Fremde Fragmente von A bis Z (aus dem Lübecker Lyriktreff)

Als dieses Jahr seine Stimme verliert, sind unsere Silben frostbefallen (Maja Löwe) - Als mein Aug zu leuchten wagte und mein Herz die Hände hob (Frauke Krieger) - Auf dass die Schatten ihr Wesen verlieren (Jörg Nath) - Aufs Papier geblutet, formen die Worte die ersten Konturen einer neuen Suche (Jörg Nath) - Das ambivalente Lachen des Satzzeichens hallt durch den überfüllten Saal und alles wartet auf den Richterspruch (Jörg Nath) Der Tag kam früh, um seine Ruhe zu haben (Parijato) - Die Worte, die ich nie schrieb, sind die stummen Zeugen eines unvollendeten Mosaiks (Jörg Nath) - Doch der Eine... er schweigt, wird ihm die Feder gereicht (Jörg Nath) - Felsriesen beklüften den Himmel (Parijato) - Gib mir ein W, dann gebe ich dir ein O und sage: In der Stille (Susanne Kaffka) - Hier ist dein Schatten weiß und unser Sommer nur geliehen (Maja Löwe) - Ich bin der Traum, den du nie träumtest (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Im Nebel der Ferne ahnt euch der Blick (Susanne Sörensen-Lohm) - In dem Spiegel hinter den Gläsern das ungenaue Ich (Jörg Nath) - In meinem Kopfflipper jagen Gedankenkugeln über die Spielfläche meines Gehirns, finden keine Löcher (Jörg Nath) - Meine Ungeduld, die hängt noch dort, an dem Haken bei der Tür (Marie von Kuck, Gästezimmer) - Mond im Watt. Es dunkelt die Bläue (Susanne Sörensen-Lohm) - Semprarte para que luego vuelvas (Jorge Campero, Gästezimmer) - Und wenn in der Ferne nichts als Ferne wär; jetzt geh ich mit (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Untergegangen in den regelmäßigen Sitzungen meiner Zeitfresser (Jörg Nath) - Verliert sich die Weisheit in den Winkeln unzähliger Realitäten? (Jörg Nath) - Worte, nicht gesagt, nur gedacht und dann vergessen (Elisabeth Oltzen) - Zuhause sein ist wie auf Reisen gehen, in die innere Welt (Elisabeth Oltzen)                 

But what if a woman were to appear to me in the night

Holding a child in her arms

And what if she were to say:

Take care of my child

I would reply:

How can I?

She would repeat:

Take care of my child

I would reply:

I cannot.

She would insist:

Take care of my child.

 

Then – then,

because I do not know how to do anything

And because I cannot remember anything

And because it is night –

I would stretch out my hand

And save the children.

 

Because it is night,

Because I am alone in another´s night

Because this silence is much too great for me,

Because I have two hands in order to sacrifice the better of the two

And because I have no choice

 

                                       *(Clarice Lispector)

 

 

Jacques Dulon...

...schreibt Lyrik, Prosa und ist als Reisefotograf unterwegs (www.jacquesdulon.com/whats-new)

Alle Texte* und alle Fotos* auf dieser Lyrik-Seite sind von Jacques Dulon

außer: *siehe unten 

                                                                         (Foto: Selbstportrait - Jinja, Uganda) 

Gestaltung der Dulon-Seite: Felicitas Krüs, Auswahl der Texte: Jackie Dong 

Gedicht des Monats: 2024, April

                     

Helgas Herzen (neuer Text)

 

Helga herzt die Haselnüsse

Weil sie alles herzen muss

Von ihren Lippen tropfen Küsse

Als wären sie aus Zuckerguss

 

Was Helgas Lippen einmal fangen

Das wächst so sicher wie ein Wurm

Der sich vergleicht mit langen Schlangen

Und dann mutiert zum Eiffelturm

 

So hatte Helga Haseln lieb

Und Haseln liebten Helgas Gaum´n

bis aus einer Nuss ein Steckling trieb

und weiter wuchs zum Kokos-Baum            

Verabschiedung alter Freunde

Kurze Zeiten der Liebe - Noch bis zum 02.05.2024 auf dieser Seite

Foto: ERSTE LIEBE, Saverne (Women in Art: Saverne | Jacques Dulon)

WAITING FOR A FRIEND - Berlin, Dulon
WAITING FOR A FRIEND - Berlin, Dulon

Dieser Mann der sieben Seelen (Neuer Audio-Text)

Foto: Fischland (Dulon)

 

Dieser Mann der sieben Seelen (neuer Text)

 

Dieser Mann, der tut so heimlich

als ob er wüsste, was ich weiß

Er ist ein Blender - und mir peinlich!

Was nur weiter für mich heißt:

Er kann mich mal…! mit seinem ganzen Hokuspokus-Scheiß

 

Er sagt, er trüge schwer an sieben Seelen

Die Erste scheint ihm stets - als Lichtgestalt

Doch erzeugt s i e die Schatten, - die ihn quälen

Sie ist die Jüngste. Sie wird nicht alt,

und wie der Tod - strahlt sie: - weiß und kalt

 

Die Zweite... ist nun eigentlich keine Seele.

Sie ist Gefühl – das… zwischen allen Stühlen

liegt – und auch der Klos, - der fest sitzt in der Kehle,

und schwer wie stumme Worte wiegt! - Will er sie runter spülen

dann kann s i e sogar - auch noch - diese stummen Worte fühlen

 

Dieser alte Schwerenöter! Ja - er zählte nie bis drei

drum trägt die Dritte - keinen Namen

Sie liegt auf Eis - neben Seele Vier und Zwei

und ist die Jungfrau – seiner reifen Damen,

(die ihn erwählten – und mit sich nahmen)

 

Nummer Vier - trägt immer nasse Kleider

Sie verweint den ganzen Tag ihr Leid

Sie kennt nur Schwätzer oder Schweiger

und näht ihr bunt besticktes Hochzeitskleid

für den, - der sie aus diesem Leid befreit

 

Manche Seelen liegen hinter Friedhofsmauern

Seele Fünf kennt diese viel zu frühen Frieden,

die alle Kriege überdauern

Sie wird wohl selbst schon - unter weißen Kreuzen liegen

und würd´ so gern´ noch... leben - um zu lieben

 

Was soll ich von der Sechsten hier berichten...?

Sie ist der Künstler, - denn sie bricht

alte Worte - um sie neu zu dichten

Doch schöne Verse - kennt sie nicht

Seele Sechs - ist selbst Gedicht

 

In diesem Mann - wurd´ auch geboren

die Siebte! - Sie war sein Gift, sein Guter Gast!

Mit Macht durchströmt sie – a l l e Tiefen seiner Poren

bis sie ihn schließlich ganz umfasst

Seele Sieben war wie Luft, - die auch du - geatmet hast.

 

Das sagte dieser Mann – in seinem tiefen Raum

ungerührt – so dass ich durch seine Worte weiter leide

wie durch den Alpdruck schwerer Zeiten - in einem schlimmen Traum...

Als ich erwachte - ließ ich ihn stehen, denn schließlich - leben wir ja beide

auf den getrennten Seiten – einer Spiegelscheibe.

Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille 

Foto: Minden (Jacques Dulon)

Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille

(eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)

 

  Mein Himmelsschwarz in Sternenhallen

durchweht die Winterwelt aus Eiskristallen

Wo die Wetter - Wolken falten

Will Liebe leben – will dich halten

durch die Strenge dieser Nacht

  Wer wartet hier? Wer hat entfacht?

Ein Licht, das leuchtet, das uns spendet

den warmen Schein der Hoffnung - der auch trügt

doch manchmal kleine Wunder – fügt, um zu zeigen:

dass ein stilles Licht - auch starke Leiden

lindern könnte, wenn es in uns – den Glauben fände…

 

So wie ein Mund, der freundlich spricht und sprechend lacht

wie Finger, die dir - durch deine Haare streichen

und wie die Bilder, die deinen Schlaf umsäumen

und weiter wandern - zu deinen Taglicht-Träumen,

bis hin - zu jenen finsteren Schatten, die nicht weichen

suchst d u den Schein - der  S t i l l e n  N a c h t

 

  Er zertrümmert keine Felsen – bewegt kein Berggestein

Was groß ist, bleibt erhaben. Was winzig ist, bleibt klein

Er wässert keine Felder, erzeugt auch keinen Regen

Er kann sich nur ganz scheu - auf tiefe Wunden legen

Das Licht in dieser Nacht - ist ja das Wunder, das vergeht

  sobald man wieder stark - auf den eigenen Beinen steht

Doch die, für die das Leben - keine bunten Blüten hat,

die den Kopf mit Sorgenschatten – halten in den Händen,

kann die Nacht wohl Lichter senden, die über dunkle Blätter tanzen

und sogar in welke Blumen - wieder zarte Kräfte pflanzen:

Was in uns stirbt – trägt manchmal schon – die  e r s t e  neue Saat

 

So wie der Blick den Blicken floh, - und ziellos immer weiter weht

der, der dich nicht meinte - und dem du - in dir auch Heimat gabst

weil er verloren schien, und sich - an keinen Menschen länger band

als er dich - ganz plötzlich - auf deiner Parkbank fand

Du sitzt auf ihr mit deinen Tüten – und weil du müde nun - zu träumen wagst...

hat dich dein fremder Engel - im  S t i l l e n  L i c h t  der  N a c h t - erspäht

 

  Ein Wort als Trost zu sprechen - weil man liebt

für ein schweres Los, für das es Trost - vielleicht doch gar nicht gibt

ist nicht nur schwer – ist ganz unmöglich (ohne dieses Licht)

Doch mitunter glaubt man an ein Zeichen, das alle Einsamkeiten bricht

das alle Worte übersteigt... wenn es sich zeigt

  und weil es strahlt – nur, wenn man schweigt

ganz ohne Wunsch, durch fremde Macht: - Ein erster Wille…?!

Zwischen Kirchturmglocken und dem Weihnachtsschenken

liegt unbemerkt auf Stadtpark-Bänken – schon fast vergessen: das Christusfest.

Und weil sich ein Mensch so müd´ geworden – auf jener Parkbank niederlässt

findet er - in sich allein - die  H e i l i g e  N a c h t  der  S t i l l e.

Farben von: Ferne 

Foto: Les Ardennes (Dulon)

Farben von: Ferne (aus dem Zyklus: FARBEN)

(inspiriert durch das Gedicht von Andreas Oltzen: Jetzt geh´ ich mit)

 

Du bist mein Wanderbuch fürs Weiterreisen,

für das Innehalten auf den leisen Wegen

Du erstrahlst in den Farben von: Ferne

die sich auf meine Wege legen

Jetzt - geh´ ich gerne

 

Du bist mein Routenplan, wenn mich nichts mehr hält,

die Kometenschnuppe, die nur fällt – weil ich sehe

Du bist der Weg unter meinen Wanderschuhn

der immer weitergeht, solang ich weiter gehe

Jetzt - kann ich ruhn

 

Du warst die Wüstenblume, die nur einmal ihre Blüten zeigt

die keine Wurzeln in die Erde treibt – an keinem Ort

Du warst das Heimweh-Kraut, als ich an Fernweh litt,

Du kanntest meine Zeichen und gingst fort

Jetzt - geh´ ich mit

Individualismo y Soledad 2 - Oberes Eichsfeld (Dulon)
Individualismo y Soledad 2 - Oberes Eichsfeld (Dulon)

Ankündigung: Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

 

Ankündigung: vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

 

 

Küchengespräche

 

Beim Kaffeekochen sagtest du mir: „Ich geh! -

Ich werde dich noch heute verlassen!

Ich will nicht länger an unserer Liebe leiden

und möchte wieder auf eigenen Beinen

 

stehen.“ Wir tranken unseren Kaffee

aus den vergoldeten Sammeltassen.

Mittags, in der Küche beim Zwiebelschneiden,

da musste ich ganz plötzlich weinen                 

NUR EIN BLICK - Berlin, Dulon
NUR EIN BLICK - Berlin, Dulon

Der Schrei - Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen

Foto: Wolken über dem Greifswalder Bodden, Lubmin (Dulon)

Der Schrei 

(Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen)

 

  Ich habe deinen Blick im Blick

Und plötzlich kommt dein Blick zurück

und baut die Brücken unserer Seelen

  Ich habe deine Art im Sinn

weil sich die Blicke ähnlich sind

und schweigen können - wenn die Worte fehlen

 

  Ich kann dein Lächeln plötzlich lesen

Es ist so schön geworden! – Ist es schon immer schön gewesen?

In meinem Blick – erscheint es neu

  Du trägst auch Kummer - gut versteckt

ich hab´ ihn erst - in deinem Blick entdeckt.

Als er auf meinen traf – so zart und scheu.

 

  Mit dem Geheimnis – das  i c h  bewahre

trennten sich die Augenpaare

und wurden - füreinander - wieder frei

  Doch könnten wir mit Augen hören

ich hörte – ich könnt´ es auch beschwören

ganz sicher - einen leisen Schrei                                                   

Das ganze Theater

(Inspiriert durch das Gedicht „Der Eine“ von Jörg Nath)

 

...doch der Eine aber

der immer nur wartet,

der die Proben versäumt

und seine Texte vergisst

 

dem du all deine Namen gabst,

den du misstrauisch beäugst,

weil er in seinem Garten

die Blumen heimlich begießt.

 

Er bleibt wie er ist,

hinter all seinen Masken,

die sich täglich verändern.

Schau – wie er seine Hand plötzlich hebt...

 

Dieser Eine wird sprechen,

wenn der Vorhang fällt

und sich im halbdunklen Saal

die Premiere verlängert...

Schnitter und Schneider (neuer Text)

 

Immer war mir jenes kleine Wäldchen lieb

das sich mit seinen scheckig scharfen Scherben

bis über den Horizont hinaus verschiebt

um alle Wetter bunt zu färben

 

Ich weiß, was des Waldes Blätter treiben

und gebe ihrem Leben Sinn und Halt

durch einen Ast mit vielen Zweigen

der zu einem Baum gehört - im Wald

 

Was meinem Blick verschlossen... Bleibt!

weil ich es will und kann und glaub´

Ich bin der Schneider für das frische Frühlingskleid

und als Schnitter feg´ ich das herbstlich welke Laub 

SPIEGELWELTEN, Berlin www.jacquesdulon.com/berlin
SPIEGELWELTEN, Berlin www.jacquesdulon.com/berlin

Das Wüstentier (DER SOHN V)

Foto: BANK AM MEER - Lübeck, Dulon

Das Wüstentier (DER SOHN V)

 

   Am Anfang wird ein Tier geboren

Mutterlos verstockt, verloren

aus einem Wort, das dich erreicht

und fortan - nicht mehr von dir weicht

Geboren wurd´ es um zu sehen

Nicht - um das Leben zu verstehen

   So sah dein Aug´ den neuen Tag

der sich noch scheu vor dir verbarg

hinter alten Trieben, die verbrannt

sich brechend bohrten - durch den Verstand

Wer führte dich? Wer schlief bei dir?

Wer sah in dir das Wüstentier?

 

(siehe SOHN I)

Verregnet sind des Reiters Wolken

Der Himmel hüllt sich tief in Grau

Die Schimmel, die dich führen sollten

täuschten dich – wer weiß genau,

ob Väter wieder Söhne werden

und Söhne vor den Vätern sterben

 

   Es wehten Feuer durch die Nacht

Die Kämpfe deiner eignen Schlacht

Zwischen “Gott ist tot” und “Gott verfluche”

begannst du - ohne Not mit deiner Suche

Wer war bei dir? Wem gabst du Schutz?

Wen hast du einfach ausgenutzt?

   Du warst zu schwach, zu widerstehen

Du wolltest nicht zu Grunde gehen

Mit deinem Wort und allen Schwüren

musstest du dich selbst belügen

Wer dir verzeiht, fleht selbst um Gnade

Wer dich erkennt, wählt deine Frage

 

(siehe SOHN II)

Das Klopfen an den tausend Türen

zog dich nur tiefer in den Dreck

Du konntest ihn in Straßen spüren

und hast dich dann mit Schlamm bedeckt

So hast du deine zweite Haut

zum Schutz aus Straßenschmutz gebaut

 

   In dir pocht noch Lebensglut

- kraftlos zwar und ohne Mut -

Doch bleibt dir wohl der alte Schein

der dich lehrt – nicht laut zu schrein

Wer immer deine Schritte lenkt

kennt Lüge, Liebe - als Geschenk

   Was dir hilft – ist nur noch leise

Du bist so lang schon auf der Reise

die dich nicht näher zu dir bringt

weil jeder Schritt im Sand versinkt

Hat dich die Tiefe nur erschreckt

weil dich der Sand bald ganz bedeckt?

 

(siehe SOHN III)

Der Fährmann fuhr den Fluss hinauf

mit den Schatten auf dem Deck

Für dich klang es nach Lebenslauf

wie ein Schrei, der dich nicht weckt

und dennoch deine Träume stört

Wo lebt das Bild, das dir gehört?

 

   Langsam zog dein Lebensstrom

durchs Uferland – noch dünn bewohnt

mit Früchten auch an fremden Quellen

Wer lebte an den Wasserstellen?

(die dir als Gast wie Heimat waren)

Warum musstest du noch weiterfahren?

   Du lebtest schnell - doch ohne Ziel

du wusstest nichts und sagtest viel

Jetzt hat dein Leben dich gewendet

Du stehst am Anfang, wo es endet

weil du vergisst - dich zu verfluchen

und aufhörst - einen Sinn zu suchen

 

(siehe SOHN IV)

Unter weiten Sternenbildern

wolltest du die Liebe zähmen

und mit ihr durch Nächte wildern

nach dem Ruf in deinen Genen

aus Täuschung, Lust und Lebensgier

weiterleben – wie ein Wüstentier

 

   In deinen Ohren – Krähenschrei

deine Augen zählen drei

schwarze Vögel auf dem Ast,

der sich bewegt durch diese Last

Ein wenig Schnee fällt wie ein Wehen

von dem Ast der schwarzen Krähen

   Was Orpheus sah? Den Hermes nur? *

und neben ihm: die dritte Spur

führt wohl hinab aus diesem Leben

Ein Vogel fliegt dem Gott entgegen

Frierend bleib ich´ - leicht gebückt

mit nur zwei Krähen hier zurück

 

* vgl: „Orpheus, Eurydike, Hermes“ von Rilke

Scherben und Kreise (bis an den Rand)

Foto: Vendsyssel-Thy - Jacques Dulon

 

Scherben und Kreise (bis an den Rand)

(Eine Verbeugung vor Pablo Milanes und seinem Lied „Yolanda“)

 

Dies Lied kann nicht mehr sein - als ein kleines Gedicht

obwohl ich wünschte, es wäre - ein Schwur, der nicht bricht

auf die gebrochene Liebe, die keine Rücksicht mehr nimmt

die nichts mehr verspricht, wenn alles - von vorne beginnt

Ich trag´ diese Liebe - als mein kostbarstes Kleid.

Sie reicht an den Rand - meiner endlichen Zeit

 

Wärest du nicht bei mir, stürbe ich nicht aus Gram

Doch begänne mein Sterben, auf einer (recht) mühsamen Bahn,

dann wünschte ich mich - in deine Arme zurück

in denen ich fand: Mein ursprünglichstes Glück

Sie tragen ein Geheimnis, das ich in mir bewahre

Es reicht an den Rand - meiner letztlichen Tage

 

Wenn ich dich jetzt sehe, spür´ ich die Kraft, die verzeiht

die aus den Schichten der Angst, mich wieder befreit

Du entkleidest mich wortlos - ohne mich zu beschämen,

aus liebender Lust - mit trauernden Tränen.

Sie tragen keine Grenzen, nur Scherben und Kreise,

die ich für dich ziehe - bis an den Rand meiner Reise

 

Doch kommt jener Tag, der mich für immer besiegt

mit der Sonne am Morgen, die vor der Nacht in mir flieht

dann sing´ ich das Lied, das du mich einst lehrtest

als du mich das erste Mal - so zärtlich begehrtest,

als sprächest du leise - dein tiefstes Gebet,

für den Rand, an dem jeder - einmal nur steht 

EIN PAAR STEINE, DER STRAND UND NEUE WETTER - auf Læsø (Dulon)
EIN PAAR STEINE, DER STRAND UND NEUE WETTER - auf Læsø (Dulon)

Künstler interpretieren Dulon

 

Nicholas McDonald interpretiert: Linda *

Reiner Schubert   interpretiert: Im Schatten junger Frauenblüte (Der Maler) *

                                 Mein Liebeslied für Dich *

                                 Der schlimme Mann *

                                 Banksy 

Elisabeth Oltzen  interpretiert: Dein Nicht-Nein **

                                 Dieser seltsame Reiter (Der Sohn I) ** ***

                                 Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille **

                                 Kein Gesicht ** 

                                 Welches Wort ***

Hertz-Bande       interpretiert: Welches Wort +

Marie von Kuck    interpretiert: Schatten auf Wände

* nicht (mehr) auf dieser Seite

** Elisabeth Oltzen - Lübecker Lyriktreff (luebeckerlyriktreff.de)

*** Musikbeispiele | Flötentöne (elisabeth-oltzen.de)

Welches Wort (youtube.com) 

Banksy - Musik und Gitarre: Reiner Schubert (neuer Audio-Text)

Foto: Leipzig (Dulon)

 

Banksy (neuer Text)

(Mahner, Dichter und Humanist in einer dekadenten Zeit)

 

Der größte Poet malt seine Zeichen

- wenn er über das Menschliche schreibt -

direkt auf die Mauern unserer Zeit;

nicht fragend – Wen... kann ich erreichen ?

 

Wissend, - dass wir in diesen Trümmern erblinden,

im Abfall ersticken – ist auch er - vom Staub schon bedeckt

und malt seine Verse - direkt auf den Dreck,

wie... Gebete, - denn nur dort können wir finden

 

was wir – schon in uns gesucht – doch niemals gefunden.

An den Abrisskanten von unseren Städten

- mit ihren offenen Adern, ihren nicht heilenden Wunden -

 

gelingen ihm Bilder, hier sieht man ihn beten

diesen heimlichen Mahner, diesen... ganz großen - Poeten

Schatten auf Wände (interpretiert von Marie von Kuck)

Foto: Schatten auf Wände, Berlin (Dulon)

 

Schatten auf Wände 

(Eine Verbeugung vor Alda Merini und ihrem Text: E poi fate l'amore)

 

Und dann... - dir die Liebe schenken

Die gemeinsame Liebe, nicht den einsamen Sex

bei dem sich die Körper - nur kunstvoll verrenken

verkleben - doch nie etwas zusammenwächst.

Ich sah dich verletzt - an der Häuserwand kleben

und ich - saß daneben

 

Die tastenden Küsse - zuerst nur mit Blicken

Augen in Augen getaucht, - die Geschichten erzählen

Vom Hoffen und Hadern und - Weiterschicken

durch dein dunkleres Reich - in dem Geheimnisse quälen

Deine Stimme gebrochen - von einem lautlosen Schrei

Meine, die schwieg – Verzeih!

 

Bis meine Hände dann lernten - von deinen Augen

so zärtlich zu küssen, als würden - dich Federn berühren

frei von der Gier, sich mit roher Gewalt – an dir festzusaugen

denn sie können nichts halten – nur streicheln, dich spüren....

Deine Schatten gesehen, - die wie alte Tapeten

in fröhlichen Fetzen - im Frühlingswind wehten?

 

Was den Händen geschenkt, - auch den Lippen gelehrt:

Deine Schultern zu küssen, - deine Arme und Brüste

ohne dass deine Seele sich mit den bleiernen Bildern beschwert

und ertrinkt in den Fluten - einer längst verlassenen Küste

Kannten denn Steine - das Gewicht deiner Schwere?

Kannte die Luft – deine innere Leere?

 

So erkunden die Seelen - auch die geheimsten Gezeiten

an steinlosen Stränden, - mit den weicheren Wellen

auf denen ihre Schatten über die Wasser reiten

und sich ihre Tiefen - für Sekunden erhellen.

Doch als die späteren Winde - dich von der Häuserwand rissen

Wusste ich plötzlich – Ich werd´ dich vermissen.

 

Das war unser Leben! - der Liebe Geschenk!

Was konnten wir retten? Was wurd´ uns verwehrt?

Und warum ich noch immer - manchmal - an dich denk…?

Deine Liebe hat mich - wieder lieben gelehrt.

Auf die Häuserwand fällt - mitunter - ein flüchtiger Schein

Ich erkenn´ meinen Schatten – Er sitzt dort allein

Aus- und Einblicke - Dulon in Hamburg
Aus- und Einblicke - Dulon in Hamburg

Aristoteles´ Schüler 

 

Ich denke, ich habe mich - dümmlich verdacht

Wahrscheinlich bin ich - auch gar kein Genie

Bei dir ist´s manchmal - alles ganz einfach

Nur bei mir geht häufig - vieles auch nie

 

Ich weiß um mein Wissen - und um meinen I.Q.

und fiel´ mir das Denken - nicht ständig zu schwer...

Ich wüsste sogar - noch viel-weiteres mehr

Man lernt ja im Leben - mitunter dazu

 

Du erklärtest mir Geister, die Guten, die Bösen

und sagtest, du hättest - ihre Welten durchschaut...

Doch um einen festen Knoten - gordisch zu lösen

musst du nur wissen, wie man mit Schwertern draufhaut

Horen - die beiden Reiterinnen 

 

Ich ritt mit ihr durch heitere Sommersonnenwinde

als mich noch keine Sorgen, Ängste quälten

Sie führte mich, dass ich die rechte Richtung finde

und versprach mir wohl - die schönsten Liebesschätze

Wir wussten viele - glanzbezogene Nebensätze

und trugen Minen, die etwas Wichtiges erzählten

 

Dann traf ich auf jene dunkle Reiterin

der Winterzeit, mit den langen, trostbefreiten Leiden

Auch sie wurde mir die treuste Weg-Begleiterin,

schweigsamer als ihre Schwester, was mich zuerst noch störte

auch weil sie scheinbar all meine Klagen achtlos überhörte

Doch der bess´re Freund - war diese Zweite von den beiden    

kein Gesicht

Foto: kein Gesicht, Hainich (Dulon)

 

 

kein Gesicht

 

Du sagst, im Winter, der Schnee auf den einsamen Wegen…

doch dann erstarrt dein Mund zu einem tonlosen Zeichen.

Auch die Flocken zerplatzen, die sich auf deine warmen Lippen legen

um sie vage mit dem Salz - mutmaßlicher Tränen - zu bestreichen

 

Du liebtest zu viel und - jetzt liebst du halt nicht!

Was war, ist vergangen, oder... vielleicht ist es auch ganz anders gewesen

Nur aus dem Spiel deiner Minen - wird kein Gesicht

Sie sagen nur still – ich soll dich nicht lesen

 

Bist du dieser Schatten, den ich durch mein Leben trage,

der mich verdunkelt, verhöhnt und im Spiegel entstellt,

der bei mir bleibt, auch wenn ich das Glas dann zerschlage,

und es in mir zerbricht oder zu Scherben zerfällt?

 

Doch du antwortest nicht

und aus dem Spiel deiner Minen - entsteht kein Gesicht.                                        

Vogelzüge im Norden 

Foto: Holnis-Halbinsel, Dulon

 

 

Vogelzüge im Norden 

(durch falsche und richtige Konjungtive)

 

Rönne der Regen reichlich auf Rügen

Räten die Raben rüber zu fliegen

Von Rerik nach Ribnitz sollten sie ziehen

Zeitig am Morgen und in zahllosen Zügen

Doch frögte ein Vogel: Was sie dort wohl solln

Er flöge ganz sicher übers Meer nach Bornholm

 

Schiene die Sonne auch einmal in Schweden

Schwöbten die Schwalben nicht immer im Regen

Würden sich wie schneegleiche Schwäne bewegen

Als zögen sie über die Gärten von Eden

Bis in südliche Zonen – um sich zu schonen

Oder auch nur: Um in Schonen zu wohnen

Warten - Frederikshavn (Vendsyssel-Thy) I Jacques Dulon www.jacquesdulon.com/photo-of-the-month
Warten - Frederikshavn (Vendsyssel-Thy) I Jacques Dulon www.jacquesdulon.com/photo-of-the-month

Verspielte Liebe

Foto: Straßenbild in Berlin 

In der Rhön - Dulon
In der Rhön - Dulon

Melancholien

 

Südwärts - mit dem Norden in mir (eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)

(zwei Regen)

 

Spür´ wie zwei Regen

mich überziehen

zwei bittersüße

Melancholien 

 

 

 

Melancholien

Foto: Leipzig (Dulon)

Delante del Sol (Arbeitsdemo) 

Foto: Vendsyssel-Thy (Dulon)

 

Delante del Sol 

 

Porque siempre hay una nube delante del sol?

Cual la vista oculta y dentro de mí

Bajando las sombras en mi caracol

Hasta la luz no existe - y no puedo vivir

 

Pero también hay una luna luciendo los cuerpos

En las noches obscuras por la eternidad

Entrando la luz por todo los muertos

Como yo sin ti - sin tu amabilidad

 

Darme tu cuerpo por mi alma obscura

Por mi vida secreta, donde canta un ciego

Darme tu alma por mi luz interna

Y yo voy a volver - con ojos sin miedo

 

 

Vor der Sonne, (inhaltliche Übersetzung)

 

Warum gibt es immer eine Wolke vor der Sonne?

welche die Aussicht verdunkelt und in mir

Schatten wirft bis in mein Schneckenhaus

bis es kein Licht mehr gibt und ich (dort) nicht leben kann

 

Aber es gibt ja noch den Mond, der die Körper erleuchtet

in den dunklen Nächten für die Ewigkeit

in die das Licht eintritt, für all die Toten,

wie ich einer bin - ohne dich, ohne deine Liebenswürdigkeit

 

Gib mir deinen Körper für meine verdunkelte Seele

für mein geheimes Leben, wo ein Blinder singt

Gib mir deine Seele für mein inneres Licht

und ich werde zurückkommen mit Augen ganz ohne Angst

Sonnet about a Poet

(inspired by Iryna Sorokovska)

 

Seemingly fingers dig lines on my face

not knowing about yesterday´s sorrow

and the upcoming grief for tomorrow

so – whatever they do: It isn´t my case

 

I saw this carved masquerade in broken windows

asking myself – is it me? - or someone nearby ?

The wrinkles gave answer or at least they try

to sketch the secrets of life - I won´t show

 

Intoxicated by the blood of a poet

I found some words perhaps close to the truth

and forced myself to pretend: I know it

 

but I couldn´t catch never the wisdom I´ve used

Only the last one remains untouchable save

`cause it has started already digging my face   

 

 

Gesichter eines Dichters

der Versuch einer „sehr freien“ Nachdichtung von meinem Text „Sonnet about a Poet“

 

Anscheinend graben Finger Falten in mein Gesicht

die nichts von mir wissen - von meinen gestrigen Sorgen

und meiner zukünftigen Trauer - vielleicht schon von morgen

Was immer diese Linien bedeuten - sie kennen mich nicht

 

Ich sah dies Gesicht in den Gläsern zerbrochener Scheiben

und konnt´ nicht verstehen, wen ich dort sah

mich selbst ?- oder nur einen Menschen, der mir ähnlich war

und den anderen täuschte ? – Oder war ich keiner von beiden?

 

Das Blut eines Dichters berauschte das Denken

meiner wortreichen Seele aus fremden Gefühlen

die mir bis heute – die schönsten Verse schenken

 

Ich schrieb´ sie ohne zu wissen - zwischen den Stühlen

frei von Erfahrung, ohne Verstand, und weiß nur zu sagen,

dass unsichtbare Finger – Linien in meine Gesichter graben 

 

 

Brandgeruch

(Inspiriert durch „A une passante“ von Charles Baudelaire)

 

Betäubt von der Straße, von ihrem Gebrüll

seh´ ich im Nebel zwei Beine flanieren

die an mir vorbei durch den Morgen spazieren

hin - zu den Reklamen für den zukünftigen Müll

 

Diese Beine wurden ganz sicher Statuen entrissen

der Venus vielleicht - oder der Pallas Athene

Nicht passend dazu - die kommende Szene:

Wie Bettler - ganz ungeniert - in den Rinnstein pissen

 

Ich blicke in das Gesicht dieser griechischen Frau

und weiß sogleich, warum ich sie kannte

Doch wer zu viel weiß, der wird nicht mehr schlau

 

und sieht in Gedanken, dass selbst Troja brannte

Drum schließ´ ich die Augen, um sie zu vergessen...

Ich hab´ doch im Grunde – auch ganz andre Interessen! 

 

 

Lustige Leichen

(inspiriert durch Susi Kaffka)

 

Letzte Nacht hast du mir alle Scherze zerbrochen

in kryptische Teile! Doch ich habe sie wieder zusammengeklebt,

mit Frischluft beatmet (sie haben etwas stark nach Friedhof gerochen)

und sie anschließend erfolgreich wiederbelebt

 

Könnte ich mir jetzt noch einen neuen Humor besorgen...

Meinen alten hattest du zwischen die Todesanzeigen gelegt

um ihn im Container für Wertstoff-Leichen zu entsorgen

- weil ihn, wie du meintest, sowieso keiner versteht -

 

Ja, dann hätte ich es – wirklich faustdick hinter den Ohren

Wäre ein gar lustiger Schalk, der fröhlich seine Bierrunden zieht

Dann klänge ich nicht so vereinsamt, hilflos und verloren

 

als ob neben mir eine weitere Leiche auf dem Totenbett liegt...

Ich würde sogar - mit dir gemeinsam – nur kurz zum Schmunzeln

in den Keller gehen, ganz leise - und – natürlich im Dunkeln 

 

 

 

Versuche über Carlos Gardel

Foto: Regensburg (Dulon)

 

Versuche über Carlos Gardel

(Eine tiefe Verbeugung vor Horacio Ferrer und seinem Text Fábula para Gardel, der vertont und gespielt wurde von Astor Piazzolla)

(32) Fábula para Gardel – YouTube

 

Der vorliegende Text ist meine „freie“ Übersetzung und Nachdichtung des Originals „Fábula para Gardel“. Ich habe mich bemüht, die poetischen Bilder Ferrers möglichst genau ins Deutsche zu übertragen. Doch da, wo sie eine lokale Einfärbung bekamen, die in Deutschland kaum einer verstehen könnte, habe ich meiner Fantasie etwas mehr Raum eingeräumt. Ich hoffe, ich habe damit Ferrers Dichtung keinen Schaden zugefügt, und dass das Feuer seiner dichterischen Kraft auch in meinen zaghaften "Versuchen über Gardel" sichtbar geblieben ist.)

 

 

Mein Sohn, gestern fragtest du mich

zum ersten Mal,

Wer ist dieser Gardel?

Dieser unruhige Geist

der sich nicht fügt,

nicht einordnen lässt

in seinen - schon mit Staub

überzogenen Gemächern

auf deinen Schallplatten

 

Was weiß ich schon...?

Doch was ich weiß,

werd´ ich dir sagen:

Hin und wieder,

erschien er mir ja

in jenen - vor

Kummer schweren - Nächten

als du schliefst, so sorgenfrei,

da tauchte er ganz plötzlich auf,

aus seinem Versteck

wie ein Gespenst

halb Sänger noch

und schon verrückt wie ein Gaukler

erschien er mir,

- deinem Vater -,

um mich ein wenig.

zu trösten

 

Ach, wenn du ihn nur hättest sehen können

mit seiner eleganten Schönheit,

so feingliedrig

als würde

sein wehender Schal

aus Taubenfedern bestehen,

nur um seine Schultern,

nicht zu berühren

Und sein Anzug

wurde aus dem Klang

spanischer Gitarrensaiten

gezaubert, verwebt von

einem Blumenkind

 

Seine Fliege am Kragen

bestand aus den Blütenblättern

leuchtender Nelken

die seine Stimme

beschützten

Und seine pilgernden Schuhe

waren selbst schon

zu den Wegen geworden,

auf denen sie liefen

 

Wo nur wurde er geboren...?

Was weiß ich, mein Sohn

Man erzählte sich, er berührte

die Erde dort, wo sich eine

kleine Wetterfahne zurücklehnte

und mit dem Wind

nach Süden zeigte;

 

Und dass ein Dichter,

ein Kampfhahn

und ein Wahrsager

ihn lehrten zu leben

und zu lächeln

so wie er gelächelt hat,

immer ein wenig frech

wenn er in das Leben schaute…

 

Verstehst du mich?

Er war - wie du

und auch wie ich

mit diesem Schimmer von Traurigkeit

in seinen Mundwinkeln

 

Sein Lächeln kam

aus unbekannten Tiefen...

schalkhaft, wie ein

Kreidestrich

der von dem anderen

Gesicht des Mondes

beleuchtet wurde

 

Und er sang mit einer Stimme,

die sieben Schreie in sich trug

und die gleichzeitig

die demütige Wärme

der Weisen besaß,

weil in seiner Kehle

zwei kleine Augen leuchteten,

die schon alles gesehen hatten

und deshalb die Menschen erkannten.

 

Sein Gesang, dass sage ich dir,

gleicht dem klaren Wasser

einer Zisterne,

in der alle zukünftigen Tango-Sänger,

von nun ab, geboren werden

die, deren Stimme heute noch niemand kennt.

Und auch die schon lange verklungenen,

die den Tango angestoßen und weitergetragen haben,

- wie die Fahrer der großer Trucks,

die selbst Felsen transportieren,

um irgendwo Fundamente zu legen -

erklingen in seinem Gesang,

der mich in den Nächten

bis zur Dämmerung,

morgens um fünf

begleitet und erst

beim frühen Sonnenlicht verstummt

 

Vielleicht wusste dieser Bursche

um die melancholische Art des Abschieds,

das will ich gerne glauben,

weil er seine Sache verstand

und seine Kunst ernst nahm, sehr ernst,

so ernst, wie das Sterben

 

Gestern fragtest du mich, mein Sohn

zum ersten Mal:

Wer ist dieser Gardel?

Dieser unruhige Geist

der sich nicht fügt,

nicht einordnen lässt

in seinen - schon mit Staub

überzogenen Gemächern

auf deinen Schallplatten?

 

Darum sagte ich dir alles,

was ich von ihm wusste

 

Doch heute, wenn ich dich anschaue,

über dich nachdenke, mein Kind

dich dabei küsse,

weiß ich noch ein kleines Geheimnis mehr

über den Sohn eines Sohnes;

Auch dein Sohn

wird dir eines Tages,

an einem sonnigen Junimorgen,

der dich kalt und trocken

empfängt,

die gleiche Frage stellen:

Wer ist dieser Gardel?

 

Und ein übermächtiger

Chor aller Echos,

der den Widerhall der Stimmen unseres Volkes vereinigt,

mit deiner Stimme,

mein Kleiner, und auch mit der meinigen

wird unaufhaltsam

antworten:

Gardel, Gardel, Gardel

ohne Worte (Hunsrück) - Dulon
ohne Worte (Hunsrück) - Dulon

silberne Sonnen

Foto: DAS PAAR, Porto (Dulon)

 

 

Nur ein Sammler

Foto: AN DEN HIMMEL GEHÄNGT, Berlin (Dulon)

VOR DEM SPRUNG, Women in Art, Lübeck - J. Dulon
VOR DEM SPRUNG, Women in Art, Lübeck - J. Dulon

Krieg und andere Grausamkeiten (Texte gegen die Barbarei)

Unpassende Fragen

 

Ist Verbrechen als Rache für Verbrechen kein Verbrechen?

Ist Leid durch Rache für Leid kein Leid?

Ist Folter als Rache für Folter keine Folter?

Ist Mord als Rache für Mord kein Mord?

Ist Rache als Rache für Rache keine Rache?

 

Ist Zerstörung als Rache für Zerstörung keine Zerstörung?

Ist Hunger durch Rache für Hunger kein Hunger?

Ist Krieg als Rache für Krieg kein Krieg?

Ist Terror als Rache für Terror kein Terror?

Wird Rache als Rache für Rache zum Recht?  

Kassandra, reloaded (neuer Text)

 

Troja war in seiner Zeit

             das Symbol der Stadt, die niemals vergeht

und es zerfiel in nur einer Nacht - zu Asche und Staub

Kassandras Blicke konnten die Zukunft durchdringen:

Misstraut den Griechen, wenn sie Geschenke bringen,

schrie sie in den Straßen; doch die Menschen war´n taub

oder nicht mehr bereit,

             zu hören - weil Troja... ja ewig besteht

 

Demokratien vergehen nicht, weil wir sie in der Nacht zufällig verlieren

             oder weil vor ihren Mauern fremde Feinde lauern

Sie werden ermordet – durch den Stumpfsinn der Massen

bei Tageshelle vor unseren Augen - und wir schauen noch hin

und denken... und glauben...: Es wird wohl gar nicht so schlimm

denn was so böse klingt – sollte man vielleicht gar nicht als das Böse erfassen...?

Der Feind, das sind wir – wenn wir uns mit diesem Teufel arrangieren:

             Dann... fallen die trojanischen Mauern...

SPIEGELWELTEN 2, Berlin - www.jacquesdulon.com/berlin
SPIEGELWELTEN 2, Berlin - www.jacquesdulon.com/berlin

Straßen und Wege

SPIEGELWELTEN und OBERFLÄCHLICHKEITEN, Berlin (Dulon)
SPIEGELWELTEN und OBERFLÄCHLICHKEITEN, Berlin (Dulon)

Rückblicke, Einsichten und Dank

Eure Favoriten unter den Dulon-(Audio)-Texten, (Entstehungsjahr des Textes)

 

Gesamter Zeitraum  1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

                   2. Mondschattenbilder (2014) *

                   3Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)

                   4. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

                   5Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

                   5. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)

                   7Ballade vom Wein in Aveiro (2017) * 

                   7. Der Schrei (2023)

                   9. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *

                   10. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) *

                   11. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) *

                   11. Vollmond (Eine alte Liebe) (2012) * 

                   13. Ja, so ist sie... (1981) *    

                   13. Mein sprachloses NEIN (2023) * 

                   15. Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) (2022) *

                   16. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) * 

                   17. Tajuras Lied (2022) *

                   17. Pastorale (Die Heilige Nacht der Stille) (2023)

                   19. Laotses Befragung (2022) * 

                   19. Im Turm der Dichter (2022) *                  

                   21. Letzte Nacht vor meiner Kneipe (Ein psychopathologischer Alptraum...) (2022) *

                   21. Hey Jim (Sunset over Zanzibar) (2010) *

                   21. Mit der Zeit (2011) *               

                                  

2021                 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

                     2. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *

                     3. Linda (2005) (Musik: Nicholas McDonald) *

 

2022                 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

                     2. Mondschattenbilder (2014) *

                     3. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

 

2023                 1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)

                     2. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)

                     3. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) * 

 

2024                 1. Der Schrei (2023)

                     2. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023) 

                     3. Farben von: Ferne (2023)                                                        

 

Oktober 2021            1. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) * 

November 2021           1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

Dezember 2021           1. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) * 

Januar 2022             1. Die Poeten (2020) *

Februar 2022            1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *

März 2022               1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

April 2022              1. Hey Jim (Sunset over Zanzibar) (2010) *

Mai 2022                1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *

Juni 2022               1. Tajuras Lied (2022) *

Juli 2022               1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

August 2022             1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *

September 2022          1Mondschattenbilder (2014) *

Oktober 2022            1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *

November 2022           1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *

Dezember 2022           1. Geheimnis vom Fliegen (2020) *  

Januar 2023             1. Im Turm der Dichter (2022) *  

Februar 2023            1. Im Turm der Dichter (2022) *  

März 2023               1. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) * // Ja, so ist sie (1981) * // Mit der Zeit (2011) *

April 2023              1. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) (2023) * 

Mai 2023                1. Kurze Zeiten der Liebe (1981) ~

Juni 2023               1. Der Wikinger (2022) * 

Juli 2023               1. Ganz in deiner Nähe (Eine Frau unterwegs) (2022) (Nachdichtg.v."A solo un paso de aqui", C. Puebla) * 

August 2023             1. Sizilianische Wanderungen (2023)

September 2023          1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)

Oktober 2023            1. Verspielte Liebe (2004)

November 2023           1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023) 

Dezember 2023           1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)

Januar 2024             1. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023) 

Februar 2024            1. Nur ein Sammler (1983)

März 2024               1. Ja, so ist sie (1981) *  

April 2024              1. Der Schrei (2023)

 

* Audio-Texte nicht mehr auf dieser Seite, ~ ein Tschüß für alte Freunde.

Ankündigung: Für mich war nur der Herbst bestimmt - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

 

Ankündigung: November im April - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

MARKTTAG, drei junge Mädchen auf dem Weg mit ihren Waren in Ada Foah (Ghana, West-Afrika) v. J.D.
MARKTTAG, drei junge Mädchen auf dem Weg mit ihren Waren in Ada Foah (Ghana, West-Afrika) v. J.D.

Traumpfade

 

Der Weg meiner Liebe

Foto: VerinnerLICHT, Bielefeld (Dulon)

 

 

Der Weg meiner Liebe 

 

Heut´ Abend sein - was ich nicht darf

doch schon zu müde um zu denken

Gleich muss ich mir den Schlaf

Einer Stunde schenken

Ich stehe wartend an der Schwelle

die sich dann zeigt, mir zum Lohn

Auch die Kutsche ist zur Stelle

und der Kutscher - wartet schon...

 

Steig ein“, ruft der Fuhrmann

Meine Zeit ist knapp betucht.

Für die Reise in dein Traumland

hast du meinen Dienst gebucht

„Fahr los, denn auch meine Zeit

Beträgt heut´ Nacht nur eine Stunde“

Deine Zeit ist Ewigkeit,

und die schmerzt in jeder Wunde...

 

Bei mir bestehst du nur aus Wünschen

Und das ist schlimmer als du glaubst

Eine Zahl verrät die Münzen

und die Hand, die sich dann schließt – zur Faust

Du trägst auf deinen Lippen noch den Kuss,

der keine Liebe überdauert

weil im Verrat, der kommen muss,

schon die nächste Liebe lauert.

 

„Fuhrmann, ich kann dich nicht verstehen

Ich will mit dir durchs Traumland fahren

und Wunderkerzen brennen sehen

Nicht - den Alpdruck meiner Zeit - als Wahn“

Du bist der Gast - und ich dein Lenker

der deinen Traum durchs Leben lenkt

Warst du ein Flüchtling, bin ich dein Henker

der dir Asyl und Fluchtburg schenkt

 

Ich kenne alle Schatten in den Kratern

und auch die - durch Licht im Sternenstaub

Die von deinem Sohn und deinem Vater,

die mit Tannengrün und Eichenlaub

Schau hinaus! Erkennst du schon

Das Licht im Licht der Lichter

So dunkel wie dein falscher Mond

Sich bricht im Licht der Dichter

 

Spinnenbeine bluten schneller

weben Netze ohne Löcher

Wer nahm vom roten Silberteller

Die Pfeile mit und auch den Köcher?

Bergeshohe Silhouetten

bilden deine Fundamente.

Gefangen schon durch teure Ketten

Lebst du auf Pump - für Lob und Rente

 

Angst gehabt vor kleinen Räubern

Sich selber dann ein Glück geklaut

Vor dem Teppich: Schuhe säubern

für die neue Lieblingsbraut

Vorne auf dem Großen Wagen,

die mit Diamanten prall gefüll...

...ten Tränensäcke aus vergang´nen Tagen

auf dem Weg zum Müll

 

Schattenfreie Angelruten

Auf der Suche nach den Fischen

Die am Strand noch weiter bluten

Fern von weiß gedeckten Silbertischen

Und kurz bevor ein Wort dich weckt

Die letzten Bilder aus dem Wagen

Bevor dich jeder Schatten schreckt...

Bevor du lernst auch JA zu sagen

 

Ein weißes Kreuz im Feuermeer

Brennt dir Zeichen auf die Haut

Wirst du sterben, weißt du mehr

Als man dir jemals glaubt

Ein Wasserfall erfriert zu Eis

Die Zapfen schwitzen Tropfen wider

So schließt sich heute Nacht dein Kreis

Mit dem Öffnen deiner Augenlider

 

Die Zeiger für die Zeit in Zahlen

Zählen dich jetzt schwungvoll an

Die Spiegelbilder in den weiten Schalen

Zerfließen wie ein junger Mann…

Du hast geträumt - nur“, sagt die Frau,

im Fiebertanz und stöhntest schwer

„Ich war… ich bin.... Ich weiß es nicht genau

oder... ich weiß es schon nicht mehr...

 

Dein Wort war mir ein Angelhaken

Der mich aus meinen Tiefen zog

Der Fang liegt nun auf deinem frisch geweißten Laken

Und weiß, dass seine Liebe dich belog

Ich blute leicht, das erste Mal

Das Blut vermischt sich jetzt mit Tränen

Ich nahm dich damals und ertrug die Wahl

Jetzt will ich dich aus Liebe wählen.“

Sizilianische Wanderungen

 

Sizilianische Wanderungen

(nach Motiven aus dem Gedicht „L'après midi d’un Faune“ von Stéphane Mallarmé)

 

(Prolog)

Beim Wandern am Etna überkam mich der mittägliche Schlaf

als ich mich - erschöpft unter Rosen – in den Schatten legte

Ich träumte einen langen, erotischen Traum – so dass die Erde erbebte,

Risse bekam, sich auftat und mich in ihre Felsspalten warf

 

Ich fiel – oder war es ein Schweben durch paradiesische Zonen? -

Bis ich schließlich erwachte - auf einer Wiese im Wald

von Kiefern umgeben, schon knorrig und - urzeitlich alt

Dazwischen tanzten Najaden, die seit ewigen Zeiten an Seeufern wohnen

 

Sie sangen und spielten auf seltsamen Flöten

Melodien nie zuvor gehörter Lieder - vom waldbeherrschenden Pan

Tanzten dabei mit ihren nackten Gliedern - ganz ohne Scham, ohne zu erröten

 

als sie mich ausgestreckt im Gras liegen sahen

Doch schon beim nächsten Ton - waren sie ganz plötzlich verschwunden

Da - wo sie eben noch tanzten, hab´ ich nur - ihre Flöte gefunden…

 

I (Verwandlung des Wanderers, Erwachen als Pan)

...all diese Nymphen! Ich möchte sie in mir bewahren

Ihr Licht mit Stoff bekörpern, bis die Luft dann schwingend tanzt

Will ich hin zu ihnen - durch die dunstigen Zonen meiner Träume fahren

Ganz!

 

Haben sie mich nur im Schlaf verlacht?

Meine Zweifel durchdringen die inneren Schichten auf der anderen Seite der Nacht

und erblicken in den feinen Ästen, die mir als Zeichen bleiben

hölzerne Fasern, die sich immer feiner verzweigen

Für meinen Mut – damit ich es wage, auf Rosen zu wachen

 

Überall dort, wo in mir noch die Stimmen der Nymphen lachen -

Da explodieren meine überspannten Sinne zu einem fehlgeleiteten Scherz

und meine Sehnsucht, die schon meine erwachenden Augen schmerzt,

bilden so keusch - die Quelle meiner zukünftigen Taten und Sorgen

wo die klarsten Wasser noch warten - in den dunkelsten Tiefen verborgen

 

Ich will die warme Sommerluft abstreifen, die sich in meinem weichen Fell verfängt,

mich bewegungslos, apathisch hält, mich ermattet und mich zur Ohnmacht drängt

und immer wieder zu ersticken sucht.

                        – Dann denk´ich an die Strahlen einer neu erwachenden Morgenröte

die vom Plätschern des Baches begleitet – zu den Tönen meiner frisch geschnittenen Flöte

den Wald mit Akkorden bestreut

und mich mit Melodien erfreut…

 

II (Erste Erinnerungsbilder – Überkommende Wollust)

Doch nun hat sich der trockene Regen in meinem Instrument verfangen und alle Wolken gedreht

bis zum Horizont - ohne dass sich noch ein Blatt an den Zweigen bewegt

Nur unsichtbar und künstlich leise höre ich durch meinen Wald weiter die Töne einer Flöte ziehen

Zarte Gesänge längst vergessener Melodien:

Die von den Sumpfgräsern erzählen - an einsamen sizilianischen Küsten

als ob sie etwas von dem leicht übersättigten Dunstlicht wüssten,

das stillschweigend von funkelnden Blumen am Meer erzählt

- und wie ich das Schilfrohr für meine Flöte gewählt

- und ich für die glasige Ferne der Felder den Goldstaub fand

- und ihn mit dem Grün der Reben am Brunnen verband

- und wie ein ruhendes, weißes Tier als Welle auf dem Flusswasser lag

- und mir zur Geburt meiner Flöte seine Melodien übergab

- Waren es Schwäne? Sie glichen den nackten Najaden

- Tauchten und zeigten sich mir - verlockend beim Baden...

Stilles Verlangen fiebert wie wild und zeichnet die Stunde

ohne zu benennen, die klaffende -niemals ganz heilende- Wunde,

die ich verfluche

 

Allein mit den Wünschen, für die dringendste Suche

brennt in mir Blut, das ein Feuer entfacht

mit uraltem Schein – im keg´ligen Schacht

Steh´ ich aufrecht, um euch wortreich zu bitten

für einen nichtssagenden Kuss auf stöhnenden Lippen

die jedem Treulosen erklären, was Treue wohl ist

Auf meiner Brust bluten Beweise für einen zu tiefen Biss

Geheimnisvolles Zeichen von einem scharfen Zahn

doch noch geheimnisvoller - ist eure Macht - über meinen Wahn

Eure Zartheit unter den azurblauen Dächern des inneren Glücks

Zwischen den Schenkeln mit den flink springenden Zungen - und wieder zurück

Träume ich weiter, wiederhole das Spiel

der Schönheit zum Trost, der Lust - zum göttlichsten Ziel

Gefälscht sind die Schwüre der leichtgläubigen Lieder

Ich moduliere sie neu und singe sie wieder

Zwischen meinen Träumen der Ohnmacht, auf verbotenen Wegen

will sich mein Blick mit geschlossenen Lidern - auf eure Körper legen

Dort spür´ ich die Linien meines eitlen Verlangens

 

III (die Najade Syrinx)

Ich erspähe die Syrinx, doch groß ist mein Bangen

Denn jungfräuliche Najaden warten doch nur - um göttlich weiterzublühen

bereit für die Flucht! - Wird sie auch vor mir durch ihre Schilfgräser fliehen?

und wie auf alten Gemälden ihren Gürtel ablegen?

im Schatten des Waldes auf ihren ureigenen Wegen

Ich saugte die Trauben der verwegensten Träume

zurück bleiben nur Bilder im Schatten der Bäume

bei verblassenden Sternen...

               - Ich betrachte das helle Sommerzelt

und verwarte die Zeit, bis mich die Nacht überfällt

 

Betrunken vor Glück, werd´ ich mich an ihrem Leuchten berauschen

Und den Melodien ihres Körpers in meiner Flöte lauschen

- Mein flehendes Auge sucht dich im Schilf, (wo du an mich denkst)

- und unter dem Wasser, in dem du dein Glühen ertränkst

- mit einem Schrei, wohl zwischen Wollust und Stöhnen

- Der mächtige Wald - erwidert ein Echo, um mich zu verhöhnen

- Ich steh schon mit Füßen in deinem gräsernen Reich,

- das mit den schwimmenden Haaren den Gräbern ertrunkener Najaden gleicht

- So hab ich verletzt - deinen Willen, wie meine Füße es zeigen

- Dein Schilfrohr gebrochen, achtlos zertreten! - Musstest du leiden?

- War meine Eile zu groß, um dich zu entblättern?

- Hat meine Hand dich gehalten - nur um dich zu zerschmettern?

- Mit roher Gewalt, von der die Rosen nun singen

- wenn ihre Dornen wie Dolche, dir bis in deine Herzbahnen dringen

 

Ich bete dich an und bitt´ um Verzeihung

An deinen Körper gefesselt – suchtest du die Befreiung

gemäß deinem Schwur, den du der Artemis gabst

Ich wollte dich halten - als du in meinen Armen lagst

So göttlich dein Wollen, so menschlich mein Plan:

Versagten wir beide - und leiden daran

 

Wütende Tränen treiben den Nebel über silbrige Seen

- Stehst du an den Ufern, dann lausche den Feen

- Sie singen noch immer das traurige Lied

- Von der gebrochenen Flöte, (das durch meine Baumkronen zieht)

- Vom Scheitern der Menschen auf dem göttlichen Pfad

- Wo sich göttliche Schönheit mit menschlicher paart

- entsteht eine Hölle, in der keiner regiert

- keiner gewinnt und in der jeder - alles verliert

- Die Nymphen am See gedenken der Frauen

- die seit uralten Zeiten den Göttern vertrauen

- Und ich denke an dich und verfluch´ das Gesetz

- das mit göttlicher Allmacht die Menschen verletzt

 

IV (Ernüchterung und neue Pläne – Etna, Hephaistos´ Tochter)

Schade um uns – doch ich werd´ mich verlieben

wieder und wieder werd´ ich zu dem, - der in mir geblieben

ist - und nun überall lebt: Im Wald, an den Küsten und auch in den Sümpfen

Dort warten auf mich noch fremdere Früchte als die der göttlichen Nymphen

denn mein Blut wählt die Bahnen nach seinem eigenen Willen

und muss sein Verlangen - durch mich - an der Schönheit stillen

Ist sie eine Göttin? - Wird sie mir verzeihen!

Dann bin ich ihr Apostel, dann kann mich niemand befreien

Gefährtin der Venus, an sizilianischen Küsten

Die Lava fließt stetig, so als ob wir es nicht wüssten

Die Etna besteht nur aus glühender Erde

Sie will, dass ich bin! – Ich will, dass ich werde!

 

(Epilog)

Schwer wiegen die Bilder der sich jagenden Gedanken

Ich liege ermattet - unter blühenden... Blumenranken

in der Mittagshitze - und will nicht mehr büßen

Vor mir das Meer, und unter meinen Füßen
Brodelt die Erde und schenkt mir... sizilianische Trauben,

für den Wein, der mir hilft - an Liebe zu glauben  

NETZE EINHOLEN, Ada-Foah, Ghana (West-Africa) - Jacques Dulon
NETZE EINHOLEN, Ada-Foah, Ghana (West-Africa) - Jacques Dulon

Humor ist, wenn ein Gleichstand gelingt

 

Warum ich intellektuell bin 

 

Hinter den Grübchen

auf meiner Stirn

liegen zwei Stübchen

in meinem Gehirn

 

Das eine ist kaum,

oder nur spärlich möbliert.

Das ist der Raum:

Da wird das Denken trainiert

 

Der andere - etwas weiter entfernte

dient den wichtigen Interessen.

Da wird das mühsam Erlernte 

dann wieder vergessen          

Start und Ziele (auf einem Bumerang) 

(Eine Verbeugung vor Ringelnatz)

 

Wieder wollten zwei Ameisen,

richtig weit und lang verreisen

Sie bestiegen Fernweh-krank

einen kleinen Bumerang

um durch die Lüfte fort zu schweben

und nebenbei auch zu erleben

wie lang man wohl zum Zielort fliegt

der immer dort am Startpunkt liegt             

Leerstellen (Mensch-Technik-Glaube-Freizeit-Natur-Haus) - Dresden, Jacques Dulon
Leerstellen (Mensch-Technik-Glaube-Freizeit-Natur-Haus) - Dresden, Jacques Dulon

Ankündigung: Wolkenreiter - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle 

Baluto 

Text-Inspiration durch Cecilia Puebla

Foto: Farbenwelten im Wasserglas (Dulon)

FENSTER IM FENSTER, Lübeck (Jacques Dulon)
FENSTER IM FENSTER, Lübeck (Jacques Dulon)

Manchmal für immer - ein Chanson

Foto, unten: Berlin - Dulon

Les enfants oubliés 

 

…denn dies ist ganz sicher – unser letzter Planet

der sich um sich selbst – und unsere Sonne dreht

Und wir sind die Kinder – verlassen im All

Sammler und Jäger - und wohl auch Erfinder

vor dem letzten… – dem ganz großen Knall

 

Et nous sommes les enfants – seuls et abandonnés

qui tournent avec la planète – autour de leur soleil,

qui ont peut-être un cœur - trop libre et pourtant lié

à l’espérance de l'amour - avec le courage de la peur

Mais à la fin nous ne serons que - des enfants oubliés

 

 

(inhaltliche Übersetzung des französischen Textes) 

und wir sind die Kinder - allein und verlassen

die sich mit dem Planeten drehen - um ihre Sonne

die vielleicht (sogar) ein Herz haben - zu frei und darum gebunden sind

an die Hoffnung der Liebe - mit dem Mut der Angst

Aber am Ende werden wir nichts weiter sein - als die vergessenen Kinder

Tu y yo (Individualismo y Soledad) (neuer Text)

 

Llevo dentro de mi:

Individualismo y Soledad

Alcanzan a mi centro de nada

y de regreso - a la cara de ti

Igualmente es lo mismo

con mi realidad

y tu realismo

 

 

(inhaltliche Übersetzung)

Du und ich

 

Ich trage beide in mir:

Den Individualismus und die Einsamkeit

Sie reichen bis zu meinem innersten Nichts

und wieder zurück – bis zu deinem Gesicht

Schließlich ist es das Gleiche

mit meiner Wirklichkeit

und deinem Realismus

Individualismo y Soledad (eine Verbeugung vor der Kunst von Guido Contini) - Dulon auf Mors
Individualismo y Soledad (eine Verbeugung vor der Kunst von Guido Contini) - Dulon auf Mors

Tschüß und Danke für den Besuch... 

bis zum nächsten Mal vielleicht auch in eurem Theater...?

Dulon liest Dulon, Klütz (*Foto: Andrea Knust)
Dulon liest Dulon, Klütz (*Foto: Andrea Knust)

 

Jahresringe 1978-2024

(alle bisher auf dieser Seite veröffentlichten Dulon-Texte)

 

(geschrieben / Titel eines Jahres in alphabetischer Folge / Status) 

1978   Manchmal für immer 

 

1981    Ja, so ist sie *

           Kurze Zeiten der Liebe ~

 

1983   Nur ein Sammler  

 

1985   Der Weg meiner Liebe 

         Ein Mann gibt Auskunft *

 

1986   Einstein oder Seit geraumer Zeit *   

           silberne Sonnen   

 

1987   falscher Anfang *

 

1988   Lohn des Löhners  #   

 

1991    Fragment in Blau *

           Hieße ein Kreis… *

 

1992   Erkennen *

           Fremdes Mein *

           Kein Brief *

 

1993   Zwischen Wänden *

 

1995   All dies geschieht *

           ... einem anderen Ziel entgegen *

 

1996   Gesicht vor Spiegel +    

 

1997   Unerhörter Weggang *

 

1999   Der anarchistische Dichterfürst *

 

2001  Für mich war nur der Herbst bestimmt + 

 

2002 Jacob von nebenan (oder Die UFOs zum Mars) *

          November im April  + 

 

2003  Die sich auflösende Welt des Dr. K.*

 

2004 Herzgewalten *

           Verspielte Liebe 

 

2005 Auf der Baustelle *

          Das Albino-Reh*

          Eine Freundin *

          Linda *

          M-Trick *

 

2006 In meinen Straßen (Gegend namens Glück) *

          Mehr haben wir nicht (Rue de Madeleine 90) *

          weitsichtig *  

 

2008 Farben (eine Oktalogie in Fragmenten) *

           Souls to carry *

  

2009 Im Schatten junger Frauenblüte *

 

2010 Hey Jim (Sunset over Zanzibar) *

 

2011  Mit der Zeit *

          Wolkenreiter + 

 

2012 Mord am Morgen *

         Vollmond oder Eine alte Liebe *

 

2014 Mondschattenbilder *

          Next to Arica (I can see your face from here) *

 

2015  Baluto (Ein Liebeslied in einer nicht-existierenden Sprache) 

          Helgas Herzen    #  

 

2016  Farewell in Blue (Next to Pilat) *

          Leaving the Table *

          Melancholien  

          Vogelzüge im Norden 

 

2017  Ballade vom Wein in Aveiro *

          Der Elch II *

          Gedicht ohne Ziel *

 

2018 Delante del Sol    

         Die Nacht vor dem Frühling (DER WANDERER II) *

         Jetzt *

         Snow in the Mountains *

 

2019 Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) *

         Der Fremde (Wie er war als er ging) *

         Ein Zimmer und zugleich eine Wüste *

         Welches Wort *

 

2020 Dichten erlernen *

          Die Poeten *

          Geheimnis vom Fliegen * 

          Holunder *

          Kann man das Dichten üben? *

          Was wird bleiben (von meiner Dichtung) *

  

2021  Brücken (Zwischen den Seelen) *

          Die Klobrille * 

          Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) *    

          Fluchthelfer *

          Halt ein *

          Kronos (Die Zeit der Ruinen) *

          Mein Liebeslied für dich *

          Schmutz an den Schuhen regennasser Straßen (DER SOHN II) *    

          Tsunami *

  

2022 24.02.22 *

         Asche wie Schnee *

          Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) *

          Bekenntnisse *

          Brücken ohne Ufer *

          Countdown (ins Beschränkte) *

          Das Wüstentier (DER SOHN V)     

          Dein Nicht-Nein * 

          Der Inn (Fluss-Gedichte:) *

          Der schlimme Mann *

         Der Sohn (Brücken ohne Ufer) (DER SOHN III) *     

          Der Wikinger *     

          Ganz in deiner Nähe (Ein Frau unterwegs) (Eine Nachdichtung von "A solo un paso de aqui" von Cecilia Puebla) *

          Götterdämmerung *

          Im Turm der Dichter *

          Laotses Befragung *

          Letzte Nacht vor meiner Kneipe (Ein psychopathologischer Alptraum über den Sommer 21) *

          Mathematische Wunder oder Die Zeitgleichung *

          Messer *

          Mögliche Kapitulationen *

          Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) *

          Sinn als Zweck (oder: Ein kleine Exkursion) *

          Tajuras Lied *

          Unfertiges oder Eine Verbeugung vor Ringelnatz *

          Warum Wunden nicht heilen *

          Was zu tun ist *

          Wir (als Verneinung) *

          Wir (in der Vergangenheitsform) *

          Wo dein Sternbild mir leuchtet (DER SOHN IV) *    

          Zum Wohle des Kindes *

          Zwei Panzer (vor Kiew) *

 

2023 Als sie... (Zeitratten) *

          An das Leben *

          Aristoteles´ Schüler     

          Bauchgefühle unterm Honigmond (Die Zeit der Schmetterlinge) *

          Bei mäßiger Zielsicht *

          Bekenntnisse eines Dichters *  

          Brandgeruch 

          Der Krieg verharrt in der Todeszone *

          Der Schrei 

          Die drei Gesichter (Wachsen, Blühen und Verwelken oder: Ein Lebenslauf) *

          Die Zerbrechlichkeit der Zeit * 

          Ein Jahr *

          Es ist ja kein Mord (von Häutungen und Verschalungen) *  

          Farben von: Ferne  (aus dem Zyklus: FARBEN)    

          farblos und blind *

          Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) * 

          Gesichter eines Dichters 

          Gott in Göttingen *   

          Horen - Die beiden Reiterinnen   

          John, Hello I´m in there (Pflastertreter-Ballade) *

          Kleiderwechsel als Modenschau (Ein deutscher Lebenslauf) *              

          Krähengesang * 

          Küchengespräche  

          Les enfants oubliés 

          Lob der Müßiggangs (Hände im Schoß) *

          Lustige Leichen  

          Mein sprachloses Nein *

          Metamorphosen vom NEIN * 

          Mit dem Neuen Jahr (Eine Silvester-Selbst-Ansprache) *  

          Ortega oder Palabras urgentes para Nicaragua *

          Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille     

          Schatten auf Wände

          Scherben und Kreise (bis an den Rand)         

          Sizilianische Wanderungen  

          Skylla und Charybdis (Gedanken über einen Abgesang auf die Demokratie) *          

          So oder so *

          Sonnet about a Poet 

          Stille Geschenke  *   

          Stimmen der Frauen vor Troja *

          Südwärts - mit dem Norden in mir             

          Trump (or How to finsh Democracy) *

          unpassende Fragen        

          Versuche über Carlos Gardel 

          Vorfreude *

          Warum ich intellektuell bin   

          (zwei Regen) 

 

2024  Banksy  #

           Das ganze Theater  

           Dieser Mann der sieben Seelen  #  

           Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) + 

           Kassandra, reloaded  #

           kein Gesicht 

           like Elvis (for being eternal) *   

           Odyssee (The Returning of H.P.) * 

           Schnitter und Schneider  # 

           Start und Ziele (auf einem Bumerang) 

           Tu y Yo (Individualismo y Soledad)   #

           Verdächtige Zeiten (Blumen der Bösen) *  

           vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) +  

 

          (Status: + in Planung und angekündigt,  # neu, ~ ein Tschüß für alte Freunde, * nicht mehr auf dieser Seite)

WEGE, Spreewald - *Foto: Marie von Kuck
WEGE, Spreewald - *Foto: Marie von Kuck

 

Werkstatt-Report (Neues von Dulon)

-immer die 10 aktuellsten Texte, direkt aus seiner lyrischen Werkstatt-

  

= Februar 2024 =

...

2.  Verdächtige Zeiten (Blumen der Bösen) *

 

= März 2024 =

1.  vielleicht Homer (aus dem FARBEN-Zyklus) +

2.  Frühling (aus dem FARBEN-Zyklus) + 

3.  like Elvis (for being eternal) *

4.  Banksy    

5.  Kassandra, reloaded 

6.  Dieser Mann der sieben Seelen 

 

= April 2024 =

1.  Schnitter und Schneider

2.  Die Vergessenen *

3.  Tu y Yo (Individualismo y Soledad) 

 

(Status: * nicht (mehr) auf dieser Seite, + angekündigt)

www.jacquesdulon.com/book-projects
www.jacquesdulon.com/book-projects

Der HIDDEN TRACK im WEB-Versteck 

An dieser Stelle erscheint im Jahr 2024 jeden Monat für ca.30 Tage eine neue Prosa-Erzählung von Dulon. 

 

2024 Januar - ...einem anderen Ziel entgegen (1995) (aus: unterwegs)  

2024 Februar - Gott in Göttingen (?) (2023) (aus: unterwegs)

2024 März - Die sich auflösende Welt des Dr. K. (2003) (aus: unterwegs)

2024 April - Lohn des Löhners (aus: unterwegs)

 

Lohn des Löhners

 

Mir fielen die Bilder jenes surrealistischen Malers wieder ein, dessen Name ich schon so oft - wie auch jetzt erneut - vergessen hatte. Leblose Bilder von Lokomotiven in Bahnhöfen, von schneeweißen Kindfrauen, die nur noch warten, weil sie nichts mehr erwarten, in diesen Hallen, in diesen großen Bahnhofshallen, die so viele Züge und Abschiede schon ertragen mussten; aber jetzt: diese letzte Eisenbahn sollte bleiben, für den Maler als Motiv der Befreiung von einem Wahn; für den Betrachter dieser ewig jungen Frauen als ein Beweis von Beständigkeit und Treue.

Die Atmosphäre in den Bahnhöfen westlicher Metropolen kann in meditativen Zeiteinbrüchen beim Reisenden durchaus jenen surrealistischen Alpdruck hinterlassen, der die größte Betriebsamkeit bildhaft werden lässt. Bewegungen verlieren an Tiefe, das Geschaute wird auf eine glasig flatternde Oberfläche projiziert, die der Schauende erreichen muss, will er einmal das Trennende aller Bahnhöfe überwinden.

Surrealismus ist das Bleiben ohne Warten in einer Welt voller Züge. Ich war eingeschlafen.

 

Eintönigkeit setzt ein Erwachen voraus. Klack, klack, klack... Das monotone Schienengeräusch war schon seit Tagen der Takt, der das Zählen der Zeit meiner Uhr sinnlos werden ließ. Die endlose Weite des mittleren Südens verbannte die schneebedeckten Gipfel der nördlichen Gebirgskette aus meinen Gedanken. Hier war nur der Sonnengang zu beobachten, der schattenlos eine wüstenartige Landschaft erhellte. Keine regendurchtränkten Reisterrassen, wie sie auf den Werbeplakaten im fernen Westen zu bestaunen sind, keine traurig singenden Reisbauern, wie das Kulturkomitee dieses Landes glauben machen wollte, keine surrealistischen Maler, die diese Landschaft, nur so wie sie ist, auf die Leinwand zu übertragen hätten. In den kleinen schäbigen Bahnstationen jedoch müssten sie ihren Pinsel erheben und die Leblosigkeit einer realen Welt bestaunen.

Leblos waren die Augen meines Gegenübers. Er starrte regungslos aus dem Fenster. Vielleicht spiegelten sich auch nur die Stationen seiner Reise in seinem Gesicht wieder. Die scharfkantig geschnittenen Wangenknochen mit den tiefliegenden, schmalen Augen verrieten seine nördliche Herkunft. Nur dieser große, massige Körper musste als Ausnahme gelten, denn die Menschen der Bergstämme sind klein und zäh von Gestalt. Sie kommen nicht gerne in den Süden, in die industriellen Zentren dieses Landes, die sie meist nur aus den Briefen ihrer wenigen Verwandten kennen, die den Aufbruch gewagt hatten. Diese "ausgewanderten" Nordländer leben in den südlichen Städten oft viele Jahre getrennt von ihren Familien, immer auf der Suche nach Geld und Arbeit.

Die Menschen der südlichen Regionen betrachten diese Ankömmlinge mit Argwohn. Die willkürliche Grenzziehung einer früheren kolonialen Macht hatte sie mit dem kriegerischen Bergvolk brüderlich verbunden. Nach der Revolution stellte der Sozialismus diese Vereinigung, und damit den Nationalgedanken, als einen Sieg der arbeitenden Klasse der Weltöffentlichkeit vor. Seit jenen Tagen wuchs die Gleichheit der arbeitenden Bevölkerung derart, dass die Menschen im Süden gleicher wurden, als ihre nördlichen Brüder.

Wird der Sozialismus eines Tages in der Lage sein, die Jahrhunderte alten ethnischen Vorurteile zu überwinden, wenn diese sich erneut mit ökonomischen Argumentationen verbinden? - oder resultieren diese Vorurteile nur aufgrund der nicht ausgeräumten Missverständnisse während der unsäglichen Kolonialzeit? „Wir wollen es hoffen“, sagte mir ein hoher Regierungsbeamter, „denn wir haben nur einen Schlüssel, der für die letztere der beiden Fragen zu passen scheint.“

Arbeit für alle - auch in den Bergen - doch in den Bergen sieht es anders aus. Alte, bis heute erhaltene Familienstrukturen und eine nur schwer auszubauende Infrastruktur behindern alle gutgemeinten Lösungsansätze der Regierung. Manchmal möchte man auch meinen, dass die Probleme in den nördlichen Bergregionen dem Beamtentum der südlichen Zentren deshalb so fremd sind, weil sich eine Übervorteilung der eigenen Region noch nie als ein Stolperstein auf der Karriereleiter erwiesen hat.

 

Der Fremde war von seiner Kleidung ein Landarbeiter, ein Tagelöhner. Irgendwo an einer dieser kleinen Wüstenstationen, in denen die Züge Ewigkeiten verbringen, musste er mit seinem spärlichen Gepäck zugestiegen sein. Dieses Bündel lag achtlos neben ihm auf der Sitzbank. Er hatte es dort abgelegt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass ich bereits durch meinen Mantel diesen Teil der Bank in Anspruch genommen hatte. So beschmutzte nun der mit trockenen Lehmresten überdeckte Beutel mein Kleidungsstück. Der Fremde hielt es offensichtlich nicht für nötig, mir gegenüber die einfachsten Regeln der Gastfreundschaft einzuhalten.

Sein starrer Blick kam mir jetzt noch feindseliger vor, und ich bemerkte in mir eine schutzbringende Aggression, die mir als Waffe gegen diesen Eindringling willkommen schien. Schroff zog ich meinen Mantel unter seinem Beutel hervor, reinigte ihn wortlos so gut es ging, ohne jedoch dem Fremden mein Missbehagen zu verheimlichen, und legte den Regenschutz neben mir auf den Koffer. Der Fremde schaute mich flüchtig aus seinen schmalen Augen an. Dieses provozierende Verhalten war für mich einmalig in diesem Land der freundlichen Menschen. Ich versuchte mich zu beruhigen, was mir anfangs nur schwer gelingen wollte. Das beschäftigungslose Sitzen der vergangenen Tage vor den vorbeiziehenden Landschaften hatte Spannungen in mir aufgebaut, die in der jetzigen Situation ihr Ventil zu finden glaubten.

Die Gegenwart dieses Fremden riss mich aus den Grübeleien über den Sozialismus und den Phantastereien der surrealistischen Maler zurück in die Wirklichkeit. Ich wäre gern' ein Maler geworden, ich wäre gerne dort geblieben. Die Wirklichkeit aber war ja mein Beruf. Die Tage meiner journalistischen Tätigkeit in diesem Lande gingen dem Ende entgegen. Überhaupt hatte ich meine Pflicht mehr als erfüllt. Drei große Berichte, veröffentlicht in einer der einflussreichsten Wochenzeitungen meines Landes, stimmten mich zufrieden. Die wirtschaftlichen Aspekte dieser Reportagen fanden in den Etagen der Auslandsinvestoren ein angenehmes Echo. Die differenzierte Betrachtungsart des Sozialismus mit seinen Öffnungsmöglichkeiten für multinationale Konzerne, wird heutzutage in Managerhänden leicht zu einer süchtig machenden Bettlektüre.

Für mich gehörte dieser Teil meiner Arbeit schon zur bewältigten Vergangenheit. Und so fasste ich den Entschluss, in fast völliger Unkenntnis der Bergregionen, diese in meinen letzten Wochen zu bereisen. Motiviert durch den Gedanken, meine Erfahrungen mit den entsprechenden Reflexionen in einem Buch zu veröffentlichen, das natürlich auch die nördlichen Provinzen nicht ausklammern durfte, entschloss ich mich zu dieser Reise. Mein Aggressionsstau war wie fortgeblasen. Die Lethargie hatte mich erneut umsponnen. Der Fremde schlief.

 

Ein Uniformierter weckte uns, verlangte von mir die üblichen Papiere, studierte sie mehr als gründlich und erkundigte sich nach meinem Reiseziel. „Direkt in die Provinzhauptstadt“, war meine Antwort. „Ihr Fahrausweis besitzt bis dorthin keine Gültigkeit. Sie müssen für den letzten Abschnitt ihrer Reise eine Fahrkarte nachlösen!“

Dies waren die alltäglichen, kleinen Schikanen, an die ich mich als Ausländer längst gewöhnt hatte. Für den Beamten war ich der Reiche aus dem Westen, und er verlangte halt seinen fast schon legalen Anteil aus meinem Reichtum. Ich war also nicht sonderlich erstaunt über seine Feststellung und zog nun meinerseits etwas gelangweilt meinen Mantel hinter meinem Koffer hervor. „Wie viel?“, fragte ich ohne den Beamten dabei anzusehen. Er nannte mir den Preis, der in etwa dem Tagelohn eines Landarbeiters entsprach. Zu wenig für mich, um einen Protest zu rechtfertigen.

Mein Kleingeld trug ich für diese speziellen Fälle in einem Geldbeutel, den ich in der rechten Manteltasche vermutete. Doch das Kleingeld war dort nicht zu finden. Auch in der linken sowie in der Innentasche hatte ich mit meiner Suche keinen Erfolg.

Der Fremde beobachtete meine Bewegungen - wie mir schien - mit einer kaum noch zu verdeckenden Angespanntheit.

Ich schaute ihn wütend an. Den Beamten hatte ich vergessen. Meine nicht mehr vorhanden geglaubten Aggressionen brachen sich jetzt ihren Weg aus meinem Innern. Es gab für mich keinen Zweifel, dass dieser Fremde meinen Geldbeutel, während ich schlief, entwendet hatte. Mit diesem Wissen konnte ich mir nun auch sein feindliches Auftreten erklären.

„Sie haben mir den Geldbeutel gestohlen“, fauchte ich ihn an. Obwohl meine Ausdrucksmöglichkeiten in der Landessprache begrenzt waren, war ich mir sicher, dass er mich verstanden hatte.

Der Fremde jedoch versuchte meine Worte zu ignorieren und schaute verkrampft aus dem Fenster. Schweißtropfen konnte ich auf seiner Stirn entdecken.

„Geben sie mir sofort mein Geld zurück!“ schrie ich ihn an. Das Ventil war vollständig geöffnet. Wie ein Taubstummer lallte er mehr zu sich selbst ein paar Worte. Ich konnte sie nicht verstehen. Meine Wut über die Ignoranz des Fremden hatte seinen Höhepunkt erreicht. Plötzlich drehte er seinen Kopf und schaute mit einem qualvoll ängstlichen Ausdruck den Beamten an. Bruchteile von Sekunden später fiel ein Schuss. Auf der Stirn des Fremden wurde ein schwarzes Loch sichtbar. Die riesige Gestalt sackte zusammen, wodurch die Kopfdrehung halb zurückgenommen wurde. Er schaute mir das erste Mal mit weit aufgerissenen Augen ins Gesicht. Langsam teilte ein dickflüssiger, schwarzer Tropfen diese weiße Maske in zwei Hälften.

„Diebe und Mörder erhalten bei uns ihre gerechte Strafe“, hörte ich von irgendwoher. „Das können sie in ihrem Land berichten. Sie sind doch Journalist - oder?“

 

Die letzte Bahn steht auf den Steigen. Sie wird nicht bleiben für die Maler. Die Kindfrau ist schon eingestiegen und hat den letzten Preis gezahlt. „Wieviel?“ schreit ein Weißer. Er ist ein Totengräber und gräbt neben den Gleisen für den Lohn des Löhners.

 

 

2024 Mai - Gesicht vor Spiegel *** (aus: unterwegs)

2024 Juni - Der ungewöhnliche Lebenslauf des Werner M. ** (aus: unterwegs)

2024 Juli - Ein gelungener Zaubertrick ** (aus: unterwegs)

2024 August - Studentenzeit * (aus: Orte und Dichtung)

2024 September - Georg las die Zeitung * (aus: Fragmente in Blau)

2024 Oktober - Die Verwechslung * (aus: Fragmente in Blau)

2024 November - Luft zum Atmen * (aus: unterwegs)

2024 Dezember - Der Traum von Señor Martines ? (aus: unterwegs)

(ENDE des PROSA-PROJEKTES)

 

(Status: ? in der Sichtungsphase, * in Planung, ** in Vorbereitung, *** angekündigt)

 

Blick nach vorn, Berlin - *Foto: Cecila Puebla
Blick nach vorn, Berlin - *Foto: Cecila Puebla

 

PS. Wenn du etwas nicht verstanden hast, was man nicht verstehen kann... dann hast du alles verstanden (Dulon)

last update 19.04.2024