„In Augenkontakt mit den Dingen sein, für die ich Wörter zu sammeln versuche.“
Christoph Wilhelm Aigner
Abend aber lau
das Alleinsein lädt sich auf
macht keine Szene
Ilma Rakusa
Selbsthilfe mit Romantik (29.05.23)
Die Zeit nimmt keine Rücksicht auf die,
die Zeit brauchen. Sonntagnacht und ich
zieh die Stunden Kaugummi zäh aus ihrer
60-Minuten-Schleife. Der wiederkehrende,
verzweifelte Versuch lebenserhaltender
Maßnahmen. Doch sie entgleitet mir, leer
und ungenutzt – unwiderruflich verloren.
Untergegangen in den regelmäßigen
Gruppensitzungen meiner Zeitfresser:
Dämonen, Kopfschleifen, Teufelskreise,
Gedankenketten und Kreisverkehr Analysen.
Nicht zu vergessen die Schauspieltruppe
„Seelenterror“, die wie jeden Tag, und in der
Abendvorstellung mit besonders viel Hingabe,
das Stück „Wir puzzeln uns ein Ich“ aufführt.
Sie zwingen mich mal wieder in ihre Vorführung.
Spulen ihre bekannten Dialoge ab, wieder und
immer wieder – aufreibend, Zeit tötend.
Niemand entkommt ihrem anhaltenden Gezänk.
Keine guten Aussichten für die Nacht. Kein
Grund schlafen zu gehen, außer der Vernunft
und ein müder Körper. Nur noch kurz die
verbrauchte Luft zusammen mit den ähnlich
gelagerten Wünschen in die Nacht entlassen.
Ich befreie die Balkontür von den Vorhängen,
da begrüßt mich auch schon mein alter Freund,
der ewige Berufsromantiker – Mond du alter
Schwerenöter; wir beide haben uns gefunden.
Sofort versucht er mich wieder zu verführen,
weiß genau, dass ich ihm nicht widerstehen
kann. Gießt sein sanft silbernes Licht über
meinen Balkon, so hell, dass ich die Farben
meiner Winterheide erkennen kann. Schon
zieht es mich hinaus zu ihm. Ich verschränke
die Arme, nur aus Frostgründen versteht sich
und nicke ihm einen vertrauten Gruß entgegen.
Ein klein wenig Angeber steckt schon in ihm,
so wie er da wieder mit seinem Aussehen
prahlt. Deutlich erkenne ich seinen Untermieter,
der so wie es scheint, auch nicht schlafen kann.
Dafür, dass keine Wolken ihren Auftritt stören,
sind die Sterne in dieser Nacht aber recht
schüchtern. Entweder sie trauen sich nicht
oder verblassen einfach in seiner dominant
narzisstischen Gegenwart? Kaum etwas regt sich.
Nur ein kleiner Hauch schleicht sich noch durch
die höchsten Blätter. Ein zart verspieltes Rascheln;
ein leises, rücksichtsvolles Flüstern. Stille auf der
benachbarten Bundesstraße.
Im Haus gegenüber wird in zwei Zimmern die
Schlaflosigkeit mit dem TV-Programm bekämpft.
Das typische kalte Licht flackert in die Nacht,
welches entsteht, wenn drinnen wie draußen
Dunkelheit herrscht. Unter mir das klassische
Sonntagnachtgemälde – Stillleben mit Auto.
Brav warten sie auf den kommenden Morgen,
wenn ihre Herrchen sie wieder ausführen.
Silbern glitzern und blitzen hier und da die
letzten Blätter. Er scheint mit ihnen zu spielen,
sie zärtlich zu liebkosen, bis sie für immer fallen.
Ja, mit Licht kann er schon umgehen. Weiß, wie
man unvergessliche, romantische Bilder malt.
Die tierischen Bewohner unserer Straße
scheinen allesamt schon zu schlafen. Oder
ist es schon zu kalt? Kein Leben ist in Baum
und Laub zu vernehmen. Wieder einmal
denke ich: so friedlich, so ruhig diese Welt.
Und schon kriegen sich auf dem benachbarten
See zwei Gänse in die Federn. Zu schnell mit
der sehnsuchtsvollen Romantik, du alter Träumer
– ich muss lachen. Doch schnell haben sich
die Gänse geeinigt. Der Disput war kurz und
tut der Stimmung keinen Abbruch.
Ich nicke noch einmal dankend in Richtung
Gesicht, denn die Kälte hat sich ihren Weg durch
meine Kleidung gebahnt – ein guter Grund fürs Bett.
Gedanken zur Resonanz (27.05.23)
Aufschwingen
in der Vereinigung,
bis die Moleküle ausbrechen,
die Körper zerreißen,
und sich in der Spitze
wieder neu verbinden,
zu mehr als den Teilen.
Dann im Rausch der Euphorie
die Lust Woge um Woge
auf den Saiten des Körpers
erneut beginnt zu spielen.
Unter der Hitze der Erwartungen (27.05.23)
hat sich der Kern verbogen,
zeigten die Fasern erste Risse.
Auf der Suche nach dem perfekten Kreis
ging die ursprüngliche Form verloren,
aufgelöst in der Anzahl der Versuche.
In dem Bestreben, die Dinge zu benennen,
geriet der wahre Name ins Vergessen.
Die Lebendigkeit ging verloren,
in dem Streben nach Kontrolle
und der Wahrung des Scheins.
Offene Karten (20.05.23)
Auf dem Festival der Dämonen
bewege ich mich unbeachtet,
verliere mich in der Menge.
Im Spiel um die offenen Karten,
ist jede einzelne ein Stoppschild
– für die Intimität.
Das neue ICH (20.05.23)
Das neue ICH, kernlos,
Treibsand für die Menschlichkeit.
Darwins Theorie triumphiert,
lässt die Empathie erfrieren.
Das Bild im Spiegel dominiert
die Wahrnehmung, verdrängt
den Blick auf die andere Seite.
Die Erde wird wärmer,
der Rest – kälter.
Eigene Farben (20.05.23)
Sklave des Genoms,
Fassaden geprägt.
Gepresst, geformt,
in Ketten gelegt.
Im Kampf
um Selbstbestimmung
lassen sich Wurzeln
nicht verleugnen.
Gebt mir ein wenig Raum
– für meine eigenen Farben!
Inmitten der Kunst sitzend lausche ich
dem ausgehungerten Geklapper des Geschirrs,
einer kulinarisch entsprungenen Kakophonie.
Die lang ersehnte Wärme hat das Wachstum
von Tischen, Stühlen und Schirmen begünstigt.
Drüben tanzt die Sonne in den Gläsern und
zufriedenes Gemurmel weht herüber, setzt ein
in einen Kanon mit ausgelassenen Vogelstimmen.
Gelassen und Sturm erprobt schauen die Türme
auf die emsigen Ameisenstraßen der Zweibeiner,
verwundert darüber, wie einfach diese Spezies
doch zu befriedigen ist.
Ein flüchtiger Blick,
ein Impuls.
Der Blick zurück
in den Spiegel,
strahlende Augen,
tanzende Botenstoffe.
Lächeln fürs Leben.
Doch manchmal
ist das Leben zu schnell.
Was bleibt sind
quälende Fragen
und ein Traum,
verloren im Gewühl
des Alltags.
meines Weges
erstreckt sich der Mai
bis zum Horizont,
spricht klare Worte,
verheimlicht nichts.
Sein Mosaik
aus gelben Splittern,
grün gerahmt,
dominiert die Welt.
Gekonnt setzt er
weiße und rosafarbene
– Realitätsanker.
Seine Basisnote dringt
durch die Lüftung,
dominiert die Sinne.
Mit seiner ekstatischen Art
gewährt er eine kleine Pause
– von den Gesichtern unserer Zeit.
Sonntag – leichter Gang,
(14.05.23)
gedankenverloren.
Ein Traum geht vorüber,
gerahmt in stiller Schönheit.
Zärtlichkeit ist seine Sprache,
mein Spiegel in seiner Hand.
Sehnsuchtsvoll schwer
folgt ihm der Blick.
Und mit jedem Schritt,
mit dem er sich entfernt,
scheint ein Stück Existenz
– zu folgen.
Aus DREI FARBEN ROT (14.05.23)
ergießt sich
der Kosmos
der Menschlichkeit
Inspiriert durch die aktuelle Gemeinschaftsausstellung „DREI FARBEN ROT“ der Kunsttankstelle
Die Poesie der Farben begleitet (01.05.23)
meine frühen Gedanken, hält mich auf Kurs.
Ihr pulsierendes Rot übermalt die Visionen.
Das zarte Rosa glättet die verzerrten Bilder
und zusammen mit dem Blassgelb überlasse ich
die letzten Schatten bereitwillig dem jungen Blau.
Vorbei ist die stumme Dunkelheit.
Mit tausend Stimmen hebt der Frühling
den Tag – wie meinen Blick – über den Horizont.
Ich springe von Tisch zu Tisch,
entferne mich von mir selbst.
Ohne Gegenwehr benutzen sie
meinen Kopf für ihre Gedanken.
Den Blick aufs Papier gerichtet,
kämpfe ich gegen die Assimilation
und den Untergang meiner Worte.
Die Welt – ist meine Kneipe.
Die Dunkelheit fokussiert,
was der Tag ins Exil verdammt.
Sperrt aus, was nicht ins Herz gehört.
In der Nacht geboren,
überdauert die Schönheit
das gleißende Licht.
Mit zarten Flügeln in die Welt entlassen,
so verwundbar im Moment des Entstehens.
Dann tränke ich das Papier mit ihrer Bestimmung,
beschütze sie so vor der Zerbrechlichkeit.
Im Tanz mit den Stäbchen
koreanisch die Woche entschleunigt.
Ein Herzmensch in der Fußgängerzone.
Die Begegnung spricht – ich sehe dich.
In der kleinen Buchhandlung
spontane Gründung eines literarischen Trios.
Die Sonne verheimlicht mir den Rückweg,
jagt Botenstoffe über die Rennstrecken.
Schnell lege ich gedanklich die Karten
und sage mir voraus – zu Hause warten
Franz Hohler und ein wunderbarer Cabernet.
Ein Fleisch (09.04.23)
Ein Fleisch – aber wir sehen uns nicht.
Ein Fleisch – aber wir hören uns nicht.
Ein Fleisch – aber wir spüren uns nicht.
Der Blick geteilt. Die Wahrnehmung
zerrissen. Die Zellen verstreut.
Warten auf den Tag der Umarmung,
in der Hoffnung, dass das Fleisch
der Begegnung standhält.
Zu meiner Linken drückt die Dunkelheit
(07.04.23)
schwer auf das letzte Licht des Tages.
Mit letzter Kraft stemmt er sich glühend dagegen,
stützt verloren das traurige Blau.
Rechts von mir legt die Nacht ihren Mantel an,
zündet hier und da ihre ersten Laternen.
Ich bewege mich – wie gewöhnlich – zwischen den Welten.
Der Schlaf meidet meine Gesellschaft.
(07.04.23)
Der Osten hebt das erste Licht über die Wälder,
von meiner Loge begrüße ich den erhabenen Anblick.
Aus tausend Kehlen wird der neue Tag begrüßt.
Unwissenheit macht scheinbar gute Laune.
Die Leinwand hellblau bespannt.
(07.04.23)
Eine hypnotisch leichte Stimme zieht
die letzten Schönwetterkinder durch
das Bild, bis sie hinter der knorrigen
Requisite verschwinden. Getragen
durch die Stimme – folge ich
der Reinheit der Choreographie.
Das künstliche Band weist mir den Weg.
Ich gleite durch ein Meer aus Ocker.
Immer wieder der offene Blick
in ein Land vor unserer Zeit.
Ein paar Königsweihen zentrieren
meinen schauspielmüden Blick.
Die Sonne im Gefieder schreiben sie
meine Sehnsucht in das Blau.
Behutsam werfen sie die ersten Töne
auf die Saiten meiner Emotionen.
Die Klänge bevölkern meine Glieder,
beginnen zu nisten.
Die Hingabe synchronisiert mein Herz
und nach nur ein paar Sekunden
übernimmt die akustische Poesie
die Kontrolle.
Überwältigt ergebe ich mich –
und das Kind ohne Namen
beginnt lächelnd zu weinen.