund – der Eine jongliert

im Clownskostüm mit vertrauten Bildern.

Seine stummen traurigen Lippen formen

die schon lang erahnte Antwort und

vor ihm türmen sich wartend die Kiesel.

 

 

 

 

 

Der Eine – Der ewige Roman (06.07.2024)

 

Und der Eine – der aus sich selbst agiert

er tritt diese Tage ins Licht und schweigt.

Er – der einer unter vielen und doch alle ist

Er – der zwischen den Gedanken spricht,

betrachtet den Richterspruch und schreibt

an der Fortsetzung seines ewigen Romans.

Das Gewicht seiner Werke liegt schwer

in den verzweigten Regalen unserer Jahre

und ein Beben erfasst die fragile Struktur

fügt er ungefragt einen neuen Band hinzu.

Die Übersetzung seiner Sprache fordert viel

von dem Sand in meinem Stundenglas,

denn die Quelle seiner Feder – sie versiegt nie

tränkt das gierige Papier ohne Unterlass.

Und scheinbar unbeschadet hat die Kraft

seines Wirkens die Zeit wohl überdauert,

doch seine Stille formuliert Veränderung –

zeigt einen Hauch von Wir in seinem Blick.

Und die neuen Zeilen legen sich wie Finger

auf die tiefe Landkarte meines Lebens

und die Schwere seiner ersten Berührung

entblättert Nacktheit – ein neues Gesicht.

 

 

 

 

 

Das Weiß der Blüte (02.07.2024)

 

Auf der Suche nach einem sicheren Ufer

schwimmen die Gedankenfetzen

durch ein Meer toter Sekunden.

In der Ferne immer wieder – das Edellieschen.

Seine Vollkommenheit füllt den Balkon,

befeuert das Verlangen nach Antwort.

Das Weiß der in sich ruhenden Blüten

formuliert den stummen Wunsch

einer Schatten befleckten Gegenwart.

Dehnbarkeit des Nichts (15.06.2024)

 

Der Blick durch die Balkontüren steht still

addiert die Befindlichkeit der Bäume.

Unter der Aufdringlichkeit des Regens

lassen sie ihre Schultern hängen.

 

Die Gravitation des Sofas hat zugenommen,

zieht meine Sicht in die Schwere der Polster

und meine Jahresringe auseinander.

 

Hinter der regengetrübten Iris

schwirren Worte wie Fliegen um das Aas.

Ihr fortwährendes monotones Surren

verhindert den Fokus aufkeimender Bilder.

 

Der Mangel an Bedeutung legt sich 

wie ein Schleier über die Fragmente der Welt.

Aus den Bücherregalen tönt das Schweigen.

Die Teilnahmslosigkeit ihrer Bewohner spricht Bände.

 

In der Unordnung meiner Möglichkeiten

nicht die kleinste Spur eines Lesezeichens

und die Leere des Blattes beansprucht

für sich die Gegenwart.

 

 

 

 

 

Leere Seiten (08.06.2024)

 

Im Hintergrund der Bühne

hängen die Rollen der Akteure

aufgereiht wie vergessene Anzüge

einer geschlossenen Wäscherei.

 

Die Zeigefinger der Intendanten

schreiben ihre Erwartungen in den Raum,

wie Absperrband ziehen sie sich

um die knarrenden Dielen.

 

In einer Ecke, der Eine

sucht nach seinem Text,

doch die Teer befleckten Hände

ziehen nichts als leere Seiten

aus den ausgebeulten Taschen.

 

Eine Sekunde hat 60 Minuten

und auf den Telepromptern

blinkt tempus fugit.

 

 

 

 

 

Im Gewühl der Jahrzehnte (04.06.2024)

 

Das süße Pendel der Weiblichkeit

schwingt sich durch die Klarheit

einer lichtdurchfluteten Idylle.

Vertraute Worte schmiegen sich

in verspielt zärtlichen Berührungen

an die Erinnerungen der Konturen.

Worte in ihrer unbeschwerten Jugend

frei von dem Gewicht eines Lebens.

Mit stummer Last greift die Sehnsucht

nach der flüchtigen Intimität,

doch das Pendel treibt die Zeit

und so rinnen ihr die Worte durch

die Schwere der geöffneten Finger.

In der Stille des Zimmers (30.05.2024)

 

In der Stille des Zimmers

entstehen Welten

abseits alles Irdischen,

kämpfen unbewusst

um den Erhalt

der kindlichen Seele.

Sie lacht, versteht noch nicht,

wie das Laub fällt

und den schmalen Pfad bedeckt.

 

Jahrzehnte später entstehen

in der Stille des Zimmers

Welten abseits alles Irdischen …

 

 

 

 

 

Ungewiss (30.05.2024)

 

Dort, wo die Mannschaft

das Spiel am Laufen hält,

legt der Unparteiische

die Regeln auf die Goldwaage.

 

Ich warte auf die Einwechslung,

denn die Anzeigetafel steht noch

auf unentschieden.

 

 

 

 

 

Und in der Ferne stand ein Leben (29.05.2024)

 

In den vielen Sommernächten lauschte

die alte Eiche der unausgesprochenen Zukunft,

erträumte in stummen Versen die Unversehrtheit,

umarmte mit weit ausladenden Ästen das Refugium.

 

… und in der Ferne stand ein Leben,

während die Unschuld ein Lachen weinte.

 

Deine Augen suchten unter der Haut

nach der Formel für bedingungslose Intimität.

Deine Fingerspitzen verfehlten das Tor der Zellen,

stießen auf nackte Worte, lösten nicht die Gleichung.

 

… und in der Ferne stand ein Leben,

während die Unschuld ein Lachen weinte.

 

Das Lied blickt zurück auf ein Leben,

dem Anfang eines Kampfes um Ursprung,

pulsiert um die ungefüllten Stellen des Rätsels

brennt sich süß und heiß durch die dürren Fasern.

 

… und in der Ferne steht ein Leben,

während die Unschuld ein Lachen weint.

 

 

 

 

 

Und jetzt ist alles (29.05.2024)

 

Die Räume deines Herzens sind gefüllt

mit dem Rausch verlorener Berührungen

mach es frei – denn jetzt ist einfach alles.

 

Und jeder Zentimeter deiner Haut zeigt,

die Entscheidungen pulsierender Momente

berühre sie – denn jetzt ist einfach alles.

 

Die Furchen in den Feldern der Erinnerung,

sie sind tief und der Grund weich vom Blut

fülle sie – denn jetzt ist und bleibt einfach alles.

 

 

 

 

 

Fragen zur Rotation (29.05.2024)

 

Sind das Silber und Gold

nur noch billige Legierungen

einer inflationären Verständigung?

Betrachtet man ihren aktuellen Kurs,

bleibt der Gewinn allmählich aus.

 

Wenn weniger mehr ist,

warum nicht in diese Aktie investieren?

 

Und wenn das Ganze mehr ist

als die Summe seiner Teile,

warum bleiben so viel Areale ungefüllt?

 

Die Fragen verblassen

in der unaufhörlichen Dominanz

der Rotation.

 

 

 

 

 

Spurensuche (26.05.2024)

Inspiriert durch Jacques Dulon

 

Da liegen die ausgedörrten Felder

beraubt der Erinnerung

an überschwängliche Ernten.

 

Unaufhörlich zieht die Feder

durch die trockene Erde,

lockert den Grund auf der Suche

nach überlebendem Saatgut,

einem Zeichen der Fruchtbarkeit.

 

Doch die Erde bewahrt das Blut

und die Feder verliert ihren Schliff

an den achtlos zurückgelassenen

Gesteinsbrocken.