Fremde Fragmente von A bis Z (aus dem Lübecker Lyriktreff)
Als dieses Jahr seine Stimme verliert, sind unsere Silben frostbefallen (Maja Löwe) - Als mein Aug zu leuchten wagte und mein Herz die Hände hob (Frauke Krieger) - Auf dass die Schatten ihr Wesen verlieren (Jörg Nath) - Aufs Papier geblutet, formen die Worte die ersten Konturen einer neuen Suche (Jörg Nath) - Blumen vergeben dem Leben (Elisabeth Oltzen) - Das ambivalente Lachen des Satzzeichens hallt durch den überfüllten Saal und alles wartet auf den Richterspruch (Jörg Nath) - Das kleine Wasser hier im Park teilt seine Farbe mit der warmen Erde, kleine umhergeschneite Blütenblätter verhimmeln es mit Sonnentönen (Parijato) - Der Tag kam früh, um seine Ruhe zu haben (Parijato) - Die Worte, die ich nie schrieb, sind die stummen Zeugen eines unvollendeten Mosaiks (Jörg Nath) - Doch der Eine... er schweigt, wird ihm die Feder gereicht (Jörg Nath) - Felsriesen beklüften den Himmel (Parijato) - Gib mir ein W, dann gebe ich dir ein O und sage: In der Stille (Susanne Kaffka) - Hier ist dein Schatten weiß und unser Sommer nur geliehen (Maja Löwe) - Ich bin der Traum, den du nie träumtest (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Im Nebel der Ferne ahnt euch der Blick (Susanne Sörensen-Lohm) - In dem Spiegel hinter den Gläsern das ungenaue Ich (Jörg Nath) - In meinem Kopfflipper jagen Gedankenkugeln über die Spielfläche meines Gehirns, finden keine Löcher (Jörg Nath) - Manchmal nur einmal, vielleicht dann (Elisabeth Oltzen) - Meine Ungeduld, die hängt noch dort, an dem Haken bei der Tür (Marie von Kuck, Gästezimmer) - Mond im Watt. Es dunkelt die Bläue (Susanne Sörensen-Lohm) - Semprarte para que luego vuelvas (Jorge Campero, Gästezimmer) - Und wenn in der Ferne nichts als Ferne wär; jetzt geh ich mit (Andreas Oltzen, Gästezimmer) - Untergegangen in den regelmäßigen Sitzungen meiner Zeitfresser (Jörg Nath) - Verliert sich die Weisheit in den Winkeln unzähliger Realitäten? (Jörg Nath) - Worte, nicht gesagt, nur gedacht und dann vergessen (Elisabeth Oltzen) - Zuhause sein ist wie auf Reisen gehen, in die innere Welt (Elisabeth Oltzen)
But what if a woman were to appear to me in the night
Holding a child in her arms
And what if she were to say:
Take care of my child
I would reply:
How can I?
She would repeat:
Take care of my child
I would reply:
I cannot.
She would insist:
Take care of my child.
Then – then,
because I do not know how to do anything
And because I cannot remember anything
And because it is night –
I would stretch out my hand
And save the children.
Because it is night,
Because I am alone in another´s night
Because this silence is much too great for me,
Because I have two hands in order to sacrifice the better of the two
And because I have no choice
(Clarice Lispector) *
...schreibt Lyrik, Prosa und ist als Reisefotograf unterwegs (www.jacquesdulon.com/whats-new)
Alle Texte und alle Fotos auf dieser Lyrik-Seite sind von Jacques Dulon; außer: *
(Foto: Selbstportrait - Jinja, Uganda)
Gestaltung der Dulon-Seite: Felicitas Krüs, Auswahl der Texte: Jackie Dong
Gedicht des Monats: 2024, Juli
Konsequenter Dichter (neuer Text)
(inspiriert durch Frauke Krieger)
Wer Träume zu Wörtern verdichtet
und aus ihnen Gedichte verfasst,
sie anschließend wieder vernichtet
Der hat nichts...
aber auch rein gar nichts verpasst.
Dieser Mann der sieben Seelen
Foto: Fischland (Dulon)
Dieser Mann der sieben Seelen
Dieser Mann, der tut so heimlich
als ob er wüsste, was ich weiß
Er ist ein Blender - und mir peinlich!
Was nur weiter für mich heißt:
Er kann mich mal…! mit seinem ganzen Hokuspokus-Scheiß
Er sagt, er trüge schwer an sieben Seelen
Die Erste scheint ihm stets - als Lichtgestalt
Doch erzeugt s i e die Schatten, - die ihn quälen
Sie ist die Jüngste. Sie wird nicht alt,
und wie der Tod - strahlt sie: - weiß und kalt
Die Zweite... ist nun eigentlich keine Seele.
Sie ist Gefühl – das… zwischen allen Stühlen
liegt – und auch der Klos, - der fest sitzt in der Kehle,
und schwer wie stumme Worte wiegt! - Will er sie runter spülen
dann kann s i e sogar - auch noch - diese stummen Worte fühlen
Dieser alte Schwerenöter! Ja - er zählte nie bis drei
drum trägt die Dritte - keinen Namen
Sie liegt auf Eis - neben Seele Vier und Zwei
und ist die Jungfrau – seiner reifen Damen,
(die ihn erwählten – und mit sich nahmen)
Nummer Vier - trägt immer nasse Kleider
Sie verweint den ganzen Tag ihr Leid
Sie kennt nur Schwätzer oder Schweiger
und näht ihr bunt besticktes Hochzeitskleid
für den, - der sie aus diesem Leid befreit
Manche Seelen liegen hinter Friedhofsmauern
Seele Fünf kennt diese viel zu frühen Frieden,
die alle Kriege überdauern
Sie wird wohl selbst schon - unter weißen Kreuzen liegen
und würd´ so gern´ noch... leben - um zu lieben
Was soll ich von der Sechsten hier berichten...?
Sie ist der Künstler, - denn sie bricht
alte Worte - um sie neu zu dichten
Doch schöne Verse - kennt sie nicht
Seele Sechs - ist selbst Gedicht
In diesem Mann - wurd´ auch geboren
die Siebte! - Sie war sein Gift, sein Guter Gast!
Mit Macht durchströmt sie – a l l e Tiefen seiner Poren
bis sie ihn schließlich ganz umfasst
Seele Sieben war wie Luft, - die auch du - geatmet hast.
Das sagte dieser Mann – in seinem tiefen Raum
ungerührt – so dass ich durch seine Worte weiter leide
wie durch den Alpdruck schwerer Zeiten - in einem schlimmen Traum...
Als ich erwachte - ließ ich ihn stehen, denn schließlich - leben wir ja beide
auf den getrennten Seiten – einer Spiegelscheibe.
Die Vergessenen
Foto: Elbsandsteingebirge (Dulon)
Das Trockengewicht der Cumuluswolken im Spätherbst, Nr.1-8
(Pfälzer Wald, Dulon)
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille
Foto: Minden (Jacques Dulon)
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille
(eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)
Mein Himmelsschwarz in Sternenhallen
durchweht die Winterwelt aus Eiskristallen
Wo die Wetter - Wolken falten
Will Liebe leben – will dich halten
durch die Strenge dieser Nacht
Wer wartet hier? Wer hat entfacht?
Ein Licht, das leuchtet, das uns spendet
den warmen Schein der Hoffnung - der auch trügt
doch manchmal kleine Wunder – fügt, um zu zeigen:
dass ein stilles Licht - auch starke Leiden
lindern könnte, wenn es in uns – den Glauben fände…
So wie ein Mund, der freundlich spricht und sprechend lacht
wie Finger, die dir - durch deine Haare streichen
und wie die Bilder, die deinen Schlaf umsäumen
und weiter wandern - zu deinen Taglicht-Träumen,
bis hin - zu jenen finsteren Schatten, die nicht weichen
suchst d u den Schein - der S t i l l e n N a c h t
Er zertrümmert keine Felsen – bewegt kein Berggestein
Was groß ist, bleibt erhaben. Was winzig ist, bleibt klein
Er wässert keine Felder, erzeugt auch keinen Regen
Er kann sich nur ganz scheu - auf tiefe Wunden legen
Das Licht in dieser Nacht - ist ja das Wunder, das vergeht
sobald man wieder stark - auf den eigenen Beinen steht
Doch die, für die das Leben - keine bunten Blüten hat,
die den Kopf mit Sorgenschatten – halten in den Händen,
kann die Nacht wohl Lichter senden, die über dunkle Blätter tanzen
und sogar in welke Blumen - wieder zarte Kräfte pflanzen:
Was in uns stirbt – trägt manchmal schon – die e r s t e neue Saat
So wie der Blick den Blicken floh, - und ziellos immer weiter weht
der, der dich nicht meinte - und dem du - in dir auch Heimat gabst
weil er verloren schien, und sich - an keinen Menschen länger band
als er dich - ganz plötzlich - auf deiner Parkbank fand
Du sitzt auf ihr mit deinen Tüten – und weil du müde nun - zu träumen wagst...
hat dich dein fremder Engel - im S t i l l e n L i c h t der N a c h t - erspäht
Ein Wort als Trost zu sprechen - weil man liebt
für ein schweres Los, für das es Trost - vielleicht doch gar nicht gibt
ist nicht nur schwer – ist ganz unmöglich (ohne dieses Licht)
Doch mitunter glaubt man an ein Zeichen, das alle Einsamkeiten bricht
das alle Worte übersteigt... wenn es sich zeigt
und weil es strahlt – nur, wenn man schweigt
ganz ohne Wunsch, durch fremde Macht: - Ein erster Wille…?!
Zwischen Kirchturmglocken und dem Weihnachtsschenken
liegt unbemerkt auf Stadtpark-Bänken – schon fast vergessen: das Christusfest.
Und weil sich ein Mensch so müd´ geworden – auf jener Parkbank niederlässt
findet er - in sich allein - die H e i l i g e N a c h t der S t i l l e.
Farben von: Ferne
Foto: Les Ardennes (Dulon)
Farben von: Ferne (aus dem Zyklus: FARBEN)
(inspiriert durch das Gedicht von Andreas Oltzen: Jetzt geh´ ich mit)
Du bist mein Wanderbuch fürs Weiterreisen,
für das Innehalten auf den leisen Wegen
Du erstrahlst in den Farben von: Ferne
die sich auf meine Wege legen
Jetzt - geh´ ich gerne
Du bist mein Routenplan, wenn mich nichts mehr hält,
die Kometenschnuppe, die nur fällt – weil ich sehe
Du bist der Weg unter meinen Wanderschuhn
der immer weitergeht, solang ich weiter gehe
Jetzt - kann ich ruhn
Du warst die Wüstenblume, die nur einmal ihre Blüten zeigt
die keine Wurzeln in die Erde treibt – an keinem Ort
Du warst das Heimweh-Kraut, als ich an Fernweh litt,
Du kanntest meine Zeichen und gingst fort
Jetzt - geh´ ich mit
Unter Wölfen
(inspiriert durch Andreas Oltzens Gedanken über das philosophische Staunen)
Zwischen Gerüchten und den alten Geboten
jagen die Wölfe (was man noch jagen darf)
und reißen den im Zweifeln erprobten
Lauscher - aus seinem sonntäglichen Schlaf
Mit seinem gläubigen Geist - der nur mit Worten benennt,
seinem Wissen durch Denken - das alles erfasst,
erreicht er Erkenntnis, die kein Geheimnis mehr kennt
und dadurch - jedes Wunder verpasst
Denn nur dort, wo die Antwort ganz plötzlich verstummt,
ja selbst – alle Fragen scheinbar beiläufig verschwinden,
lässt sich schlussendlich der Grund
für das ursächliche Staunen finden
Drei Frauen (fliehende Erinnerungen)
Foto. Karlsruhe (Dulon)
Drei Frauen (fliehende Erinnerungen)
(nach dem Text „und jetzt ist alles“ von Jörg Nath)
Da liegen nun die ausgedörrten Felder
vieler Erinnerungen
gewässert mit zu vielen Tränen
Doch ihr Salz in den Furchen
verbrannte die Saat
und die Schollen
geronnenen Blutes
bedeckten meine
verwitterten Bilder
oder…
vielleicht war es auch ganz anders
und das Salz war kein Salz
und das Blut war nur Wasser
denn Liebe ist Liebe
und Falten durchziehen als Furchen
meine Seelenhaut
Du gingst im Frühling durch Kornblumen-Felder
mit ihren Blüten aus kornblumenblau
Deine Hose - benäht mit lustigen Flicken.
Die Feldbodenwege schimmerten regendurchweicht
unter deinen Sandalen...
Sie verklebten die schwerdunkle Erde
Doch ist es nicht alles ganz anders gewesen?
und die Kornblumen gehören einem anderen Traum
Du trugst keine Hose,
nur ein Sommerlichtkleid
auf brauner Haut
für meine spätere Sehnsucht,
die für dich so kusslos geblieben,
doch niemals vergessen -
obwohl die Zweite bald kam, die wirklich ganz Große
Ihr beide konntet damals nicht ahnen,
wohin ihr mich führtet - nach eurem Ende
Heute kennt meine Liebe - eure geheimsten Namen
Sie kennt auch den Preis,
den ich dafür zahlte
und jene andere
die bei mir blieb
Doch auch das ist schon wieder anders gewesen
denn groß war die Erste
mit ihren Bildern in Blau
und die Zweite begrub ich unter salzigen Schollen
vergaß zu vergessen - was immer es war
Heut´ spür´ ich die Saat der Kornblumen wieder
und küsse nunendlich
auf all euren Wegen
ihre zartbraune Haut
Ankündigung: Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Ankündigung: vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Küchengespräche
Beim Kaffeekochen sagtest du mir: „Ich geh! -
Ich werde dich noch heute verlassen!
Ich will nicht länger an unserer Liebe leiden
und möchte wieder auf eigenen Beinen
stehen.“ Wir tranken unseren Kaffee
aus den vergoldeten Sammeltassen.
Mittags, in der Küche beim Zwiebelschneiden,
da musste ich ganz plötzlich weinen
Der Schrei - Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen
Foto: Wolken über dem Greifswalder Bodden, Lubmin (Dulon)
Der Schrei
(Eine Variation zum Text "Nur ein Blick" von Elisabeth Oltzen)
Ich habe deinen Blick im Blick
Und plötzlich kommt dein Blick zurück
und baut die Brücken unserer Seelen
Ich habe deine Art im Sinn
weil sich die Blicke ähnlich sind
und schweigen können - wenn die Worte fehlen
Ich kann dein Lächeln plötzlich lesen
Es ist so schön geworden! – Ist es schon immer schön gewesen?
In meinem Blick – erscheint es neu
Du trägst auch Kummer - gut versteckt
ich hab´ ihn erst - in deinem Blick entdeckt.
Als er auf meinen traf – so zart und scheu.
Mit dem Geheimnis – das i c h bewahre
trennten sich die Augenpaare
und wurden - füreinander - wieder frei
Doch könnten wir mit Augen hören
ich hörte – ich könnt´ es auch beschwören
ganz sicher - einen leisen Schrei
Geheimnis des Alterns (Neuer Text)
(inspiriert durch das Gedicht: „Leere Seiten“ von Jörg Nath)
Es verflüssigt sich ja - an jeder knotigen Stelle
und fließt als ein breiterer Strom
zurück in die seeseitige Ozean-Quelle
wo niemand mehr lebt und keiner mehr wohnt
Dort zählt die Minute zwölf weitere Stunden
und jede von ihnen - wurd´ als Werk-Tag erkannt
Vielleicht hätt´ ich auch jenen einen gefunden,
der schon immer aus all meinen Jahren bestand
Doch konnt´ dieser Tag sich schon immer verstecken
unter rauschendem Wehen - der sprudelndsten Quellen
Ich wart´ eine Weile, bis die Zeiten dann lecken
aus den Zeigern der Uhren - in meine ur-eigenen Zellen
Die Eiche
(inspiriert durch Jörg Nath und seinem Text: „und in der Ferne stand ein Leben“)
Während das Lachen die Unschuld verschweigt
und für Sekunden einen Zauber entfacht
der sich - bis an den Rand meiner Zeitringe neigt
spür ich dem Schweigen einer uralten Eiche nach
Was sie in ihrer knorrigen Rinde bewahrt…?
nachdem sie den Zauber der Zeit vertanzte
und selbst die Winter der kommenden Jahre... bejaht
hinter den Ringen, wo sie sich verschanzte
klingt wie verwartete Zeit – ohne zu Warten
wie das Ziehen der Kreise zu weiteren Ringen
Das Hoffen gebrochen – bis hin… zu den lautlosen Taten
der Liebe: Die vielleicht... doch noch gelingen…?!
DER EWIGE ROMAN (DER EINE #2) (Neuer Text)
(nach dem gleichnamigen Gedicht von Jörg Nath)
Der Eine, der nur durch sich selber wirkt,
betritt die Bühne im Scheinwerferlicht und schweigt
Er, der hier unter vielen lebt – steht nun allein
hebt die Hand, die er leise nach vorne gestreckt - dem Publikum zeigt
Der Eine, der mit stockender Stimme zu lesen beginnt,
zeigt auf das Buch, das seine Seiten vermehrt
Zwischen den Deckeln der fliegenden Blätter
die er umständlich mit seinen romanhaften Worten beschwert
Er schreibt ohne Tinte, mit keuchendem Atem
Er kennt den Applaus (der selbst noch die Stille befällt)
Und ist der Roman dann zu Ende gesprochen,
alle Sätze entblättert, die die kraftlose Hand zwischen den Buchdeckeln hält…
dann betritt dieser Eine, der nur durch sich selber wirkt
die Bühne im Scheinwerferlicht, und… schweigt
Das ganze Theater
(Inspiriert durch das Gedicht „Der Eine“ von Jörg Nath)
...doch der Eine aber
der immer nur wartet,
der die Proben versäumt
und seine Texte vergisst
dem du all deine Namen gabst,
den du misstrauisch beäugst,
weil er in seinem Garten
die Blumen heimlich begießt.
Er bleibt wie er ist,
hinter all seinen Masken,
die sich täglich verändern.
Schau – wie er seine Hand plötzlich hebt...
Dieser Eine wird sprechen,
wenn der Vorhang fällt
und sich im halbdunklen Saal
die Premiere verlängert...
Schnitter und Schneider
Immer war mir jenes kleine Wäldchen lieb
das sich mit seinen scheckig scharfen Scherben
bis über den Horizont hinaus verschiebt
um alle Wetter bunt zu färben
Ich weiß, was des Waldes Blätter treiben
und gebe ihrem Leben Sinn und Halt
durch einen Ast mit vielen Zweigen
der zu einem Baum gehört - im Wald
Was meinem Blick verschlossen... Bleibt!
weil ich es will und kann und glaub´
Ich bin der Schneider für das frische Frühlingskleid
und als Schnitter feg´ ich das herbstlich welke Laub
Im Namen der Schönheit (durch das Gewühl der Jahrzehnte)* (Neuer Text)
Im Gewühl der Jahrzehnte erwähnte
der Dichter, er ertrüge es kaum noch
nur Zwietracht zu sähen,
denn sie fülle ja doch nur
jeden weiteren Krug mit fremdvollem Leid
Und jede Schlacht wird zur Schlechtigkeit
als lyrisches Wort; nicht aus Berufung;
nur so zum Spaß, im Spiel und aus Spott oder sport-
lichen Gründen, die doch alle irgendwann
in dieselbe Hässlichkeit münden
Drum sei er aus Einsicht (!) zur Schönheit gelangt.
Er wolle sie fortan nur noch verehren
und zukünftig all jene zwielichtigen Plätze zu meiden
versuchen, die - für ihn reserviert - nun auf andere Gäste warten
müssen - dort… im Schweigen zwischen den Stühlen
Und so frohlock´ ich seitdem,
verstockt! - Und bequem´ mich
durch die Enge meiner eitlen Gefühle,
die ich, durch mein Schreiben, nachhaltig deformiere
und sie dadurch, im Namen der Schönheit, zensiere
*(ein Ausdruck von Jörg Nath)
Das Wüstentier (DER SOHN V)
Foto: BANK AM MEER - Lübeck, Dulon
Das Wüstentier (DER SOHN V)
Am Anfang wird ein Tier geboren
Mutterlos verstockt, verloren
aus einem Wort, das dich erreicht
und fortan - nicht mehr von dir weicht
Geboren wurd´ es um zu sehen
Nicht - um das Leben zu verstehen
So sah dein Aug´ den neuen Tag
der sich noch scheu vor dir verbarg
hinter alten Trieben, die verbrannt
sich brechend bohrten - durch den Verstand
Wer führte dich? Wer schlief bei dir?
Wer sah in dir das Wüstentier?
(siehe SOHN I)
Verregnet sind des Reiters Wolken
Der Himmel hüllt sich tief in Grau
Die Schimmel, die dich führen sollten
täuschten dich – wer weiß genau,
ob Väter wieder Söhne werden
und Söhne vor den Vätern sterben
Es wehten Feuer durch die Nacht
Die Kämpfe deiner eignen Schlacht
Zwischen “Gott ist tot” und “Gott verfluche”
begannst du - ohne Not mit deiner Suche
Wer war bei dir? Wem gabst du Schutz?
Wen hast du einfach ausgenutzt?
Du warst zu schwach, zu widerstehen
Du wolltest nicht zu Grunde gehen
Mit deinem Wort und allen Schwüren
musstest du dich selbst belügen
Wer dir verzeiht, fleht selbst um Gnade
Wer dich erkennt, wählt deine Frage
(siehe SOHN II)
Das Klopfen an den tausend Türen
zog dich nur tiefer in den Dreck
Du konntest ihn in Straßen spüren
und hast dich dann mit Schlamm bedeckt
So hast du deine zweite Haut
zum Schutz aus Straßenschmutz gebaut
In dir pocht noch Lebensglut
- kraftlos zwar und ohne Mut -
Doch bleibt dir wohl der alte Schein
der dich lehrt – nicht laut zu schrein
Wer immer deine Schritte lenkt
kennt Lüge, Liebe - als Geschenk
Was dir hilft – ist nur noch leise
Du bist so lang schon auf der Reise
die dich nicht näher zu dir bringt
weil jeder Schritt im Sand versinkt
Hat dich die Tiefe nur erschreckt
weil dich der Sand bald ganz bedeckt?
(siehe SOHN III)
Der Fährmann fuhr den Fluss hinauf
mit den Schatten auf dem Deck
Für dich klang es nach Lebenslauf
wie ein Schrei, der dich nicht weckt
und dennoch deine Träume stört
Wo lebt das Bild, das dir gehört?
Langsam zog dein Lebensstrom
durchs Uferland – noch dünn bewohnt
mit Früchten auch an fremden Quellen
Wer lebte an den Wasserstellen?
(die dir als Gast wie Heimat waren)
Warum musstest du noch weiterfahren?
Du lebtest schnell - doch ohne Ziel
du wusstest nichts und sagtest viel
Jetzt hat dein Leben dich gewendet
Du stehst am Anfang, wo es endet
weil du vergisst - dich zu verfluchen
und aufhörst - einen Sinn zu suchen
(siehe SOHN IV)
Unter weiten Sternenbildern
wolltest du die Liebe zähmen
und mit ihr durch Nächte wildern
nach dem Ruf in deinen Genen
aus Täuschung, Lust und Lebensgier
weiterleben – wie ein Wüstentier
In deinen Ohren – Krähenschrei
deine Augen zählen drei
schwarze Vögel auf dem Ast,
der sich bewegt durch diese Last
Ein wenig Schnee fällt wie ein Wehen
von dem Ast der schwarzen Krähen
Was Orpheus sah? Den Hermes nur? *
und neben ihm: die dritte Spur
führt wohl hinab aus diesem Leben
Ein Vogel fliegt dem Gott entgegen
Frierend bleib ich´ - leicht gebückt
mit nur zwei Krähen hier zurück
* vgl: „Orpheus, Eurydike, Hermes“ von Rilke
Scherben und Kreise (bis an den Rand)
Foto: Vendsyssel-Thy - Jacques Dulon
Scherben und Kreise (bis an den Rand)
(Eine Verbeugung vor Pablo Milanes und seinem Lied „Yolanda“)
Dies Lied kann nicht mehr sein - als ein kleines Gedicht
obwohl ich wünschte, es wäre - ein Schwur, der nicht bricht
auf die gebrochene Liebe, die keine Rücksicht mehr nimmt
die nichts mehr verspricht, wenn alles - von vorne beginnt
Ich trag´ diese Liebe - als mein kostbarstes Kleid.
Sie reicht an den Rand - meiner endlichen Zeit
Wärest du nicht bei mir, stürbe ich nicht aus Gram
Doch begänne mein Sterben, auf einer (recht) mühsamen Bahn,
dann wünschte ich mich - in deine Arme zurück
in denen ich fand: Mein ursprünglichstes Glück
Sie tragen ein Geheimnis, das ich in mir bewahre
Es reicht an den Rand - meiner letztlichen Tage
Wenn ich dich jetzt sehe, spür´ ich die Kraft, die verzeiht
die aus den Schichten der Angst, mich wieder befreit
Du entkleidest mich wortlos - ohne mich zu beschämen,
aus liebender Lust - mit trauernden Tränen.
Sie tragen keine Grenzen, nur Scherben und Kreise,
die ich für dich ziehe - bis an den Rand meiner Reise
Doch kommt jener Tag, der mich für immer besiegt
mit der Sonne am Morgen, die vor der Nacht in mir flieht
dann sing´ ich das Lied, das du mich einst lehrtest
als du mich das erste Mal - so zärtlich begehrtest,
als sprächest du leise - dein tiefstes Gebet,
für den Rand, an dem jeder - einmal nur steht
Künstler interpretieren Dulon
Nicholas McDonald interpretiert: Linda *
Reiner Schubert interpretiert: Im Schatten junger Frauenblüte (Der Maler) *
Mein Liebeslied für Dich *
Der schlimme Mann *
Banksy
Elisabeth Oltzen interpretiert: Dein Nicht-Nein **
Dieser seltsame Reiter (Der Sohn I) ** ***
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille **
Hertz-Bande interpretiert: Welches Wort +
Marie von Kuck interpretiert: Schatten auf Wände
Für mich war nur der Herbst bestimmt
* nicht (mehr) auf dieser Seite
** Elisabeth Oltzen - Lübecker Lyriktreff (luebeckerlyriktreff.de)
Banksy - Musik und Gitarre: Reiner Schubert
Foto: Leipzig (Dulon)
Banksy
(Mahner, Dichter und Humanist in einer dekadenten Zeit)
Der größte Poet malt seine Zeichen
- wenn er über das Menschliche schreibt -
direkt auf die Mauern unserer Zeit;
nicht fragend – Wen... kann ich erreichen ?
Wissend, - dass wir in diesen Trümmern erblinden,
im Abfall ersticken – ist auch er - vom Staub schon bedeckt
und malt seine Verse - direkt auf den Dreck,
wie... Gebete, - denn nur dort können wir finden
was wir – schon in uns gesucht – doch niemals gefunden.
An den Abrisskanten von unseren Städten
- mit ihren offenen Adern, ihren nicht heilenden Wunden -
gelingen ihm Bilder, hier sieht man ihn beten
diesen heimlichen Mahner, diesen... ganz großen - Poeten
Schatten auf Wände (interpretiert von Marie von Kuck)
Foto: Schatten auf Wände, Berlin (Dulon)
Schatten auf Wände
(Eine Verbeugung vor Alda Merini und ihrem Text: E poi fate l'amore)
Und dann... - dir die Liebe schenken
Die gemeinsame Liebe, nicht den einsamen Sex
bei dem sich die Körper - nur kunstvoll verrenken
verkleben - doch nie etwas zusammenwächst.
Ich sah dich verletzt - vor der Häuserwand leben
und ich - saß daneben
Die tastenden Küsse - zuerst nur mit Blicken
Augen in Augen getaucht, - die Geschichten erzählen
Vom Hoffen und Hadern und - Weiterschicken
durch dein dunkleres Reich - in dem Geheimnisse quälen
Deine Stimme gebrochen - von einem lautlosen Schrei
Meine, die schwieg – Verzeih!
Bis meine Hände dann lernten - von deinen Augen
so zärtlich zu küssen, als würden - dich Federn berühren
frei von der Gier, sich mit roher Gewalt – an dir festzusaugen
denn sie können nichts halten – nur streicheln, dich spüren....
Deine Schatten gesehen, - die wie alte Tapeten
in fröhlichen Fetzen - im Frühlingswind wehten?
Was den Händen geschenkt, - auch den Lippen gelehrt:
Deine Schultern zu küssen, - deine Arme und Brüste
ohne dass deine Seele sich mit den bleiernen Bildern beschwert
und ertrinkt in den Fluten - einer längst verlassenen Küste
Kannten denn Steine - das Gewicht deiner Schwere?
Kannte die Luft – deine innere Leere?
So erkunden die Seelen - auch die geheimsten Gezeiten
an steinlosen Stränden, - mit den weicheren Wellen
auf denen ihre Schatten über die Wasser reiten
und sich ihre Tiefen - für Sekunden erhellen.
Doch als die späteren Winde - dich von der Häuserwand rissen
Wusste ich plötzlich – Ich werd´ dich vermissen.
Das war unser Leben! - der Liebe Geschenk!
Was konnten wir retten? Was wurd´ uns verwehrt?
Und warum ich noch immer - manchmal - an dich denk…?
Deine Liebe hat mich - wieder lieben gelehrt.
Auf die Häuserwand fällt - mitunter - ein flüchtiger Schein
Ich erkenn´ meinen Schatten – Er sitzt dort allein
Horen - die beiden Reiterinnen
Ich ritt mit ihr durch heitere Sommersonnenwinde
als mich noch keine Sorgen, Ängste quälten
Sie führte mich, dass ich die rechte Richtung finde
und versprach mir wohl - die schönsten Liebesschätze
Wir wussten viele - glanzbezogene Nebensätze
und trugen Minen, die etwas Wichtiges erzählten
Dann traf ich auf jene dunkle Reiterin
der Winterzeit, mit den langen, trostbefreiten Leiden
Auch sie wurde mir die treuste Weg-Begleiterin,
schweigsamer als ihre Schwester, was mich zuerst noch störte
auch weil sie scheinbar all meine Klagen achtlos überhörte
Doch der bess´re Freund - war diese Zweite von den beiden
Verspielte Liebe
Foto: Straßenbild in Berlin
Melancholien
Südwärts - mit dem Norden in mir (eine Verbeugung vor Ramses Shaffy)
(zwei Regen)
Spür´ wie zwei Regen
mich überziehen
zwei bittersüße
Melancholien
Sonnet about a Poet
(inspired by Iryna Sorokovska)
Seemingly fingers dig lines on my face
not knowing about yesterday´s sorrow
and the upcoming grief for tomorrow
so – whatever they do: It isn´t my case
I saw this carved masquerade in broken windows
asking myself – is it me? - or someone nearby ?
The wrinkles gave answer or at least they try
to sketch the secrets of life - I won´t show
Intoxicated by the blood of a poet
I found some words perhaps close to the truth
and forced myself to pretend: I know it
but I couldn´t catch never the wisdom I´ve used
Only the last one remains untouchable save
`cause it has started already digging my face
Gesichter eines Dichters
der Versuch einer „sehr freien“ Nachdichtung von meinem Text „Sonnet about a Poet“
Anscheinend graben Finger Falten in mein Gesicht
die nichts von mir wissen - von meinen gestrigen Sorgen
und meiner zukünftigen Trauer - vielleicht schon von morgen
Was immer diese Linien bedeuten - sie kennen mich nicht
Ich sah dies Gesicht in den Gläsern zerbrochener Scheiben
und konnt´ nicht verstehen, wen ich dort sah
mich selbst ?- oder nur einen Menschen, der mir ähnlich war
und den anderen täuschte ? – Oder war ich keiner von beiden?
Das Blut eines Dichters berauschte das Denken
meiner wortreichen Seele aus fremden Gefühlen
die mir bis heute – die schönsten Verse schenken
Ich schrieb´ sie ohne zu wissen - zwischen den Stühlen
frei von Erfahrung, ohne Verstand, und weiß nur zu sagen,
dass unsichtbare Finger – Linien in meine Gesichter graben
Brandgeruch
(Inspiriert durch „A une passante“ von Charles Baudelaire)
Betäubt von der Straße, von ihrem Gebrüll
seh´ ich im Nebel zwei Beine flanieren
die an mir vorbei durch den Morgen spazieren
hin - zu den Reklamen für den zukünftigen Müll
Diese Beine wurden ganz sicher Statuen entrissen
der Venus vielleicht - oder der Pallas Athene
Nicht passend dazu - die kommende Szene:
Wie Bettler - ganz ungeniert - in den Rinnstein pissen
Ich blicke in das Gesicht dieser griechischen Frau
und weiß sogleich, warum ich sie kannte
Doch wer zu viel weiß, der wird nicht mehr schlau
und sieht in Gedanken, dass selbst Troja brannte
Drum schließ´ ich die Augen, um sie zu vergessen...
Ich hab´ doch im Grunde – auch ganz andre Interessen!
Lustige Leichen
(inspiriert durch Susi Kaffka)
Letzte Nacht hast du mir alle Scherze zerbrochen
in kryptische Teile! Doch ich habe sie wieder zusammengeklebt,
mit Frischluft beatmet (sie haben etwas stark nach Friedhof gerochen)
und sie anschließend erfolgreich wiederbelebt
Könnte ich mir jetzt noch einen neuen Humor besorgen...
Meinen alten hattest du zwischen die Todesanzeigen gelegt
um ihn im Container für Wertstoff-Leichen zu entsorgen
- weil ihn, wie du meintest, sowieso keiner versteht -
Ja, dann hätte ich es – wirklich faustdick hinter den Ohren
Wäre ein gar lustiger Schalk, der fröhlich seine Bierrunden zieht
Dann klänge ich nicht so vereinsamt, hilflos und verloren
als ob neben mir eine weitere Leiche auf dem Totenbett liegt...
Ich würde sogar - mit dir gemeinsam – nur kurz zum Schmunzeln
in den Keller gehen, ganz leise - und – natürlich im Dunkeln
silberne Sonnen
Foto: DAS PAAR, Porto (Dulon)
Nur ein Sammler
Foto: AN DEN HIMMEL GEHÄNGT, Berlin (Dulon)
Krieg und andere Grausamkeiten (Texte gegen die Barbarei)
Unpassende Fragen
Ist Verbrechen als Rache für Verbrechen kein Verbrechen?
Ist Leid durch Rache für Leid kein Leid?
Ist Folter als Rache für Folter keine Folter?
Ist Mord als Rache für Mord kein Mord?
Ist Rache als Rache für Rache keine Rache?
Ist Zerstörung als Rache für Zerstörung keine Zerstörung?
Ist Hunger durch Rache für Hunger kein Hunger?
Ist Krieg als Rache für Krieg kein Krieg?
Ist Terror als Rache für Terror kein Terror?
Wird Rache als Rache für Rache zum Recht?
21st.Century Soldier (Neuer Audio-Text)
Foto: Im Kreuzpunkt der Parallelen, Berlin (Dulon)
21st.Century Soldier (neuer Text)
Streetwalkers are everywhere
Streetwalkers at the Plaza-Square
Streetwalkers in Medina-Street
Surround my car
Where I try to meet
My China-Girl in the Cocktail-Bar
Sharpshooters I know them all
Sharpshooters behind the wall
Sharpshooters at my back
Behind the tree
And on the upper deck
For every place to find an enemy
Dead bodies - but we have fun
Dead bodies - peace will come
Dead bodies - in the schoolkid-bus
Blasted by a bomb
But not yet for us
Is this street bound tomb
(inhaltliche Übersetzung)
Soldat des 21. Jahrhunderts
Passanten - seh´ ich überall
Passanten - auf dem Plaza-Square
Passanten - in der Medina Straße
umlagern meinen Wagen
mit dem ich versuche, die Cocktail-Bar
zu erreichen, wo mein chinesisches Mädchen auf mich wartet
Scharfschützen – ich kenne sie alle
Scharfschützen, - die, hinter der Mauer
Scharfschützen, - hinter meinem Rücken
und hinter dem Baum
und in der ersten Etage,
die nach einem Feind Ausschau halten
Überall Leichen – aber wir haben Spaß
überall Leichen – Der Frieden wird kommen
überall Leichen – in dem Kinderschulbus,
von einer Bombe in die Luft gesprengt
Aber noch ist dieses
Straßengrab nicht für uns bestimmt
19-84
(Eine orwellsche Zeitreise durch einen paranoiden Traum, nur - um die Wirklichkeit zu erreichen)
Eine Verbeugung vor Hannes Wader
20-24; Im Sommer: Regen! Doch es wird heißer
Deutschland wählt auch weiter rechts
Bayern wird nicht Deutscher Meister
der Deutschen Wirtschaft geht es schlecht
Frankreich wählt ´ne Präsidentin
weil sie ganz plötzlich wählbar scheint
Sie war die Delinquentin,
die stets die Messer schärfte - vom Schafott
Jetzt trennt sie nicht nur alte Zöpfe
sondern vom Rumpf auch gleich die Köpfe
20-34, Russland will in die E.U
Die deutschen Grenzen bleiben geschlossen
Deutschland stimmt dem Drexit zu
So wird der Ausstieg dann beschlossen
Der deutscher Winter: ohne Schnee
der ging wohl schon als Regen nieder
Die Sachsen wählen AFD
sie wollen nun auch Schlesien wieder
Doch Ungarn hat sich knapp entschieden
und ist in der E.U. geblieben
20-44; Trump Junior wird nun Präsident
doch mit einem knappen Vorsprung nur
ob man seinen Vater wohl noch kennt
Er schuf in die erste Diktatur
in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Bayern gründen einen starken Bund
mit Österreich - als k.u.k.,
(Die E.U. war für sie schon immer viel zu moribund)
Auch Südtirol strebt nun nach Wien
Es wird im Süden seine Grenzen ziehn
20-54; Spanien ist nun ganz zerrissen
verflucht von Feinden und gemieden
Im Osten haben sich die Basken festgebissen
um ein wirklich großes Reich zu schmieden
- zwischen Barcelona und Bordeaux!
Die E.U. kämpft auf verlorenem Posten.
Madrid liegt schon am Boden und ist k.o.
Die E.U. übernimmt die hohen Kosten
Doch diesmal will Paris nicht zahlen,
verbündet sich mit dem Volk der Katalanen (und schmiedet heimlich Pläne gegen Flamen)
20-64, Tesla kauft den Mond – und will auf der dunklen Seite Strafanstalten bauen
Huawei besetzt Süd-England, das für die Schulden von King Harry haftet.
Der lässt sich auf dem Kapitalmarkt von Dubai auch noch sein Schottland klauen
Deutschland hat den Drexis niemals ganz verkraftet
und muss wohl wieder mal ein Bundesland verkaufen
Nun soll es aber nur Ost-Pommern und Nord-Schleswig sein
Die Dänen und die Polen wird man wohl einfach überlaufen
denn sie führen gerade Krieg mit der Börse von Bahrein
In der Schweiz hat jemand den letzten Geldschein von einer Lotterie gewonnen
doch dafür kann man schon lange keine Kryptos mehr bekommen...
20-74, die E.U. besteht nur noch aus dem Kernland um den Kölner Dom
und südlich von Palermo liegt ein Rest-Europa als Enklave
Dort, wo schon seit vielen Jahren kein Mensch mehr wohnt
Das neue Flugschiff hoch zum Mars, wurd´ benannt nach einer alten, unbekannten Sage
in der ein Mann den eigenen Vater blind erschlägt und seine Mutter dann begehrt
Der eurozentristische Bürgermeister von Wien wurde hingerichtet - für seinen verbotenen Wahn
Er hatte sich beim chinesischen Präsidenten zu lautstark beschwert
über den Rassismus jetzt in Afrika, da er dort über keine Grenze mehr kam
Die amerikanischen Staaten haben sich nach ihrem Zusammenschluss wieder voneinander gelöst
weil man sich über die Achsen-Frage nicht einigen konnte: Wer gut ist und wer bös?
20-84, ich erwache aus meinem hundertjährigen, orwellschen Traum
und sehe, dass ich nun in der orwellschen Wirklichkeit lebe
Ozeanien führt noch immer Krieg - diesmal um die dickbusig gezüchteten, eurasischen Frauen
die die klügsten Kinder gebären - für die modern-urbanen Mega-Städte
in denen es keine Eltern mehr gibt, und die bei der Aufzucht auch keine Liebe mehr brauchen
Diese Kinder lernen schon früh, Steine zu werfen und richtige Feuer zu entfachen
In den eiskalten Winden der Betonwüsten sieht man sie einen guten Tabak zu rauchen
Dieses Kraut enthält einen Stoff… zum Träumen, Reisen, Beten und Lachen
ohne den man in dieser Welt wohl weder überleben kann - noch weiterleben mag
Und dann klingelt der Wecker und ich erwache im Jahre 20-24 an einem Juni-Tag
auf der Wiese liegend… die nass ist vom Regen oder meinem Schreien und Weinen
Neben mir erklären sich zwei junge Menschen mit vor Stolz geweiteter Brust -
die rein äußerlich gar nicht wie die bekannten Idioten erscheinen
„Wir werden diese Scheiß-E.U. mit unserer größten Lust
schon noch rechtzeitig in Schutt und Asche legen“
Ich höre die Zukunft und sehe zurück auf meine geträumten Visionen.
Die Jungs grüßen mich freundlich, um mir ein Partei-Fähnchen zu geben
und erklären dabei: „Wir kämpfen für ein Europa aus vielen, getrennten Nationen“
„Ja“, sage ich, „von dort komme ich gerade… und ich habe euch rauchen gesehen“.
Sie schauen mich an – und ich weiß: die beiden können mich nicht mehr verstehen.
Rückblicke, Einsichten und Dank
Eure Favoriten unter den Dulon-(Audio)-Texten, (Entstehungsjahr des Textes)
Gesamter Zeitraum 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
2. Mondschattenbilder (2014) *
3. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)
4. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
5. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
5. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
7. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *
7. Der Schrei (2023)
9. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *
10. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) *
11. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) *
11. Vollmond (Eine alte Liebe) (2012) *
13. Ja, so ist sie... (1981) *
13. Mein sprachloses NEIN (2023) *
15. Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) (2022) *
16. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) *
16. Kurze Zeiten der Liebe (1981) *
18. Pastorale (Die Heilige Nacht der Stille) (2023)
18. Tajuras Lied (2022) *
2021 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
2. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *
3. Linda (2005) (Musik: Nicholas McDonald) *
2022 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
2. Mondschattenbilder (2014) *
3. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
2023 1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)
2. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
3. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und Warum ich dich liebe) (2023) *
2024 1. Der Schrei (2023)
2. Farben von: Ferne (2023)
3. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023)
Oktober 2021 1. Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) (2021) *
November 2021 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
Dezember 2021 1. Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) (2019) *
Januar 2022 1. Die Poeten (2020) *
Februar 2022 1. Mein Liebeslied für Dich (2021) (Musik: Reiner Schubert) *
März 2022 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
April 2022 1. Hey Jim (Sunset over Zanzibar) (2010) *
Mai 2022 1. Der schlimme Mann (2022) (Musik: Reiner Schubert) *
Juni 2022 1. Tajuras Lied (2022) *
Juli 2022 1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
August 2022 1. Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) (2022) *
September 2022 1. Mondschattenbilder (2014) *
Oktober 2022 1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *
November 2022 1. Ballade vom Wein in Aveiro (2017) *
Dezember 2022 1. Geheimnis vom Fliegen (2020) *
Januar 2023 1. Im Turm der Dichter (2022) *
Februar 2023 1. Im Turm der Dichter (2022) *
März 2023 1. In meinen Straßen (Gegend namens Glück) (2006) * // Ja, so ist sie (1981) * // Mit der Zeit (2011) *
April 2023 1. Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) (2023) *
Mai 2023 1. Kurze Zeiten der Liebe (1981) *
Juni 2023 1. Der Wikinger (2022) *
Juli 2023 1. Ganz in deiner Nähe (Eine Frau unterwegs) (2022) (Nachdichtg.v."A solo un paso de aqui", C. Puebla) *
August 2023 1. Sizilianische Wanderungen (2023)
September 2023 1. Schatten auf Wände (2023) (interpretiert von Marie von Kuck)
Oktober 2023 1. Verspielte Liebe (2004)
November 2023 1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
Dezember 2023 1. Scherben und Kreise (bis an den Rand) (2023)
Januar 2024 1. Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille (2023)
Februar 2024 1. Nur ein Sammler (1983)
März 2024 1. Ja, so ist sie (1981) *
April 2024 1. Dieser Mann der sieben Seelen (2024)
Mai 2024 1. Für mich war nur der Herbst bestimmt (2001)
Juni 2024 1. Nur ein Sammler (1983)
Juli 2024 1. -
* Audio-Texte nicht mehr auf dieser Seite, ~ ein Tschüß für alte Freunde.
Für mich war nur der Herbst bestimmt (Marie von Kuck interpretiert Dulon)
Foto: Rhön (Dulon)
Ankündigung: November im April - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Traumpfade
Sizilianische Wanderungen
Sizilianische Wanderungen
(nach Motiven aus dem Gedicht „L'après midi d’un Faune“ von Stéphane Mallarmé)
(Prolog)
Beim Wandern am Etna überkam mich der mittägliche Schlaf
als ich mich - erschöpft unter Rosen – in den Schatten legte
Ich träumte einen langen, erotischen Traum – so dass die Erde erbebte,
Risse bekam, sich auftat und mich in ihre Felsspalten warf
Ich fiel – oder war es ein Schweben durch paradiesische Zonen? -
Bis ich schließlich erwachte - auf einer Wiese im Wald
von Kiefern umgeben, schon knorrig und - urzeitlich alt
Dazwischen tanzten Najaden, die seit ewigen Zeiten an Seeufern wohnen
Sie sangen und spielten auf seltsamen Flöten
Melodien nie zuvor gehörter Lieder - vom waldbeherrschenden Pan
Tanzten dabei mit ihren nackten Gliedern - ganz ohne Scham, ohne zu erröten
als sie mich ausgestreckt im Gras liegen sahen
Doch schon beim nächsten Ton - waren sie ganz plötzlich verschwunden
Da - wo sie eben noch tanzten, hab´ ich nur - ihre Flöte gefunden…
I (Verwandlung des Wanderers, Erwachen als Pan)
...all diese Nymphen! Ich möchte sie in mir bewahren
Ihr Licht mit Stoff bekörpern, bis die Luft dann schwingend tanzt
Will ich hin zu ihnen - durch die dunstigen Zonen meiner Träume fahren
Ganz!
Haben sie mich nur im Schlaf verlacht?
Meine Zweifel durchdringen die inneren Schichten auf der anderen Seite der Nacht
und erblicken in den feinen Ästen, die mir als Zeichen bleiben
hölzerne Fasern, die sich immer feiner verzweigen
Für meinen Mut – damit ich es wage, auf Rosen zu wachen
Überall dort, wo in mir noch die Stimmen der Nymphen lachen -
Da explodieren meine überspannten Sinne zu einem fehlgeleiteten Scherz
und meine Sehnsucht, die schon meine erwachenden Augen schmerzt,
bilden so keusch - die Quelle meiner zukünftigen Taten und Sorgen
wo die klarsten Wasser noch warten - in den dunkelsten Tiefen verborgen
Ich will die warme Sommerluft abstreifen, die sich in meinem weichen Fell verfängt,
mich bewegungslos, apathisch hält, mich ermattet und mich zur Ohnmacht drängt
und immer wieder zu ersticken sucht.
– Dann denk´ich an die Strahlen einer neu erwachenden Morgenröte
die vom Plätschern des Baches begleitet – zu den Tönen meiner frisch geschnittenen Flöte
den Wald mit Akkorden bestreut
und mich mit Melodien erfreut…
II (Erste Erinnerungsbilder – Überkommende Wollust)
Doch nun hat sich der trockene Regen in meinem Instrument verfangen und alle Wolken gedreht
bis zum Horizont - ohne dass sich noch ein Blatt an den Zweigen bewegt
Nur unsichtbar und künstlich leise höre ich durch meinen Wald weiter die Töne einer Flöte ziehen
Zarte Gesänge längst vergessener Melodien:
Die von den Sumpfgräsern erzählen - an einsamen sizilianischen Küsten
als ob sie etwas von dem leicht übersättigten Dunstlicht wüssten,
das stillschweigend von funkelnden Blumen am Meer erzählt
- und wie ich das Schilfrohr für meine Flöte gewählt
- und ich für die glasige Ferne der Felder den Goldstaub fand
- und ihn mit dem Grün der Reben am Brunnen verband
- und wie ein ruhendes, weißes Tier als Welle auf dem Flusswasser lag
- und mir zur Geburt meiner Flöte seine Melodien übergab
- Waren es Schwäne? Sie glichen den nackten Najaden
- Tauchten und zeigten sich mir - verlockend beim Baden...
Stilles Verlangen fiebert wie wild und zeichnet die Stunde
ohne zu benennen, die klaffende -niemals ganz heilende- Wunde,
die ich verfluche
Allein mit den Wünschen, für die dringendste Suche
brennt in mir Blut, das ein Feuer entfacht
mit uraltem Schein – im keg´ligen Schacht
Steh´ ich aufrecht, um euch wortreich zu bitten
für einen nichtssagenden Kuss auf stöhnenden Lippen
die jedem Treulosen erklären, was Treue wohl ist
Auf meiner Brust bluten Beweise für einen zu tiefen Biss
Geheimnisvolles Zeichen von einem scharfen Zahn
doch noch geheimnisvoller - ist eure Macht - über meinen Wahn
Eure Zartheit unter den azurblauen Dächern des inneren Glücks
Zwischen den Schenkeln mit den flink springenden Zungen - und wieder zurück
Träume ich weiter, wiederhole das Spiel
der Schönheit zum Trost, der Lust - zum göttlichsten Ziel
Gefälscht sind die Schwüre der leichtgläubigen Lieder
Ich moduliere sie neu und singe sie wieder
Zwischen meinen Träumen der Ohnmacht, auf verbotenen Wegen
will sich mein Blick mit geschlossenen Lidern - auf eure Körper legen
Dort spür´ ich die Linien meines eitlen Verlangens
III (die Najade Syrinx)
Ich erspähe die Syrinx, doch groß ist mein Bangen
Denn jungfräuliche Najaden warten doch nur - um göttlich weiterzublühen
bereit für die Flucht! - Wird sie auch vor mir durch ihre Schilfgräser fliehen?
und wie auf alten Gemälden ihren Gürtel ablegen?
im Schatten des Waldes auf ihren ureigenen Wegen
Ich saugte die Trauben der verwegensten Träume
zurück bleiben nur Bilder im Schatten der Bäume
bei verblassenden Sternen...
- Ich betrachte das helle Sommerzelt
und verwarte die Zeit, bis mich die Nacht überfällt
Betrunken vor Glück, werd´ ich mich an ihrem Leuchten berauschen
Und den Melodien ihres Körpers in meiner Flöte lauschen
- Mein flehendes Auge sucht dich im Schilf, (wo du an mich denkst)
- und unter dem Wasser, in dem du dein Glühen ertränkst
- mit einem Schrei, wohl zwischen Wollust und Stöhnen
- Der mächtige Wald - erwidert ein Echo, um mich zu verhöhnen
- Ich steh schon mit Füßen in deinem gräsernen Reich,
- das mit den schwimmenden Haaren den Gräbern ertrunkener Najaden gleicht
- So hab ich verletzt - deinen Willen, wie meine Füße es zeigen
- Dein Schilfrohr gebrochen, achtlos zertreten! - Musstest du leiden?
- War meine Eile zu groß, um dich zu entblättern?
- Hat meine Hand dich gehalten - nur um dich zu zerschmettern?
- Mit roher Gewalt, von der die Rosen nun singen
- wenn ihre Dornen wie Dolche, dir bis in deine Herzbahnen dringen
Ich bete dich an und bitt´ um Verzeihung
An deinen Körper gefesselt – suchtest du die Befreiung
gemäß deinem Schwur, den du der Artemis gabst
Ich wollte dich halten - als du in meinen Armen lagst
So göttlich dein Wollen, so menschlich mein Plan:
Versagten wir beide - und leiden daran
Wütende Tränen treiben den Nebel über silbrige Seen
- Stehst du an den Ufern, dann lausche den Feen
- Sie singen noch immer das traurige Lied
- Von der gebrochenen Flöte, (das durch meine Baumkronen zieht)
- Vom Scheitern der Menschen auf dem göttlichen Pfad
- Wo sich göttliche Schönheit mit menschlicher paart
- entsteht eine Hölle, in der keiner regiert
- keiner gewinnt und in der jeder - alles verliert
- Die Nymphen am See gedenken der Frauen
- die seit uralten Zeiten den Göttern vertrauen
- Und ich denke an dich und verfluch´ das Gesetz
- das mit göttlicher Allmacht die Menschen verletzt
IV (Ernüchterung und neue Pläne – Etna, Hephaistos´ Tochter)
Schade um uns – doch ich werd´ mich verlieben
wieder und wieder werd´ ich zu dem, - der in mir geblieben
ist - und nun überall lebt: Im Wald, an den Küsten und auch in den Sümpfen
Dort warten auf mich noch fremdere Früchte als die der göttlichen Nymphen
denn mein Blut wählt die Bahnen nach seinem eigenen Willen
und muss sein Verlangen - durch mich - an der Schönheit stillen
Ist sie eine Göttin? - Wird sie mir verzeihen!
Dann bin ich ihr Apostel, dann kann mich niemand befreien
Gefährtin der Venus, an sizilianischen Küsten
Die Lava fließt stetig, so als ob wir es nicht wüssten
Die Etna besteht nur aus glühender Erde
Sie will, dass ich bin! – Ich will, dass ich werde!
(Epilog)
Schwer wiegen die Bilder der sich jagenden Gedanken
Ich liege ermattet - unter blühenden... Blumenranken
in der Mittagshitze - und will nicht mehr büßen
Vor mir das Meer, und unter meinen Füßen
Brodelt die Erde und schenkt mir... sizilianische Trauben,
für den Wein, der mir hilft - an Liebe zu glauben
Humor ist, wenn ein Gleichstand gelingt
Spitzfund (und Ideenklau)
„Du bist wie ein Besen, der vorgibt, er wäre... ein Feger“,
wütete meine Freundin
„Das ergibt keinen Sinn“, bemerkte ich vorsichtig
„Richtig erkannt“, erwiderte sie weiterhin sichtlich erregt,
„das hat alles keinen Sinn.“
„Ich möchte dann doch die Sinnfrage etwas eingrenzen,
und auf deinen Vergleich zurückkommen...“, mischte ich mich erneut in ihre Ausführungen
Sie schaute mich jetzt mit ihren großen Augen an;
nach einem kurzen Schweigen, explodierten ihr die folgenden Worte
in einer für mich schmerzhaften Heftigkeit.
„Kannst du dir diese Spitzfindigkeiten nicht für deine Gedichte aufheben?“
(Ja – gute Idee)
Ein Dichter sprach… (Neuer Text)
Ein Gedicht wird zum Gedicht
erst durch meine Seelen-Schwingung
Und nicht, wie viele meinen
durch schnöde: Reimzwang-Erzwingung
Und spürst du in meinen Texten nicht
meinen großen Seelendrang…?
Na - dann beug´ ich mich (natürlich)
dem kleinen Reimerzwingungs-Zwang
Reimzwang-Erzwingung (neuer Text)
(Eine Verbeugung vor Gottfried Benn und seinem Gedicht: immer schweigender)
Schreiben ist - und macht vergnüglich
uns Tasten-Tipper und…? (frag nicht weiter)
Jedoch - richtig Schreiben ist betrüblich
schwer, wie die Wichte unseres Erdbegleiter
Jener spiegelt all die Himmelslichter
nächtlich schön von der Trabanten-Bahn
in die große Seele eines kleinen Dichter
und erzeugt: Verfolgungswahn
Der Strahle-Stein wurd´ nie geschont
Auch wenn der Genitiv als Reim-Ziel
mit dem Licht des Mond
dichtend auf die Tasten fiel
Ankündigung: Wolkenreiter - ein neuer Audio-Text von Jacques Dulon, demnächst an dieser Stelle
Baluto
Text-Inspiration durch Cecilia Puebla
Foto: Farbenwelten im Wasserglas (Dulon)
Les enfants oubliés
…denn dies ist ganz sicher – unser letzter Planet
der sich um sich selbst – und unsere Sonne dreht
Und wir sind die Kinder – verlassen im All
Sammler und Jäger - und wohl auch Erfinder
vor dem letzten… – dem ganz großen Knall
Et nous sommes les enfants – seuls et abandonnés
qui tournent avec la planète – autour de leur soleil,
qui ont peut-être un cœur - trop libre et pourtant lié
à l’espérance de l'amour - avec le courage de la peur
Mais à la fin nous ne serons que - des enfants oubliés
(inhaltliche Übersetzung des französischen Textes)
und wir sind die Kinder - allein und verlassen
die sich mit dem Planeten drehen - um ihre Sonne
die vielleicht (sogar) ein Herz haben - zu frei und darum gebunden sind
an die Hoffnung der Liebe - mit dem Mut der Angst
Aber am Ende werden wir nichts weiter sein - als die vergessenen Kinder
Tschüß und Danke für den Besuch...
bis zum nächsten Mal vielleicht auch in eurem Theater...?
Jahresringe 1978-2024
(alle bisher auf dieser Seite veröffentlichten Dulon-Texte)
(geschrieben / Titel eines Jahres in alphabetischer Folge / Status)
1978 Manchmal für immer *
1981 Ja, so ist sie *
Kurze Zeiten der Liebe *
1983 Nur ein Sammler
1985 Der Weg meiner Liebe *
Ein Mann gibt Auskunft *
1986 Einstein oder Seit geraumer Zeit *
silberne Sonnen
1987 falscher Anfang *
1988 Der ungewöhnliche Lebenslauf des Werner M. #
Lohn des Löhners *
1991 Fragment in Blau *
Hieße ein Kreis… *
1992 Erkennen *
Fremdes Mein *
Kein Brief *
1993 Ein gelungener Zaubertrick *
Zwischen Wänden *
1995 All dies geschieht *
... einem anderen Ziel entgegen *
in Ronda (nach Rilke) *
1996 Gesicht vor Spiegel *
1997 Unerhörter Weggang *
1999 Der anarchistische Dichterfürst *
2001 Für mich war nur der Herbst bestimmt
2002 Jacob von nebenan (oder Die UFOs zum Mars) *
November im April +
2003 Die sich auflösende Welt des Dr. K.*
2004 Herzgewalten *
Kollegin *
Verspielte Liebe
2005 Auf der Baustelle *
Das Albino-Reh*
Eine Freundin *
Linda *
M-Trick *
2006 In meinen Straßen (Gegend namens Glück) *
Mehr haben wir nicht (Rue de Madeleine 90) *
weitsichtig *
2007 Spitzfund (und Ideenklau)
2008 Farben (eine Oktalogie in Fragmenten) *
Souls to carry *
2009 Im Schatten junger Frauenblüte *
Twenty-first Century Soldier #
2010 Hey Jim (Sunset over Zanzibar) *
2011 Mit der Zeit *
Wolkenreiter +
2012 Mord am Morgen *
Vollmond oder Eine alte Liebe *
2014 Mondschattenbilder *
Next to Arica (I can see your face from here) *
2015 Baluto (Ein Liebeslied in einer nicht-existierenden Sprache)
Helgas Herzen *
2016 Farewell in Blue (Next to Pilat) *
Leaving the Table *
Melancholien
Vogelzüge im Norden *
2017 Ballade vom Wein in Aveiro *
Der Elch II *
Gedicht ohne Ziel *
2018 Delante del Sol *
Die Nacht vor dem Frühling (DER WANDERER II) *
Jetzt *
Snow in the Mountains *
2019 Als wir uns trafen (Eine Nacht in La Paz) *
Der Fremde (Wie er war als er ging) *
Ein Zimmer und zugleich eine Wüste *
Welches Wort *
2020 Dichten erlernen *
Die Poeten *
Geheimnis vom Fliegen *
Holunder *
Kann man das Dichten üben? *
Was wird bleiben (von meiner Dichtung) *
2021 Brücken (Zwischen den Seelen) *
Die Klobrille *
Dieser seltsame Reiter (DER SOHN I) *
Fluchthelfer *
Halt ein *
Kronos (Die Zeit der Ruinen) *
Mein Liebeslied für dich *
Schmutz an den Schuhen regennasser Straßen (DER SOHN II) *
Tsunami *
2022 24.02.22 *
Asche wie Schnee *
Auf den Adel kommt es an (Ein Gartenzwerg-Epos) *
Bekenntnisse *
Brücken ohne Ufer *
Countdown (ins Beschränkte) *
Das Wüstentier (DER SOHN V)
Dein Nicht-Nein *
Der Inn (Fluss-Gedichte:) *
Der schlimme Mann *
Der Sohn (Brücken ohne Ufer) (DER SOHN III) *
Der Wikinger *
Ganz in deiner Nähe (Ein Frau unterwegs) (Eine Nachdichtung von "A solo un paso de aqui" von Cecilia Puebla) *
Götterdämmerung *
Im Turm der Dichter *
Laotses Befragung *
Letzte Nacht vor meiner Kneipe (Ein psychopathologischer Alptraum über den Sommer 21) *
Mathematische Wunder oder Die Zeitgleichung *
Messer *
Mögliche Kapitulationen *
Selbstbetrug (Diese ewige Sucht nach dem Anderssein) *
Sinn als Zweck (oder: Ein kleine Exkursion) *
Tajuras Lied *
Unfertiges oder Eine Verbeugung vor Ringelnatz *
Warum Wunden nicht heilen *
Was zu tun ist *
Wir (als Verneinung) *
Wir (in der Vergangenheitsform) *
Wo dein Sternbild mir leuchtet (DER SOHN IV) *
Zum Wohle des Kindes *
Zwei Panzer (vor Kiew) *
2023 Als sie... (Zeitratten) *
An das Leben *
Aristoteles´ Schüler *
Bauchgefühle unterm Honigmond (Die Zeit der Schmetterlinge) *
Bei mäßiger Zielsicht *
Bekenntnisse eines Dichters *
Brandgeruch
Der Krieg verharrt in der Todeszone *
Der Schrei
Die drei Gesichter (Wachsen, Blühen und Verwelken oder: Ein Lebenslauf) *
Die Zerbrechlichkeit der Zeit *
Ein Jahr *
Es ist ja kein Mord (von Häutungen und Verschalungen) *
Farben von: Ferne (aus dem Zyklus: FARBEN)
farblos und blind *
Geheimnisse (Dein Kaffee, deine Croissants und warum ich dich liebe) *
Gesichter eines Dichters
Gott in Göttingen *
Horen - Die beiden Reiterinnen
John, Hello I´m in there (Pflastertreter-Ballade) *
Kleiderwechsel als Modenschau (Ein deutscher Lebenslauf) *
Krähengesang *
Küchengespräche
Les enfants oubliés
Lob der Müßiggangs (Hände im Schoß) *
Lustige Leichen
Mein sprachloses Nein *
Metamorphosen vom NEIN *
Mit dem Neuen Jahr (Eine Silvester-Selbst-Ansprache) *
Ortega oder Palabras urgentes para Nicaragua *
Pastorale - Die Heilige Nacht der Stille
Schatten auf Wände
Scherben und Kreise (bis an den Rand)
Sizilianische Wanderungen
Skylla und Charybdis (Gedanken über einen Abgesang auf die Demokratie) *
So oder so *
Sonnet about a Poet
Stille Geschenke *
Stimmen der Frauen vor Troja *
Südwärts - mit dem Norden in mir
Trump (or How to finsh Democracy) *
unpassende Fragen
Versuche über Carlos Gardel *
Vorfreude *
Warum ich intellektuell bin *
(zwei Regen)
2024 19-84
Banksy
Das ganze Theater
Der ewige Roman (Der Eine #2) #
Die Eiche
Die Vergessenen
Dieser Mann der sieben Seelen
Drei Frauen (fliehende Erinnerungen)
Ein Dichter sprach... #
Frühling (aus dem Zyklus: FARBEN) +
Geheimnis des Alterns #
Im Namen der Schönheit (durch das Gewühl der Jahrzehnte) #
Kassandra, reloaded *
kein Gesicht *
konsequenter Dichter #
like Elvis (for being eternal) *
Odyssee (The Returning of H.P.) *
Reimzwang-Erzwingung #
Schnitter und Schneider
Start und Ziele (auf einem Bumerang) *
Tu y Yo (Individualismo y Soledad) *
Unter Wölfen
Verdächtige Zeiten (Blumen der Bösen) *
vielleicht Homer (aus dem Zyklus: FARBEN) +
(Status: + in Planung und angekündigt, # neu, ~ ein Tschüß für alte Freunde, * nicht mehr auf dieser Seite)
Werkstatt-Report (Neues von Dulon)
-immer die 10 aktuellsten Texte, direkt aus seiner lyrischen Werkstatt-
= Juni 2024 =
...
4. Friseur-Gespräche *
5. konsequenter Dichter
6. Die gute Nachricht für Langschläfer *
7. Genderpunkte... kann man nicht lesen *
8. im Namen der Schönheit (durch das Gewühl der Jahrzehnte)
9. Unser Bürgerlied zum Wahlsonntag (oder: Wenn Wutbürger wählen) *
= Juli 2024 =
1. Der Ewige Roman (DER EINE #2)
2. Gedicht über das Wort "faltbar" *
3. Reimzwang-Erzwingung *
4. Ein Dichter sprach...
(Status: * nicht (mehr) auf dieser Seite, + angekündigt)
siehe auch: Sämtliche Texte von Dulon:
Tausend Texte, Bd. I (2017-2024): farblos und blind
Tausend Texte, Bd. II (1978-2007): All dies geschieht
Tausend Texte, Bd. III (1978-2006): Jahresringe 1
Tausend Texte, Bd. IV (2006-2020): Jahresringe 2 (in Arbeit)
Tausend Texte, Bd. V (2020-....): Jahresringe 3 (nicht abgeschlossen)
Tausend Texte, Bd. VI (2024-....): Das Trockengewicht der Cumulus-Wolken (nicht abgeschlossen)
Der HIDDEN TRACK im WEB-Versteck
An dieser Stelle erscheint im Jahr 2024 jeden Monat für ca.30 Tage eine neue Prosa-Erzählung von Dulon.
2024 Januar - ...einem anderen Ziel entgegen (1995) (aus: unterwegs)
2024 Februar - Gott in Göttingen (?) (2023) (aus: unterwegs)
2024 März - Die sich auflösende Welt des Dr. K. (2003) (aus: unterwegs)
2024 April - Lohn des Löhners (1988) (aus: unterwegs)
2024 Mai - Gesicht vor Spiegel (1996) (aus: unterwegs)
2024 Juni - Ein gelungener Zaubertrick (1993) (aus unterwegs)
2024 Juli - Der ungewöhnliche Lebenslauf des Werner M. *** (aus: unterwegs)
Der ungewöhnliche Lebenslauf des Werner M.
Nebelhörner? Ja, es waren Nebelhörner! Ich konnte meinen Kopf nicht wenden. Er lag leicht nach vorne gedreht auf einer metallisch kalten Unterlage. Zwanzig Meter unter mir dröhnte das Meer. Meine linke Hand hielt sich an einer Eisenstange fest. Meine Füße fühlten sich noch nicht in der Lage, die Verantwortung für das Gewicht meines Körpers zu übernehmen. Ich spürte, als ich meinen Kopf das zweite Mal zu heben versuchte, dass ich mich übergeben hatte. Ein erneuter Schwindelanfall ließ mich jetzt auf meine rechte Hand zurückgreifen, die meinen fast schon aufrechten Stand sichern sollte. Ich blickte zum ersten Mal in die Richtung, aus der die Nebelhorn-Signale gekommen sein mussten.
„Ein Schiff!“ Ich befand mich auf einem Schiff, und meine reflexartig gesprochenen Worte hörte ich selbst mit der größten Verwunderung. Ich versuchte eine gewisse Klarheit in meine Situation zu bringen. Die Grundfrage war natürlich: Wie komme ich auf dieses Schiff? Die Frage nach meiner Person hielt ich dagegen für geklärt. Werner M. konnte ich nur sein. weil ich wusste, dass ich Werner M. sein musste! Werner M., aus Bad Schwartau bei Lübeck. Diese Fakten standen für mich nicht zur Diskussion. Aber was hatte ich nachts auf einem uralten, riesigen Ozean-Dampfer zu suchen? Diese Frage, so schien es mir, war nicht so einfach zu beantworten. Hatte ich nicht am Vorabend zeitig gegen 22.00 Uhr mein Bett aufgesucht? Zuvor hatte ich jedoch noch recht schwer zu Abend gegessen. Vielleicht lag hier der ursächliche Grund meiner Verwirrung. Nach meinen jetzigen Überlegungen musste ich also schlafen, und zwar in meinem Bett. Dort hatte ich mich gestern Abend hineinbegeben und es in der Zwischenzeit auch nicht wieder verlassen. Folglich musste meine Anwesenheit hier auf dem Schiff durch eine kurzzeitige Überbeanspruchung psychologischer Erlebnisketten während der Tiefschlafphase verursacht worden sein. Diese Erklärung verstand ich zwar nicht völlig, sie beruhigte mich jedoch, und dies war in meiner jetzigen Situation von ausgesprochener Wichtigkeit.
Ich befand mich also in meinem Bett und hatte mich vielleicht sogar übergeben; und der tiefschwarze Ozean vor mir gehörte ganz sicher zu einer alpdruckartig erzeugten Traumwelt. Jetzt kam es also darauf an, diese traumatische Erlebniskette zu durchtrennen, um diesen Dampfer wieder verlassen zu können. Doch was ich genau zu verlassen hatte, dass wusste ich noch nicht.
Was war dies für ein uralter Pott, der in seinen Ausmaßen meine Vorstellungskraft nötigte? Ich ließ meinen Blick über das Achterdeck (auf dem ich mich gerade befand) streifen und entdeckte in etwa dreißig Metern Entfernung zwei Matrosen, die sich im Lichtschein einer Positionslaterne auf ein Brettspiel konzentrierten. Sie überhörten mein Kommen und meine Fragen nach Art und Name des Schiffes, auf dem wir uns nur scheinbar gerade befanden. Der Ausgang ihres Spiels schien ihnen von größerer Wichtigkeit und unmittelbar bevorzustehen. Zugegeben, unter realen Bedingungen hätte ich es nicht gewagt, ein zweites Mal durch eine für Außenstehende doch sehr bedenkliche Frage zu stören; aber unter realen Bedingungen hätte ich auch gewusst, mit welchem Dampfer ich wohin eine Seefahrt unternähme.
Der jüngere der beiden Matrosen nahm mich, nachdem er eingesehen hatte, dass ich für das Spiel nicht das gleiche Interesse aufbringen würde wie er, väterlich am Arm und führte mich in die Richtung, aus der ich gekommen war. „Hier bleibst du jetzt stehen“, sagte er nicht unfreundlich, und indem er mich losließ und sich umdrehte, fiel mein Blick auf den Namen, der unter seinem Dienstgrad auf der Uniform zu lesen war. Ein kurzer gepresster Schrei zwischen meinen Lippen, und am Zurückweichen des Matrosen erkannte ich, dass aus meinem Gesicht alles Menschliche verschwunden sein musste. TITANIC stand dort. „Titanic“, wiederholte ich. Was um alles in der Welt hatte ich mit der Titanic zu schaffen? Weder das TV-Programm der letzten Monate noch meine Bettlektüre beschäftigten sich mit berühmten Schiffskatastrophen. Ich wusste überhaupt sehr wenig über diesen Dampfer, außer..., aber das war ja das Entscheidende, das wusste ja jedes Kind, also auch Werner M. und Werner M. hoffte ich immer noch zu sein.
Um Klarheit über meine Identität zu erhalten, musste es mir jetzt endlich gelingen, aus diesem total idiotischen Traum aufzuwachen. Wie viel Zeit ich hierfür noch zur Verfügung hatte, wusste ich nicht. Ich kannte weder die gegenwärtige Position des Schiffes noch die damalige Unglücksstelle. Immerhin lag der Dampfer dort schon seit über sechzig Jahren in viertausend Metern Tiefe friedlich auf dem Meeresgrund, und dass er für mich noch einmal existentialistische Probleme aufwerfen würde, hätte ich mir im Traum nicht gedacht.
Eine Gruppe von fröhlichen Reisenden der zweiten Klasse zog meine Aufmerksamkeit an. Sie hatten anscheinend in der Dunkelheit des Meeres etwas Lustiges entdeckt. Mein Blick folgte den ausgestreckten Armen der Passagiere, und ich erkannte den Grund ihrer Heiterkeit. In weniger als einer halben Seemeile Entfernung vom Schiff konnten wir die Spitze eines kleinen Eisberges bewundern. Wie durch einen Blitz angetrieben, trugen mich meine Beine die Gangway hoch auf das Deck der vornehmeren Klasse. Von hier oben waren noch weitere Eisspitzen zu entdecken; ...und dieser schwarze, dicke, - dieser uralte Eisenklotz raste wahrscheinlich mit Volldampf durch dieses Nordmeer. „Maschinen stopp!“, schrie ich mit größter Anstrengung. Ich glaubte, meine Lungen platzen zu hören, aber ich wachte noch nicht einmal auf.
Neben mir erschien ein Offizier. Er wollte gerade seinen Gang ins Casino fortsetzen, als er meine verkrampfte Hand auf seiner Schulter spürte. „Maschinen stopp!“, schrie ich ihm ins Gesicht. „Sie müssen sofort die Fahrt drosseln! Wir durchqueren gerade ein gefährliches Eisfeld.“ Der Offizier lachte. „Mein Herr, sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Sie befinden sich auf der Titanic, einem der modernsten, schnellsten und sichersten Schiffe, die derzeit die Weltmeere befahren“, und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu, „Es ist unsinkbar!“ „Sie Wahnsinniger!“, meine Stimme überschlug sich. Gleichzeitig aber war ich mir nicht mehr sicher, ob nicht ich der Wahnsinnige von uns beiden war.
Der Offizier hatte mich stehen lassen und sich im Gespräch einer weiblichen Schönheit zugewandt, deren gewichtige Oberweite dem Dampfer zusätzliche Schwingungen aufzuprägen versuchte. Doch dieses leichte Rütteln unter meinen Füßen wurde nicht durch den Busen dieser Dame hervorgerufen. Auch hatte ich plötzlich das Gefühl, als ob die Maschinen tatsächlich zurückgefahren wurden. Sollte es schon soweit sein? Ich starrte über die Reling in das Wasser und entdeckte unmittelbar unter mir etwas weiß Schimmerndes - einen Eisberg!
Die tödliche Kollision hatte also bereits stattgefunden. Mir standen Tränen der Verzweiflung in den Augen; und wie ein trotziges Kind wollte ich sofort in meinem Bett in Bad Schwartau aufwachen.
„Sie sehen so aus, als ob Sie einem kräftigen Schluck vertragen könnten“, sprach mich ein jüngerer, sehr vornehmer Herr an. „Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle, Graf B. aus Essex, England.“ „Wir werden alle noch mehr schlucken, als uns lieb ist“, antwortete ich weinerlich. „Haltung, mein Herr, vergessen Sie ihre Haltung nicht. Über Probleme kann man reden, so von Mann zu Mann“. Ohne weitere Fragen zu stellen, zog er mich hinter sich her.
Wir betraten das Casino der ersten Klasse. Ich bestellte sofort zwei Whiskys für mich und einen für den netten Grafen. Der Kellner, offenbar nicht gewillt von mir irgendwelche Bestellungen entgegenzunehmen, erkundigte sich nach meiner finanziellen Situation. Ich lachte laut und grell (das erste Mal auf diesem Schiff). Mein Begleiter nickte dem Steward beruhigend zu. „Mein Gast!“ – „Jawohl, Herr Graf, drei Whiskys“.
„Sie haben es aber eilig von ihren Problemen fortzukommen“, begann der Graf die Konversation. „Viel Zeit haben wir alle nicht mehr“, antwortete ich ihm, indem ich mein erstes Glas leerte. „Darf ich mich erkundigen, wie ihre Worte zu verstehen sind?“ „Wörtlich, Herr Graf, ganz wörtlich, wir gehen gerade unter“. Der Graf schaute etwas pikiert über meinen vermeintlichen Scherz. „Beruhigen Sie sich, Herr Graf, ich werde nicht versuchen, Sie von der Richtigkeit meiner Worte zu überzeugen. Insofern kann für Sie ihr letzter Abend noch sehr lustig werden. Wichtig für mich ist nur, dass dieses Whisky-Glas nicht zu lange leer bleibt. Ich kann ihnen unterdessen meine Lebensgeschichte erzählen. Sie brauchen nicht zu erschrecken. Mein jetziger Lebenslauf umfasst nicht mehr als fünf Minuten ...“
Dies war die Geschichte, die mir Herr M. im Casino erzählte. Herr M. hat das Casino nicht mehr verlassen. Für mich und mein weiteres Leben war die kurze Begegnung mit ihm auf der Titanic von richtungsweisender Tragweite. Damals war ich ein junger, unerfahrener Graf, der das Glück besaß, den Untergang der Titanic zu überleben. Heute im Alter von über neunzig Jahren lebe ich zurückgezogen, betrachte von fern die technischen Neuerungen dieser Welt, und beginne zu erahnen, dass sich keiner von uns vor dem Untergang der Titanic sicher fühlen darf.
2024 August - Luft zum Atmen ** (aus: unterwegs)
2024 September - Der Traum von Señor Martines ** (aus: unterwegs)
2024 Oktober - Die Verwechslung * (aus: Fragmente in Blau)
2024 November - Studentenzeit ** (aus: Orte und Dichtung)
2024 Dezember - Georg las die Zeitung ** (aus: Fragmente in Blau)
(wahrscheinliches Ende des PROSA-PROJEKTES)
(Status: * in Planung, ** in Vorbereitung, *** angekündigt)
PS. Wenn du etwas nicht verstanden hast, was man nicht verstehen kann... dann hast du alles verstanden (Dulon)
last update 27.07.2024