Jörg Nath


 „In Augenkontakt mit den Dingen sein, für die ich Wörter zu sammeln versuche.“

                                                                                                        Christoph Wilhelm Aigner

Wächter des Turms (30.09.2023)

(Du wirst es wissen)

 

In deinen Gesten lebt die Stille

und deine Stille ist sehend.

Unter ihr existiert eine Welt.

Eine Welt, die Morpheus selbst

sich nie zu erträumen hoffte.

In der Euterpe und ihre Schwestern

ihre Samen pflanzen, abseits

der Windungen des Gewöhnlichen.

Wo Nymphen sich niederlassen,

am Fuße des Turms, verzückt

den Gesängen deiner Welt lauschend,

staunend über die vielen Stimmen.

Und wenn die Abendsonne

ihre Zauber webt, steigt Iris auf

und berichtet dem Olymp –

von deiner Leidenschaft.

Die Suche nach Licht (24.09.2023)

 

Zärtlich streicht der Wind

über das Rückgrat der Pappeln.

Widerstandslos ergeben sie sich

seinem Spiel, biegen sich leidenschaftlich

unter seinen Berührungen.

Wolken türmen sich, beobachten reserviert

im Vorbeiziehen die Intimität.

 

Im Sprung zurück manifestiert sich,

in der Dämmerung des Wunderlandes,

die Vorstellung in kleinen Lichtblitzen,

löst die Starre und

fällt in zarten Regentropfen

auf die Haut der Offenbarung.

 

Immer wieder werfen die Kastanien,

in weiten Bögen, die Arme in die Luft,

neidisch, auf das Gewicht der Worte,

schütteln sich amüsiert

über den Verlust des Fadens,

der aus dem Labyrinth führt.

 

Irgendwann beginnt der Tanz,

erweckt das Papier,

trennt die Verbindung zur Gegenwart,

fesselt den Blick.

Im wilden Reigen springen

die Akteure von Linie zu Linie,

erkunden die Felder des Königs,

bis sie festen Willens

ihren Platz einnehmen,

im Gefüge des Blutes.

 

Doch wieder einmal

blieb die Suche ohne Erfolg.

Ausdauernd schmachten die Pappeln.

Eifersüchtig flüstern die Kastanien

und nirgends fand sich,

in den Weiten der Überfüllung,

die Formel,

um den Worten –

mehr Licht zu verleihen.

Ich sehe was, was du nicht siehst! (22.09.2023)

 

Akribisch filtert die Netzhaut

die eingehenden Telegramme,

prüft sie nach dem Blitzcasting

auf ihre Übereinstimmung,

bevor sie dann in den Arealen

der ungenützten Möglichkeiten

fest verankert werden.

 

Farben, aus dem Kontext des Lebens

gerissen, werden auf der Palette

des Egos gemischt, so lange,

bis sie den Augen schmeicheln.

 

Mit dem Pinsel der Überzeugung

wird dann die verankerte Verblendung

immer und immer wieder auf die

Leinwand der Unzulänglichkeit gemalt,

bis das Konstrukt sichtbar wird

und zur Wahrheit aufsteigt.

Sappho geht Schwimmen (16.09.2023)

 

Die Schultern leicht zurückgeworfen,

nach vorn gewölbt die süße Zier, ertastet

sie die Welt mit scheuen Zehenspitzen,

verbindet die Gegenwart mit jedem Schritt

und mit dem Wesen eines Schwans schreitet

sie in seine Arme, ergibt sich dem Liebesspiel

aus Schönheit und kühlem Nass.

 

Mit Widerwillen gibt er sie frei, löst

die Umarmung, die so inniglich begründet.

Verzückt entsteigt sie ihrem Liebsten,

unterbricht zum Abschied ihren Tanz und

in einer Geste der Unendlichkeit hebt sie

die Arme, ordnet das wallend feuchte Haar

und offenbart die unverhüllte Weiblichkeit,

eines Künstlers Muse – sein Vergehen.

Die Seele hinter dem Spiegel (16.09.2023)

 

Leinwand des Himmels.

Zusammen verleiht ihr der Tiefe

eine neue Bedeutung, hebt sie

auf die nächste Stufe. Aurora

hüllt dich in ihre Liebe und

das Leben feiert in dir

– seine Schönheit.

 

Heilmittel für die Kakophonie

einer falsch verstandenen Entwicklung.

Unter allen Sprachen der Welt wird

die deine am wenigsten gesprochen,

denn es ist eine leise Sprache,

weniger als ein Flüstern.

Wer sie lernen will

muss schweigen

horchen –

was das Nichts zu sagen hat.

Das Fundament (16.09.2023)

 

Wo ist die Verbindung

zwischen Wurzel und Blüte?

Was ist sie noch wert?

Wie erkennt man die wahre Farbe

bei all den Kreuzungen?

 

Wo ist die Verbindung

zwischen Wort und Seele?

Was ist sie noch wert?

Wie erkennt man den wahren Klang

bei all den Statisten?

 

Ohne Fundament

sind Mauern haltlos,

bedeutet jede Erschütterung

einen Riss in der Fassade.

 

Das Auge wendet sich ab

– beginnt sie zu bröckeln.

Die Wahrheit in der Begegnung (03.09.2023)

 

Was siehst du

mit deinen Facetten,

wenn du dich näherst,

dein vierblättriger Rücken

deine Präsenz in die Stille hängt,

den Fluss des Lebens lenkt?

 

Durchdringt die Schärfe

deines Blickes die Wirklichkeit?

 

Offenbart sich dir

der Kern unter den Schichten?

 

Deine Neugier adelt mich.

Ist sie auch von kurzer Dauer,

hinterlässt sie doch Spuren

– schwarz und weiß.

Nichts (01.09.2023)

 

Wolkenbilder ziehen

unter mir hinfort,

verwischen die Grenzen

des Wahrnehmbaren.

In dem Einhalt allen Strebens

vollendet sich der Himmel,

füllt sich der Moment mit Licht

und nichts,

              absolut nichts

hat Gewicht.

Nebel füllt die Straßen (01.09.2023)

 

Ein Nebel,

dem das Licht

nichts anhaben kann.

 

Wie Brautschleier,

legt er sich

über die Häupter

des Sarkasmus,

verhüllt die Quelle.

 

Je lauter die Farben,

umso blasser

die Erscheinung.

 

Je dichter die Galerie,

umso leerer

die Hülle.

 

Nebel füllt die Straßen.

Ein Nebel,

dem das Licht

nichts anhaben kann.

 

Bis Münder sich bewegen

– die Lieder erklingen.

Die Intimität der Momente (23.08.2023)

flimmert, wie Sonne

auf heißem Asphalt,

über die Großleinwand

meines Gehirns.

 

Ein Universum der Gefühle

in einer Nussschale,

auf der Fahrt

durch die Zerbrechlichkeit.

 

In ihrer Bedeutung treibend,

setze ich –

meine Gralssuche fort.

 

Inspiriert durch Marie von Kuck - "Auf Parzivals Wegen"

Spaziergang mit L (20.08.2023)

 

Dem Kanal entgegen, voller Vorfreude auf die neuen Bilder.

Entlang der Liebe der Menschen zu Zäunen, Geometrie und

dem Streben nach Selbstbestimmung und Freiheit. Entfaltet

 

in kleinen, alltagsfreien Inseln, die Individualität flüstern.

Vorbei an knorrigen alten Weiden, die verwundet, versorgt,

sich dankbar dem Leben entgegenstrecken. Das blaue

 

Band säumen, offenbaren, wieviel Kraft der Wille in seinen

Fundamenten trägt. Auf der Eisenbahnbrücke innehalten,

tief atmen und aus dem blau grünen Kleinod ein Gefühl

 

schneiden, bis die Welt dahinter zum ersten Mal schwindet.

Befreit von anfänglichen Reizen auf die Sieben zu, die mit

ihren grün leuchtenden Zipfeln die kulturelle Vielfalt abstecken.

 

Dem Uferweg folgend, von Brücke zu Brücke, wo dichte

Bärlauchwolken, nach wenigen Metern, den Duft von Pasta

und Rotwein suggerieren. Überholt von vielen aufgemalten

 

Laufhosen, die in langen Fäden, die Sehnsucht älterer

Männer nach einem jüngeren Leben hinter sich herziehen.

Dann öffnet sich das Band und der Blick weitet sich. Gibt

 

die Zeugen einer vergangenen Zeit Preis, initiiert einen

kurzen Moment der Romantik. Ein älterer Mann, auf der

Stufe einer vernagelten Tür, kaum zu erkennen im Wald

 

der Graffitis, liebkost mit seinem Gesicht die Silhouette der

Stadt. Seine Verliebtheit folgt, wie eine ruhende Hand auf

der Schulter. Ein paar Schritte erzählen die Spraydosen

 

noch ihre Geschichten, dann folgt der abrupte Wechsel in

die glatte Welt der goldenen Quadratmeter, die sich zum

Glück schnell wieder der Schönheit ergeben. Durch den

 

spätgotischen Wächter die Insel betreten und bewusst

eintauchen, in die Welt der Giebel, Gänge und Höfe. Doch

zuerst auf den Gebeinen der Geschichte einen Moment

 

in der Weite Luft holen und sich von den Masten in eine

andere Zeit entführen lassen. Danach dem Pfad der

Galerien folgen und die Farben ihrer Kreativität trinken.

 

Die Lieblingsstraße betreten, dabei den Schritt an ihre

Leichtigkeit anpassen und die Bilder für eine spätere

Weinreflexion katalogisieren. Am Ende der Straße dann die

 

andere Seite für den Rückweg nutzen, um neue Blickwinkel

zu testen. Vorbei an herrenlosen Feuchtgaragen. Vereinsamt,

bewacht von augenlosen Fischern, die aufgereiht, wie

 

griechische Statuen den Weg zu meiner Burg weisen. Dann

sitzt da auf einer Bank eine kleine, ältere Dame, deren

Lächeln selbst die Sonne zu rühren scheint. Die glücklich,

 

unbeschwert die Beine baumeln lässt, als wäre es der erste

Tanz mit ihrer großen Liebe. Gefangen ob ihres Friedens

geht es inspiriert Richtung Westen, der gefüllt mit Glut

 

gesäumten Wolken der Stimmung die Krone aufsetzt und

die Vorfreude schürt, auf den nächsten Spaziergang mit L

– dem Ausleuchten der Schatten.

Die Bedeutung der Gegenwart (17.08.2023)

 

Der Versuch mit offenen Augen

die filigrane Schönheit festzuhalten,

ihr Wesen zu erfassen, löst das Leben

aus dem Fluss der Zeit.

 

Unbeeindruckt zeigt sich überall

neues Leben, folgt der Wahrheit

und seinen inhärenten Instinkten.

 

Ohne Kalkül säumt die Nymphe

das blaue Band, beantwortet die

unerwiderte Liebe mit Erblühen.

 

In den Wipfeln applaudiert der Wind,

fordert Zugabe von der Reinheit und

in einer Geste der Stille verliert sich

der Kontakt mit dem Bewussten.

 

Blau schimmernde Lichtblitze tragen

in ihrem Gefieder die Erkenntnis

der Belanglosigkeit und alles gleitet,

schweigt und füllt die Gegenwart

– mit Bedeutung.

Tropfen saugen sich (17.08.2023)

voll mit der Ironie des Lebens.

Gesättigt fallen sie schwer,

zerplatzen mit lautem Gelächter

auf dem metallenen Geländer.

 

Kleine, temporäre Fontänen, die

Unvorhersehbarkeit versprühen.

Die Welt, für jedermann sichtbar,

mit Sarkasmus befeuchten.

 

Mit ihnen zerspringen –

die Ziele des Sommers.

Spaziergang mit L - Nachtrag (17.08.2023)

 

Und dann sind da

die geneigten Häupter,

die langsamen Schritte

und scheuen Blicke.

 

Die besetzt einsamen Bänke;

„Mein rechter, rechter Platz

ist leer …“ und niemand da

– um das Spiel zu beenden.

In den wirklich stillen Momenten (12.08.2023)

steckst du den Rost überzogenen

Schlüssel mit dem mächtigen Bart

ins Schloss, atmest tief und ruhig.

 

Umfasst den Schlüssel mit beiden Händen

drehst und drehst, um den Riegel

anzuheben, dessen Gewicht den Wert

der Welt hinter den Augen beweist.

 

Mit einem vernachlässigten Knarren

öffnest du die Tür, schaust in den Flur.

Behutsam trittst du ein, im Gepäck

die Karte und die neuen Schilder.

 

Gehst vorbei an den Türen, die du

sorgsam beschriftest hast. Liest

die Schilder mit den Warnhinweisen,

Erinnerungen und den vielen Namen.

 

Dann folgen die Räume mit den

vorläufigen Markierungen. Liebevoll

entfernst du sie, hängst die passenden

Schilder auf, aktualisierst die Karte.

 

Arbeitest dich so von Raum zu Raum,

kartographierst die neue Welt und

befeuerst den Fluss der Neuronen,

in der Hoffnung auf Sichtbarkeit.

 

Das Gewicht des Schlüsselbundes,

welches wenige erfahren, nimmt zu,

doch erzählt von einem Weg des Mutes.

Tief und ruhig atmest du und vor dir

dehnt sich der Flur bis zum Horizont.

Die Blüten des Sommers (04.08.2023)

wissen nichts von dieser Welt.

Unschuldig treten sie ins Leben,

in dem einzigen Bestreben

zu sein, was sie sind –

unbefleckte Vollkommenheit.

 

Die Träume des Sommers

wissen nichts von dieser Welt.

Unschuldig treten sie ins Leben,

in dem einzigen Bestreben

zu sein, was sie sind –

unbefleckte Hoffnungen.

 

Die Blüten des Sommers,

die Träume des Sommers,

fragile Gebilde im Sturm

der Veränderung.

Sanft gehalten, ungepflückt,

entfalten sie den Weg

– zu neuem Wachstum.

Meine Hände streichen (04.08.2023)

über die Vielfalt des Lebens.

Die Augen ertrinken

in der Sinfonie

aus Form und Farbe.

Hummeln rüsseln sich

von Blüte zu Blüte,

beweisen den Wert

des unberührten Chaos.

Seine Schönheit erzählt

von der Abwesenheit

des Menschen,

unterstreicht –

das Wesen der

inhärenten Möglichkeiten.

Kneipenpoesie III (13.07.2023)

 

Die Suche entblößt

Stück für Stück

die alte Angst

vor dem Ergebnis.

Epilog zur Kneipenpoesie (13.07.2023)

 

In dem Spiegel

hinter den Gläsern

das ungenaue Ich

blutet und schweigt.

Spontane Reinigung (08.07.2023)

 

Der Vorhang fällt und

der Herzschlag des Waldes

erfüllt das Theater.

 

Die Bühne betritt die Existenz.

Ihr Bouquet aus neuem Leben,

Wachstum und Blühen

übernimmt meine Atmung.

 

Tief sauge ich das satte Grün,

die olfaktorischen Süßigkeiten

des Bachlaufs und befreie

meine Lungen von der Stadt

und mein Herz

– von der anderen

Seite des Sommers.

überladen (08.07.2023)

 

Wie Regentropfen

laufen die Gedanken

über das Ölgemälde

der Realität,

lassen die Farben

der Wahrnehmung zerlaufen.

Ihre prasselnden Attacken

unterspülen das Fundament.

Die Mauern zeigen erste Risse,

doch die Pfeiler

der Vernunft halten

– noch.

Befreiung (08.07.2023)

 

Elegant sommerlich gekleidet

steigt sie von ihrem Rad, wühlt

in den prall gefüllten Satteltaschen.

Das weiß graue Haar Fassade,

denn die Erscheinung und

die feinen Zeichnungen sprechen

Vitalität, Lebensfreude und

nie versiegte Lust.

 

Völlig selbstverständlich

nimmt sie auf dem Kantstein Platz,

dreht sich ihre Zigarette.

Den Oberkörper auf die

weit geöffneten Knie gestützt,

wirkt die Körperhaltung

wie Überdruss, wie ein

ungezähmtes Wildpferd.

Der erste Zug sehr tief

und genussvoll, erinnert

an einen postkoitalen Nachtisch.

 

Nach zwei weiteren Zügen

nimmt sie ihr Rad und

schiebt zurück in ihre Welt,

– freigeraucht

von einem Geheimnis.

Gespräch mit der Poesie (24.06.23)

 

Nimm mich bei der Hand.

Stelle mich vor den Spiegel

und zeige mir die Welt dahinter.

Sprich ohne Schnörkel

und Umschweife aus,

was auf der Hand liegt.

Übe unbarmherzig Kritik.

 

Aber dann

               halte mich.

 

Umarme die schutzlosen Seiten

meines offenen Buches.

 

Was du auch tust –

lass die Worte

aus meinen Adern bluten.

Breche die Bilder aus meiner Seele.

Forme das Unausgesprochene

zu fließender Schönheit

und lasse sie in Wellen

durch mein Leben gehen,

auf dass die Schatten

ihr Wesen verlieren.